Kommentar

Warum Sahra Wagenknecht eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland ist

Sahra Wagenknecht gibt ein Interview im Bundestag.

Sahra Wagenknecht gibt ein Interview im Bundestag.

Es ist jetzt noch mal an der Zeit, an den 27. Januar 2010 zu erinnern. Damals hielt der israelische Staatspräsident Shimon Peres im Bundestag eine Rede zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Er sagte unter anderem: „Als die Nazis in Wiszniewo einmarschierten (Peres’ Heimatstadt), befahlen sie allen Juden, sich in der Synagoge zu versammeln. Mein Großvater ging als Erster hinein, eingehüllt in denselben Gebetsmantel, in den ich mich als Kind schon eingewickelt hatte. Seine Familie folgte ihm. Die Türen wurden von draußen verriegelt, und das Holzgebäude wurde angezündet. Von der gesamten Gemeinde blieben nur glühende Asche und Rauch.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nach der Rede erhoben sich alle Abgeordneten zum Applaus. Nur Sahra Wagenknecht und zwei Fraktionskolleginnen blieben sitzen – was für Empörung sorgte, auch in den eigenen Reihen. „Einem Staatsmann, der selbst für Krieg mitverantwortlich ist, kann ich einen solchen Respekt nicht zollen“, sagte Wagenknecht ungeachtet des Holocaust und offenbar gemünzt auf den Nahostkonflikt über den Friedensnobelpreisträger von 1994. Zuspruch kam von der NPD.

2023: ein ähnliches Bild. Die einstige Fraktionsvorsitzende der Linken schreibt mit Alice Schwarzer ein „Manifest für Frieden“. Und einer derer, die das Papier noch am selben Tag unterzeichnen, ist der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla. Zufall ist das nicht. Es zeigt vielmehr, dass sich Wagenknecht schon lange in radikalen Kreisen bewegt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nah an Putins Erzählung

Wie sie den russischen Angriff auf die Ukraine sieht, hat die 53-Jährige soeben in einem Interview mit den sogenannten Nachdenkseiten offenbart. Darin sagt sie zwar: „Mit dem Befehl zum Einmarsch hat die russische Führung Völkerrecht gebrochen und sich schuldig gemacht. Das muss man ohne jede Einschränkung verurteilen.“ Wagenknecht fährt dann aber fort, wo sie die eigentlich Verantwortlichen sieht: „Teile des politischen Establishments der USA haben es geradezu darauf angelegt, dass der Konflikt militärisch eskaliert. Es war immer klar, dass Russland es nicht hinnehmen wird, dass die Ukraine ein militärischer Vorposten der Vereinigten Staaten wird und dann möglicherweise Raketen an der russischen Grenze stehen, die Moskau in fünf Minuten erreichen können.“ Kern des Konflikts sei ohnehin stets die Frage der Nato-Mitgliedschaft, möglicher westlicher Militärbasen und Raketenrampen gewesen.

Hauptstadt-Radar

Der Newsletter mit persönlichen Eindrücken und Hintergründen aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Abgesehen davon, dass die Ukraine kein Nato-Mitglied war und es in absehbarer Zeit auch nicht werden sollte: Das ist nahe an der Notwehrerzählung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der gerade erst behauptet hat, der Westen habe „den Krieg angefangen“.

Dass der Zusammenhalt des demokratischen Westens angesichts des Ukraine-Krieges schon für sich genommen ein schützenswertes Gut sein könnte, taucht bei Wagenknecht nicht auf – weil es da für sie nichts zu schützen gibt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ferner fällt auf, worüber Wagenknecht nicht spricht: Russlands brutale Vorläuferkriege in Tschetschenien und Syrien oder das Zündeln in der Republik Moldau, die Bedrohungswahrnehmung Osteuropas, die Allianz Russlands mit China, die Cyberangriffe auch bei uns, Putins zunehmende Repression im Inland und die Anschläge auf Gegner im Ausland – sowie dass der Herrscher im Kreml eine Söldnerarmee duldet, die Zehntausende Häftlinge als Kanonenfutter an die Front schicken lässt. Dass der Zusammenhalt des demokratischen Westens angesichts des Ukraine-Krieges schon für sich genommen ein schützenswertes Gut sein könnte, taucht bei Wagenknecht nicht auf – weil es da für sie nichts zu schützen gibt.

