Wahlen in Tschechien: Schaden die Pandora-Papers Premier Babis?

Der tschechische Premierminister Andrej Babis spricht auf einem Wahlkampfmeeting in Usti nad Labem nahe der deutschen Grenze.

Der tschechische Premierminister Andrej Babis spricht auf einem Wahlkampfmeeting in Usti nad Labem nahe der deutschen Grenze.

Prag/Berlin. Wenn am 8. und 9. Oktober über acht Millionen Berechtigte in Tschechien an die Wahlurnen gerufen werden, um über ein neues Parlament abzustimmen, dann wird sich zeigen, ob die neuesten Enthüllungen zu Finanzpraktiken von Ministerpräsident Andrej Babis Folgen haben. Politologen gehen eher nicht davon aus, sie schätzen das Kernwählerpotenzial des Multimilliardärs auf stabile 25 Prozent, das ihm selbst dann die Treue halten würde, wenn er vor laufenden Kameras stehlen oder jemanden umbringen würde, schreibt die liberale slowakische Tageszeitung „Sme“.

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Dem Recherchenetzwerk International Consortium for Investigative Journalists (ICIJ) zufolge soll Babis 2009 – vor seiner Zeit als Regierungschef – mit fragwürdigen Finanztransfers für 15 Millionen Euro ein Anwesen in Frankreich gekauft haben. Dokumente, die dem ICIJ vorliegen und Bestandteil der sogenannten Pandora-Papers sind, zeigen, dass das Geld über Briefkastenfirmen floss, die auf den Britischen Jungferninseln, in den USA und in Monaco saßen.

Das Verfahren sei ein klares Indiz für Geldwäsche, heißt es in den Vorwürfen, gegen die sich Babis massiv zur Wehr setzt. Es sei skandalös, ihn der Geldwäsche zu bezichtigen, entgegnete der Regierungschef, der bei seinem Amtsantritt selbst der Korruption den Kampf angesagt hatte. Die Mittel seien ordnungsgemäß versteuert gewesen, sagte der 67-Jährige.

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Letzten Umfragen zufolge geht Babis‘ Partei ANO als Favorit in die Wahl und könnte nach Einschätzung der Meinungsforschungsagentur Stem auf 27,3 Prozent der Stimmen kommen. Allerdings berücksichtigen diese Umfragen nicht die Veröffentlichungen aus den Pandora-Papers.

Die Piraten um den 41-jährigen Parteichef Ivan Bartos rangierten bei verschiedenen Umfragen immer auf den vordersten drei Plätzen, zeitweilig sogar auf Platz eins. In der Ausrichtung etwa linksliberal, sprechen sie vor allem das junge urbane Publikum an bis hin zu potenziellen Wählern der Grünen, die unterhalb der Fünfprozenthürde liegen und den Sprung ins Parlament womöglich nicht schaffen.

„Die Piraten sind klar proeuropäisch orientiert und pflegen einen kritischen Kurs gegenüber China und Russland“, hat Detmar Doering beobachtet, der seit 2017 das Auslandsbüro der Friedrich Naumann Stiftung in Prag leitet. Bartos‘ Kampfansage an Babis: „Ich will nicht, dass dieses Land ein Oligarch regiert.“

Allerdings würden es die Piraten allein nicht schaffen, Tschechien weiter zu modernisieren und zu digitalisieren, wie es ihr Programm vorsieht. Deshalb sind sie eine Wahlkoalition mit der Partei Stan eingegangen, die tief in der kommunalen Ebene verwurzelt und mit den Freien Wählern in Deutschland vergleichbar ist.

In Tschechien auch Bürgermeisterpartei genannt, stützt sich die Stan auf die Wähler in den kleinen Gemeinden. Gemeinsam bilden Piraten und Stan eine Art Mitte-links-Block mit liberaler Ausrichtung. Das Bündnis kreist derzeit um die 20-Prozent-Marke und bräuchte zum Regieren in jedem Fall einen Koalitionspartner.

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Die von Babis angeführte populistische ANO holte bei der letzten Wahl 2017 knapp 30 Prozent und regiert derzeit mit den Sozialdemokraten, die vom amtierenden Innenminister Jan Hamácek angeführt werden und nach Doerings Einschätzung „stark existenzgefährdet“ sind. Umfragen sehen die CSSD bei fünf Prozent, was politische Beobachter unter anderem auf eine gewisse Panikmache Hamáceks während der schlimmen Phasen der Corona-Pandemie zurückführen. Die CSSD ist nicht mit der deutschen SPD vergleichbar, es gibt einen sehr moskautreuen Flügel und Befürworter des chinesischen Wegs.

Tschechiens Präsident Milos Zeman (77) hat die CSSD zwar schon 2007 verlassen, soll aber immer noch großen Einfluss bis hin zur Personalpolitik in den Provinzen haben. Wenn die Sozialdemokraten als Koalitionspartner der ANO wegbrechen, wird es für Babis möglicherweise eng, zumal er trotz Koalition einer Minderheitsregierung vorsteht, die auf Stimmen der kommunistischen KSCM angewiesen ist.

Das dritte Schwergewicht im Kampf um die Plätze eins bis drei ist das liberalkonservative Bündnis Spolu („Wir gehen zusammen“), das sich aus drei Parteien zusammensetzt, darunter die Demokratische Bürgerpartei ODS, die seit 1990 dreimal den Ministerpräsidenten stellte. Einer der bekanntesten Köpfe ist Václav Klaus, der von 2003 bis 2013 Staatspräsident war und sich selbst als Verfechter der freien Marktwirtschaft sieht. Die ODS war jahrelang eine der Stützen des Parteiensystems, sackte aber 2013 auf unter 8 Prozent ab.

Die Dreierkoalition SPOLU will das Anwachsen der Staatsschulden bremsen und lehnt Steuererhöhungen ab. Nach Einschätzung von Detmar Doering wäre sie als Koalitionspartner der ANO denkbar, allerdings nur ohne Babis. Das wiederum ist quasi undenkbar, denn er ist das Zugpferd der ANO.

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Als potenzieller Unterstützer der ANO kommt möglicherweise noch die rechtspopulistische, nationalistische Partei Freiheit und direkt Demokratie (SPD) infrage, die von dem Unternehmer Tomio Okamura angeführt wird, der tschechisch-japanische Wurzeln hat. Die SPD wurde 2015 gegründet und rasch populär, weil sie im Zuge der Flüchtlingskrise strikt gegen die Aufnahme von Migranten auftrat. Sie zieht neben Wirtschaftspragmatikern auch Rechtsextremisten an und steht der EU kritisch gegenüber. In Umfragen liegt sie bei 10 Prozent.

Wie die Wahl in Tschechien auch ausgehen mag, es sieht ganz danach aus, dass sich die drei Erstplatzierten der Umfragen – ANO, Spolu und Piraten – in jedem Fall einen Koalitionspartner suchen müssen. Das wird angesichts der unterschiedlichen Ansätze und politischen Ausrichtungen alles andere als einfach.

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