Zwischen Eitelkeit und Selbstinszenierung: Warum Politiker Bücher schreiben
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Berlin: Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, signiert am Ende der Vorstellung ihres Buches
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Berlin. Es ist ein paar Jahre her, da saß SPD-Kanzler Gerhard Schröder in einem Redaktionsgespräch, neben ihm sein damaliger Sprecher Uwe-Karsten Heye. „Herr Schröder“, fragte ein Journalist, „schreiben Sie eigentlich gerade ein Buch?“ Schröder drehte sich zu Heye: „Schreibe ich gerade ein Buch?“ Heye nickte: „Du schreibst ein Buch.“ Schröder drehte sich wieder nach vorn und sagte grinsend: „Ich schreibe ein Buch.“
Die Anekdote verrät viel über eine seltsame Nische des Buchmarktes: jene literarischen Erzeugnisse von schwankender Komplexität, die aktive Politiker gern unter ihrem Namen veröffentlichen. Es sind zumeist schmückende Schnellschüsse, an deren Entstehung jene, deren Name groß auf dem Titel prangt, einen mitunter verschwindend geringen Anteil haben. Ein talentierter Ghostwriter, ein paar Stunden Gespräch mit Diktiergerät, eine futuristische Floskel als Titel – und fertig ist das politische Sachbuch.
Das Ergebnis heißt dann „Reifeprüfung“ (Gerhard Schröder), „Aufstehen statt wegducken“ (Heiko Maas), „Grenzerfahrungen“ (Wolfgang Schäuble), „Von hier an anders“ (Robert Habeck), „Was nun?“ (Gregor Gysi), „Macht Politik!“ (Franz Müntefering), „Welt um Welt“ (Jürgen Trittin), „Mehr Mut!“ (Sigmar Gabriel), „Konservativ“ (Roland Koch), „Hoffnungsland“ (Olaf Scholz), „Endspurt“ (Wolfgang Bosbach) oder „Weil die Welt sich ändert“ (Edmund Stoiber).
4000 Euro für Armin Laschet
Es ist kein Phänomen der Neuzeit. Zur Eigenpositionierung im Wahlkampf, Sicherung des Nachruhms oder Korrektur des eigenen Images gossen zahllose Politiker aller Zeitalter Erlebtes und Ersonnenes in autobiografische Skizzen oder opulente Sachbuchschmöker, von Otto von Bismarck bis Nelson Mandela, von Julius Caesar bis Annalena Baerbock.
Auch die Grünen-Chefin, die sich als Regierungschefin bewirbt, hat sich für ihr 240-seitiges Ullstein-Werk „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ der Dienste eines Lohnschreibers befleißigt. Dass sie und ihr Koautor Michael Ebmeyer – der auch schon Heiko Maas’ aktuelles Werk betreute – sich bei den Fakten offenbar bis in feinste Formulierungsverästelungen aus fremden Quellen bedienten, ist nicht unüblich und taugt kaum zum politischen Skandal.
Die Debatte um die Fundstücke des österreichischen Medienwissenschaftlers Stefan Weber aber, mit maßloser Verve vorangetrieben von Baerbocks politischen Gegnern, beschädigt ihre Glaubwürdigkeit und wirft ein Schlaglicht auf eine Spielart der politischen Eitelkeit: das eigene Buch als Mosaikstein der Imagepflege.
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"Ich sehe die Schönheit deiner Gedanken, ich sehe auch die edle Absicht": Grünen-Chefin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock stellt ihm Juni 2021 ihr Buch "Jetzt" vor.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
„Betreutes Schreiben“ nennt der Publizist Hajo Schumacher das Ghostwritergeschäft. Er hat 2015 unter anderem die Autobiografie der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer mit verfasst („Die Zukunft ist meine Freundin“). „Wir sind für die Personen, die uns ihr Leben erzählen, die Hände an der Tastatur“, sagte er im Podcast „heute wichtig“ von „stern“ und RTL.
Üblicherweise verpflichten sich Ghostwriter, die eigene Urheberschaft zu verschweigen. Ist das nicht Blendwerk? Nicht für das Oberlandesgericht Frankfurt. Es urteilte 2009, dass eine solche Vereinbarung „nicht sittenwidrig“ sei.
Und warum schreiben die Politiker nicht selbst? Schumacher: „Wenn Angela Merkel so schreiben würde, wie sie spricht, oder Olaf Scholz, dann würde man diese Menschen zur Seite nehmen und sagen: ‚Ey, ich sehe die Schönheit deiner Gedanken, ich sehe auch die edle Absicht, aber hör auf, das aufzuschreiben.‘“
Der Antrieb ist nur selten finanzieller Natur. Mögen Barack Obama und seine Ehefrau Michelle nach einem beispiellosen Bieterwettstreit auch 65 Millionen Euro für ihre beiden Autobiografien vom Verlag Penguin Random House bekommen haben – in den Niederungen des Genres missionarisch-biografische Politliteratur sind die Honorare deutlich niedriger.
So offenbarte jüngst die Affäre um Armin Laschets Steuererklärung, welche kümmerlichen Buchhonorare der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat einst ausgehandelt hatte: Der Reinerlös seines Werkes „Die Aufsteiger-Republik“, erschienen 2009 in seiner Zeit als nordrhein-westfälischer Integrationsminister bei Kiepenheuer & Witsch, lag bei gerade einmal 4000 Euro.
Forsa-Umfrage: Baerbock und Grüne verlieren an Zustimmung
Die Grünen sind laut Forsa-Umfrage für das RTL/ntv-Trendbarometer zum ersten Mal seit Anfang März wieder unter die 20-Prozent-Marke gefallen.
© Quelle: dpa
Laschet spendete das Geld – unterließ es jedoch, den Betrag sowie die von ihm verschenkten 145 Autorenfreiexemplare im Wert von 1742 Euro als Gewinn auszuweisen.
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65 Millionen Dollar für zwei Autobiografien: Barack Obamas "Ein verheißenes Land" und die Lebensgeschichte "Becoming" seiner Frau Michelle Obama im Dezember 2020 in einem Buchladen in Dublin.
© Quelle: picture alliance / NurPhoto
Wenn es nur am Rande um Geld geht – worum geht es dann? Für Joachim Trebbe, Kommunikationswissenschaftler an der Freien Universität Berlin, ist die Motivlage klar: „Eitelkeit, Profilneurose, Öffentlichkeitsfixierung – wie man das auch immer nennen will“, sagte er in einem dpa-Interview. „Ich wage die steile These, dass das, was da drinsteht, sowieso die wenigsten interessiert.“
Das heißt: Mit der Tatsache, dass das Buch existiert, ist seine wichtigste Funktion schon erfüllt. Es richtete sich eher an die eigene Zunft als an die Wähler. Es dient als Kompetenznachweis und Instrument zur Selbstinszenierung – quasi als politische Requisite. Im digitalen Zeitalter aber und unter der Schwarmkontrolle jagdhungriger sozialer Medien funktioniert das Prinzip „Passt schon, das liest ja eh niemand“ nicht mehr. Wer sich um das Kanzleramt bewirbt, hätte das wissen müssen.
„Die Härte des Lebens in Anatolien umgab sie wie andere Mädchen Parfüm“
Robert Habeck, lange als Kanzlerkandidat der Grünen gehandelt, schrieb vor Jahren – bevor seine politische Karriere Fahrt aufnahm – gar allerhand nordisch-frische Pubertätsliteratur. Das war, bevor er als „Pandabär der deutschen Politik“ („Süddeutsche“) gehandelt wurde, als „Schmuse-Kuss der Politik“ („Bild“), als „Politik-Philosoph“ („Handelsblatt“) oder gar als „Schamane, der den Wind zum Erliegen bringt“ (Franz Josef Wagner in „Bild“).
Seine früheren Werke tragen unpolitische Titel wie „Hauke Haiens Tod“ oder „Wege in den Sommer“ oder auch „Unterm Gully liegt das Meer“. Im Jugendbuch „SommerGIG“ etwa geht es um eine von allerlei Pubertanten umschwärmte Mädchenband. Die Schlagzeugerin hat Migrationshintergrund. Über sie dichtete Habeck: „Die Härte des Lebens in Anatolien umgab sie wie andere Mädchen Parfüm“. Leider schrieb Habeck die Band Nirvana mit W. Fehler passieren.
Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele: Bücher von schriftstellerisch begnadeten Politikern, deren Werke zu gefeierten Bestsellern, Manifesten und Standardwerken wurden.
Winston Churchills 5000-seitige und sechsbändige Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs etwa, die ihm neben anderen Werken den Literaturnobelpreis einbrachte, oder auch der zunächst im Untergrund veröffentlichte Essay „Die Macht der Machtlosen“ (1978) des tschechischen Dissidenten und späteren Staatsmannes Václav Havel, die Memoiren des 18. US-Präsidenten Ulysses S. Grant oder Nelson Mandelas Lebensgeschichte „Der lange Weg zur Freiheit“ (1994).
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Großmeister des politischen Buchs: Der frühere britische Premierminister Winston Churchill - hier 1946 im französischen Metz mit seinem berühmten "Victory"-Handzeichen - erhielt 1953 den Literaturnobelpreis für "seine meisterhaften historischen und biographischen Beschreibungen sowie für brillante Redekunst bei der Verteidigung erhabener menschlicher Werte".
© Quelle: picture alliance/AP Photo
„Die ganz gemeine Eitelkeit“
Was den Ehrgeiz aktiver Politiker befeuert, unter die Autoren zu gehen, ist jedoch wohl zumeist jener „triviale, allzu menschliche Feind des Politikers“, den der Soziologe Max Weber schon vor knapp 100 Jahren in seinem berühmten Aufsatz „Politik als Beruf“ beschrieb, und die „täglich und stündlich“ zu überwinden sei: die „ganz gemeine Eitelkeit, die Todfeindin aller schlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall: der Distanz, sich selbst gegenüber“.