Es ist zudem – nimmt man den Peres-Auftritt hinzu – das fünfte Mal in den letzten 13 Jahren, dass Wagenknecht, deren Karriere in der „Kommunistischen Plattform“ begann, Positionen vertritt, die Positionen aus dem rechtspopulistisch-rechtsextremen Milieu ähnlich oder mit ihnen identisch sind. Das war in der Finanzkrise so. Es war in der Flüchtlingskrise so. Es war in der Corona-Krise so. Und es ist jetzt wieder so. Entsprechend bekommt sie von der AfD auch seit Jahren Beifall – Beifall, den sie seit Jahren mit dem Augenaufschlag der Überraschung zurückweist.

Entsprechend bekommt sie von der AfD auch seit Jahren Beifall – Beifall, den sie seit Jahren mit dem Augenaufschlag der Überraschung zurückweist.

Umgekehrt hat sie nie ernsthafte Versuche unternommen, für konkrete Veränderungen zu sorgen – sprich: zu regieren. Wie ihre langjährige Widersacherin Katja Kipping als Sozialsenatorin in Berlin zu arbeiten, auf die Idee würde Wagenknecht gar nicht kommen. Es widerspräche ihrem Role Model als ewige Rebellin. Dass Wagenknecht auf nichts so wenig Rücksicht nimmt wie auf die Mehrheitsmeinung in der eigenen Partei, in der viele ihre Grundwerte von der Genossin verletzt sehen, versteht sich von selbst. Sie erwartet Gefolgschaft. Wagenknechts Überzeugungen und ihre Art des Vorgehens sind autoritär.

Nun könnte man sagen: Wen interessiert das? Schließlich ist Wagenknecht heute Hinterbänklerin einer marginalisierten Partei, die bei der nächsten Bundestagswahl scheitern könnte. Das hieße freilich, Wagenknechts Wirkung dramatisch zu unterschätzen.

ARCHIV - 28.05.2019, Mecklenburg-Vorpommern, Rostock: Steffen Bockhahn, Senator für Jugend und Soziales, Gesundheit und Schule der Hansestadt Rostock. Der Politiker erklärte nach rund 27 Jahren den Austritt aus seiner Partei Die Linke. Als Grund nannte er unter anderem die Haltung seiner Partei zu Russlands Präsident Wladimir Putin und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. (zu dpa: «Ex-Bundestagsabgeordneter Bockhahn verlässt die Linkspartei») Foto: Bernd Wüstneck/ZB/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ex-Bundestags­abgeordneter Bockhahn verlässt Linkspartei: Das steckt hinter der Entscheidung

Einst war er der Hoffnungsträger der Linken, jetzt ist er ausgetreten und rechnet schonungslos mit seiner Ex-Partei ab: Was der frühere Bundestags­abgeordnete Steffen Bockhahn zum Parteiaustritt sagt, was er der Partei anlastet, was hinter den Kulissen passiert ist – und wie es weitergeht.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Anklang in bürgerlichen Kreisen

Ihre Mischung aus Intelligenz und Ruchlosigkeit findet Anklang bis weit in bürgerliche Kreise hinein – entweder weil dort antidemokratische Reflexe ebenfalls weit verbreitet sind oder weil zu viele sonst kluge Zeitgenossen das Spiel nicht durchschauen. Dies zeigt ein Blick auf die Erstunterzeichner des „Manifests für Frieden“ und die Gesamtzahl der Unterstützer auf traurige Weise. Wagenknecht ist die personifizierte Verkörperung dessen, wovor Verfassungsschützer seit Jahren warnen: des Verschwimmens der Grenzen zwischen den politischen Rändern und den Extremen.

Es wäre jedenfalls naiv zu glauben, es ginge der selbst ernannten Friedensfreundin um Frieden. Nein, Wagenknecht, die die Grenzen zwischen Diktatur und Demokratie nicht erst seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine systematisch verwischt, geht es nicht um Frieden. Es geht ihr um die Zerstörung der Demokratie. Wagenknecht ist ihre in Deutschland wohl einflussreichste Feindin.

Shimon Peres wies 2010 im Bundestag übrigens nicht allein auf den Holocaust hin, sondern auch auf die Bedrohung Israels durch den Iran, den Wagenknecht in Schutz nahm. Im Iran hängen die Mächtigen in diesen Tagen ihre eigenen Leute auf und bauen weiter an der Atombombe. Und ja, sie liefern Russland Waffen für den Krieg.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Top Themen

Deutschland
 
Sonstiges

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken