Warum im Bundestag nicht mehr gesoffen wird
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Menschen gehen bei schönem Wetter über die Wiese vor dem Reichstagsgebäude mit dem Bundestag.
© Quelle: Philipp Znidar/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
kürzlich habe ich in der Bundestagscafeteria zu Mittag gegessen. Für den Nachmittag im nahegelegenen Büro kaufte ich am Tresen noch ein Müsli zum Mitnehmen. Bis vor einigen Monaten gab es die im Plastikbecher. Doch jetzt haben sie aus ökologischen Gründen auf Mehrweggläser mit Pfand umgestellt.
Schwierig war nur leider, das Glas ein paar Tage später wieder zurückzubringen. Denn an der Sicherheitsschleuse eine Etage tiefer betrachteten sie das von mir sorgsam gereinigte Behältnis mit Argusaugen. Könnte es womöglich als Wurfgeschoss dienen? Oder giftige Gase enthalten? Der Hinweis, dass ich eben dieses Glas in demselben Gebäude gekauft hatte, verfing zunächst nicht. Erst nach eingehenden Beratungen konnte ich das Pfand einlösen.
Daraufhin sagten Kolleginnen und Kollegen, ich solle doch mal etwas über Essen und Trinken im Hohen Haus schreiben. Das mache ich jetzt.
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Im Reichstagsgebäude selbst gibt es ein sehr großes und sehr feines Restaurant, in dem die Kellner und Kellnerinnen jeden Hereinkommenden wie Sicherheitsbeamte mustern. Es liegt gleich neben dem Zugang zum Plenarsaal. Die Mahlzeiten dort sind nicht billig. Zugang haben nur die Abgeordneten und ihre Gäste. Sie sitzen dort in der Regel zusammen, um etwas zu besprechen – und dabei nicht gestört zu werden. Die Abstände zwischen den Tischen sind entsprechend groß.
Nur wenige Meter entfernt liegt die besagte Cafeteria, ein viereckiger Raum von vielleicht 120 Quadratmetern, der wie eine Kantine funktioniert und stets zweierlei eher einfache Mahlzeiten bereithält – eine mit Fleisch und eine ohne. Der Laden ist in der Mittagszeit proppenvoll. Die Leute holen sich ihr Essen, und nach einer Viertelstunde sind sie wieder weg. Es geht weniger fein als gesellig zu.
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Isst gerne Hausmannskost: Die ehemalige Kanzlerin, Angela Merkel.
© Quelle: Fabian Sommer/dpa
Einmal habe ich Angela Merkel dort gesichtet. Die Altkanzlerin hat bekanntlich ein Faible für Hausmannskost, Kartoffelsuppe und so. Auch den früheren Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) traf man hier öfter. Altmaiers Vorliebe für Kulinarisches ist aktenkundig.
Die frühere Verbraucherschutzministerin Renate Künast von den Grünen ist in der Cafeteria Stammgast. Alexander Gauland von der AfD beugt sich zuweilen über die Kühltheke, ohne Platz zu nehmen. Freitags treffen sich die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge mit der Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic – offenbar zu einer Art Wochenabschlussbesprechung. Ich muss dann regelmäßig an die Fernsehserie „Drei Damen vom Grill“ denken – auch wenn Haßelmann, Dröge und Mihalic keine Kittel tragen wie die Hauptdarstellerinnen und meine Mutter früher.
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Britta Haßelmann und Katharina Dröge – fehlt noch die dritte im Bunde: Irene Mihalic, dann ist die Kantinenrunde komplett.
© Quelle: IMAGO/Bernd Elmenthaler
Mir ist überdies aufgefallen, dass AfD-Leute in der Cafeteria meistens Fleischgerichte wählen. Ich kann mich sogar an einen Mann erinnern, der mit Blick auf die vegetarische Variante hörbar böse fragte: „Haben Sie auch richtiges Essen?“ Das heißt wiederum nicht, dass sich alle Grünen für die fleischlosen Optionen entscheiden würden. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist in der Ökopartei ähnlich viel Luft wie in allen anderen Parteien.
In der Cafeteria hängen übrigens Bildschirme. Auf denen kann man den Verlauf der jeweils aktuellen Bundestagsdebatte im Plenarsaal verfolgen. Parlamentarier und Parlamentarierinnen können darauf erkennen, wann sie wieder reinmüssen.
Im Bundestag und den angrenzenden Abgeordnetengebäuden gibt es insgesamt 12 Restaurants und Kantinen mit etwa 130 Beschäftigten. Das schreibt die Pressestelle. Immerhin arbeiten im Parlament zirka 8000 Frauen und Männer, die als Gäste infrage kommen – Besucher und Besucherinnen nicht mitgerechnet. In der größten Kantine, nämlich der im Jakob-Kaiser-Haus, gibt es einen großartigen Automaten mit frisch gepresstem Orangensaft, direkt daneben leider aber auch viele ungesunde Desserts, die sehr verführerisch aussehen.
An einer anderen Ecke des weit verzweigten Areals befindet sich eine Kantine, die zur Spreeseite hin verglast ist und in der bunte Lampen an der Decke hängen – weshalb sie „der Lampenladen“ heißt. Direkt gegenüber liegt eine Cafébar, in der man seinen Latte Macchiato mitnehmen kann – allerdings in einem sehr kitschigen Porzellanbecher, dessen Pfand mit rund 10 Euro dreimal höher liegt als der Preis für den Kaffee.
Womit wir beim Trinken wären. 1983 sagte der damals frisch ins Parlament gewählte spätere Außenminister Joschka Fischer: „Der Bundestag ist eine unglaubliche Alkoholikerversammlung, die teilweise ganz ordinär nach Schnaps stinkt. Je länger die Sitzung dauert, desto intensiver.“ 1994 trat der FDP-Abgeordnete Detlef Kleinert ans Rednerpult und bezeichnete die „Aufnahmefähigkeit eines Teils der Mitglieder des Hauses“ als „offenbar nachhaltig eingeschränkt“. Dabei war der Liberale selbst sternhagelvoll – und Gelächter unter den Kolleginnen und Kollegen die zwangsläufige Folge.
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Gesoffen wird im Bundestag heute nicht mehr. Während Altkanzler Helmut Kohl für seine Besuche beim Stammitaliener bekannt war, bei denen es nicht nur Pizza und Pasta gab, und sein Nachfolger Gerhard Schröder selten einen Barolo stehen ließ, treiben Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Fastvizekanzler Christian Lindner regelmäßig Sport, damit sie in ihre Slim-Anzüge passen. „Tempora mutantur, nos et mutamur in illis“, sagte der Lateiner. Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen.
Bittere Wahrheit
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© Quelle: Markus Decker
Mindestens 13.000 Menschen kamen am Samstag zur Friedenskundgebung am Brandenburger Tor, zu der die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Feministin Alice Schwarzer geladen hatten. Die Veranstaltung hat Zuspruch und Kritik ausgelöst. Während manche sich fragen, wie Frieden mit Russland in dieser Lage überhaupt möglich sein soll, schien sich eine ältere Frau auf der Rückseite der Bühne diese Frage gar nicht mehr zu stellen. Sie behauptete einfach: „Russland ist NICHT der Aggressor.“
Wie das Ausland auf die Lage schaut
Zum Jahrestag des Beginns der russischen Invasion in die Ukraine schreibt die liberale Zeitung „Hospodarske noviny“ aus Tschechien:
„Rückblickend gesehen hätten wir die Warnung ernster nehmen sollen, die uns Russland in Form des Angriffs auf Georgien 2008 geschickt hatte. Die Annexion der Krim und der Krieg im Donbass 2014 waren weitere Vorspiele für den 24. Februar 2022. Und das wiederum dürfte nur ein Vorspiel für eine angestrebte weitere Expansion Russlands in Richtung Westen sein. Darüber darf man sich keine Illusionen machen. Was nun? Die Ukrainer zeigen uns den Weg: Die Grundlage ihres Erfolgs ist, dass die gesamte Gesellschaft entschlossen ist, sich zu verteidigen nicht nur die Armee. (…) Dass Tschechien in den letzten 30 Jahren beim Ausbau der Verteidigungsfähigkeiten geschlafen hat, ist keine europäische Ausnahme, sondern eher die Regel. Am Beispiel Deutschlands sehen wir, wie mühsam es fällt, das Steuerrad eines Ozeandampfers umzudrehen.“
Zum neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“:
„Pistorius erkennt offenbar, wo er ansetzen muss. Er trifft den Ton. Doch die deutsche Armee braucht mehr. Ein englischer Begriff, der in die Landessprache übersetzt aus historischen Gründen in Deutschland unmöglich ist, machte (bei der Sicherheitskonferenz) in München die Runde: ‚leader‘. In dem Monat, den er inzwischen im Amt ist, habe der neue Verteidigungsminister demonstriert, dass er dieser Leader sein könnte.
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Zeigt durchaus Engagement: Verteidigungsminister Boris Pistorius fährt im Turm eines Leopard 2A6 der Bundeswehr.
© Quelle: Federico Gambarini/dpa
Um zum ‚Helden‘ zu werden, braucht Pistorius vor allem Geld. Mitte März stehen in der Regierung die Gespräche für den Haushalt 2024 und die Folgejahre an. In München war zu hören, dass der deutsche Verteidigungsetat deutlich erhöht werden müsse, um drängende Beschaffungen von neuen Panzern, Haubitzen, Flugabwehrsystemen und vor allem von Munition auf den Weg zu bringen.
Die Rede ist von 8 bis 10 Milliarden Euro mehr als die bislang zur Verfügung stehenden knapp 50 Milliarden. Pistorius wird seine Kollegen im Kabinett überzeugen müssen, zugunsten der Bundeswehr auf Geld zu verzichten. Das dürfte schwierig werden. Und Finanzminister Christian Lindner von der FDP will von Steuererhöhungen nichts wissen.“
Das ist auch noch lesenswert
Mein Kollege Felix Huesmann beschäftigt sich seit Jahren mit der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Szene. Hier hat er seine Beobachtungen bei der jüngsten Friedenskundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer aufgeschrieben: Berlin-Demo von Wagenknecht und Schwarzer: Rechtsextreme und Reichsbürger unter Teilnehmern.
Mein Kollege Felix Huesmann hat dieselbe Veranstaltung auch kommentiert: „Friedenskundgebung“ bei Demo in Berlin: Links und rechts im Antiamerikanismus vereint.
Beim Erdbeben in der Türkei und Syrien sind über 50.000 Menschen umgekommen. Meine Kollegin Daniela Vates, die gerade erst in der Türkei war, hat recherchiert, wie viele Überlebende bisher Visa für Deutschland bekamen. Es sind 500. Erdbeben: Mittlerweile über 500 Visa für Opfer aus Türkei und Syrien.
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Aleppo: Menschen stehen vor den Trümmern eines Gebäudes, das bei dem jüngsten Erdbeben zerstört wurde. Die erleichterten Visa-Bedingungen gelten auch für Betroffene aus Syrien.
© Quelle: Omar Sanadiki/AP/dpa
Der CSU-Vorsitzende Markus Söder hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vorgeworfen, im „Kriegsrausch“ zu sein. Nicht alle in der Union finden das angemessen. Meine Kollegin Alisha Mendgen weiß mehr. Baerbock im „Kriegsrausch“? CDU-Politiker Kiesewetter wirft Söder „russische Narrative“ vor.
Im Iran wurde zuletzt ein weiteres Todesurteil gefällt – diesmal gegen einen Deutsch-Iraner. Die SPD-Bundestagsfraktion zieht daraus Konsequenzen. Meine Kollegin Kristina Dunz hat aufgeschrieben, welche. Todesurteil und Sanktionen: SPD beendet Kontakt zu iranischen Parlamentariern.
Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Donnerstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Eva Quadbeck. Bis dahin!
Herzlich
Ihr Markus Decker
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