Wahlen in Polen: Stichwahl könnte Chance für Opposition sein
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/C2SVDI36MJBSFB7V6LJNLW6IPI.jpg)
Präsident Andrzej Duda ist seit fünf Jahren in Polen im Amt.
© Quelle: imago images/Eastnews
Bialystok. Ältere Bürger der Stadt Bialystok sitzen mit kleinen polnischen Fähnchen auf Bänken. Sie warten auf den Mann, den sie "mein Präsident" nennen. Jahrzehnte war ihr Alltag von der kommunistischen Herrschaft geprägt. In der folgenden Übergangsphase erlebten sie Armut, nach dem EU-Beitritt die Abwanderung der Jugend. Für sie waren die zurückliegenden fünf Jahre unter Andrzej Duda fast wie eine Erlösung.
Der seit 2015 regierende polnische Präsident teilt mit den Menschen in Bialystok nicht nur traditionelle katholische Überzeugungen. Duda und die mit ihm verbundene Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) brachten der Region im Nordosten des Landes erstmals auch einen Ansatz von Wohlstand. Neue Sozialleistungen lassen vor allem Rentner und ärmere Familien wieder positiver in die Zukunft blicken.
Gute Umfragewerte für Duda
“Was sie in fünf Jahren gemacht haben, war davor in 50 Jahren nicht gemacht worden”, sagt der 80-Jährige Waclaw Waluk, einer derer, die im Zentrum von Bialystok auf einen Wahlkampfauftritt des Amtsinhabers warten. “Die Dinge waren noch nie so gut.” Tatsächlich macht die Großstadt in der lange Zeit strukturschwachen Region einen lebendigen Eindruck – neue Straßen sind gesäumt von Eisdielen und Cafés.
Die Stimmung in den konservativen Hochburgen Polens macht begreiflich, warum Duda der beliebteste der elf Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag ist. Umfragen zufolge dürfte er etwa 40 Prozent der Stimmen erhalten. Der Oppositionsführer Rafal Trzaskowski, bisher Bürgermeister von Warschau, liegt derzeit bei etwa 30 Prozent, alle anderen bei weniger als zehn Prozent.
Stichwahl könnte knapp werden
Sollte Duda aber die absolute Mehrheit verfehlen, käme es am 12. Juli zu einem zweiten Wahlgang. In einem solchen würden sich dann voraussichtlich zwei 48-jährige Politiker gegenüberstehen, die für zwei inzwischen weit auseinandergedriftete Teile der polnischen Bevölkerung stehen: Duda vertritt das nationalistisch-traditionalistische Polen, das auf Konfrontationskurs mit der EU geht, während Trzaskowski für ein liberales und weltoffenes Land kämpft.
Käme es zu einer Stichwahl, wäre laut Umfragen also mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zu rechnen. Dass der mehrsprachige Hauptstadt-Bürgermeister für Duda zu einem ernstzunehmenden Rivalen geworden ist, hat viel mit der Unzufriedenheit in den weniger traditionalistischen Regionen und Wählerschichten zu tun. Viele Polen werfen der Regierung Korruption, Anstiftung zu Homophobie und Fremdenfeindlichkeit sowie ein Untergraben der demokratischen Fundamente vor.
Duda ließ zahlreiche Gesetze passieren
"Ich würde für jeden Kandidaten stimmen, der gegen Duda ist, und aktuell hat Trzaskowski die besten Chancen, ihn zu schlagen", sagt der 40-jährige Pawel Bednarczyk, der in Bialystok als Schreiner arbeitet, und einen Tag nach dem Besuch des Präsidenten in der Stadt ebendort auf eine Rede des Oppositionsführers wartet.
Rechte in Polen können alleine weiterregieren
Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat die Parlamentswahl in Polen klar gewonnen.
© Quelle: Afp
Wenige Monate nach Dudas Erfolg bei der Präsidentschaftswahl 2015 wurde die PiS-Partei bei der Parlamentswahl zur stärksten Kraft des Landes. Seitdem hat Duda fast jedes Gesetz unterzeichnet, das ihm von der Regierungspartei vorgelegt wurde – inklusive einer sehr umstrittenen Justizreform. Kritiker haben ihm deswegen den Spitznamen “Der Stift” gegeben. “Wenn sie ihm ein Telefonbuch vorlegen würden, dann würde er auch das unterzeichnen”, sagt Bednarczyk.
Rhetorik sorgte für Empörung
Nicht nur wegen des Dauerstreits mit der EU, die in den Eingriffen in die Unabhängigkeit der Justiz eine Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit sieht, steht Duda unter Druck. Im Wahlkampf sorgte er immer wieder für Empörung.
So bezeichnete er die Opposition als “ein Virus, schlimmer als das Coronavirus” für die polnische Wirtschaft – obwohl das gegnerische Lager in Jahren starken Wachstums an der Macht gewesen war. Er versprach, Familien vor homosexueller “Ideologie” zu schützen. Im Staatsfernsehen wurde derweil suggeriert, Trzaskowski, der Katholik ist, stehe mit ausländischen jüdischen Interessen in Verbindung.
Populismus stoppen?
Kritiker des Präsidenten sehen die bevorstehende Wahl als die letzte Chance, eine irreversible Erosion der Demokratie in Polen zu verhindern – und zugleich als Möglichkeit, einen globalen Trend zum Populismus zu stoppen. Schwulen-Aktivisten sagen, sie würden sich durch die Rhetorik Dudas und anderer konservativer Politiker “entmenschlicht” fühlen und veranstalten Demonstrationen – zuletzt auch in Bialystok kurz vor dem dortigen Auftritt des Präsidenten.
Für viele Wähler dürften aber die Sozialprogramme im Vordergrund stehen, mit denen Duda und die PiS-Partei besonders bedürftigen Polen ein besseres Leben ermöglicht haben. Unter anderem erhalten Familien heute – unabhängig vom Einkommen der Eltern – ein Kindergeld von 500 Zloty (112 Euro) pro Kind. Das Renteneintrittsalter wurde von 67 auf 65 für Männer und für Frauen auf 60 gesenkt. Zugleich wurden die Renten erhöht und die Kosten für einige Medikamente reduziert.
Beliebt wegen erhöhten Sozialleistungen
Die neuen Sozialleistungen und Rentenregelungen sind so populär, dass auch Trzaskowski versprochen hat, sie unangetastet zu lassen. Seine wirtschaftsliberale Partei Bürgerplattform, die von 2007 bis 2015 an der Regierung beteiligt war, hatte Erhöhungen der Sozialausgaben seinerzeit abgelehnt. Der Kurs trug zur Stabilisierung des Staatshaushalts bei, wurde aber auch für steigende Ungleichheit im Land verantwortlich gemacht.
Früher sei das Leben schlecht gewesen, sagt Antoni Kryszylo, ein 74-jähriger ehemaliger Taxifahrer. Von seinen fünf Kindern sei eines gestorben und die anderen vier hätten Polen verlassen, um anderswo “ihr Brot” zu verdienen. Vor fünf Jahren habe er eine Rente von umgerechnet etwa 380 Euro erhalten; benötigte Herzmedikamente habe er sich damals nicht leisten können. Nun stehe ihm mehr Rente zur Verfügung und die Medizin sei deutlich günstiger geworden. Dank Duda sei er noch am Leben, sagt Kryszylo. “Ich könnte ihm die Füße küssen.”
RND/AP