„Letzte Ausfahrt vor der Diktatur“: Kurden hoffen auf Erdogan-Ablösung in letzter Minute
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Wähler haben sich vor der Grugahalle in Essen eingefunden, um ihre Stimme für die Stichwahl um das türkische Präsidentenamt abzugeben.
© Quelle: Helge Toben/dpa
Berlin. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Ertan Toprak, hofft darauf, dass die in Deutschland wahlberechtigten Türken dazu beitragen, den amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan doch noch durch seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu abzulösen. „Die Wahlbeteiligung scheint sehr hoch zu sein“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit Blick auf Schlangen vor den seit Samstag in Deutschland wieder geöffneten Wahllokalen für die Stichwahl.
„Ich hoffe, dass diesmal vor allem die Demokraten, die es im ersten Wahlgang nicht geschafft haben, zu den Wahlurnen gehen. Denn das ist jetzt wirklich eine Schicksalswahl. Es ist die letzte Ausfahrt vor der Diktatur.“ Er wünsche sich, dass Kilicdaroglu ausreichend viele Anhänger mobilisieren könne, sagte er weiter. „Aber es wird schwierig.“
Toprak hatte zuletzt wie andere auch das Wahlverhalten der Erdogan-Anhänger in Deutschland kritisiert. „Die Menschen, die hier die Demokratie genießen, unterstützen eine Autokratie in der Türkei“, sagte er dem RND. „Das ist auch ein Problem für Deutschland.“
„Alle Unterstützung“
Der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner, der 2017 für mehrere Monate in der Türkei in Haft saß, will die Hoffnung auf eine Ablösung Erdogans ebenfalls noch nicht aufgeben. „Mit dem ersten Wahlgang scheinen die Aussichten auf einen Regierungswechsel in der Türkei schlecht zu sein“, sagte er dem RND. „Schaue ich jedoch auf das Wahlergebnis mit der Brille, dass eine überwältigende Mehrheit der Medienhäuser und ‑anstalten in direkter Hand der Regierung und der AKP sind, so ist schon dieses Ergebnis ein überraschender Gewinn der Opposition.“
Steudtner fügte hinzu: „Damit hat die Opposition auch bei der Stichwahl eine kleine, aber realistische Chance zu gewinnen. Dabei brauchen die demokratischen Reformkräfte in der Türkei und im Exil mehr denn je alle Solidarität und Unterstützung, die wir ihnen geben können.“ Steudtner war 2017 mit neun weiteren Menschenrechtsaktivisten festgenommen und später freigelassen worden. Viele andere politische Gefangene sind unterdessen unverändert inhaftiert.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, rechnet mit einer erneut hohen Wahlbeteiligung. „Die konsularischen Vertretungen haben sich sehr gut auf die Wahlen vorbereitet, so dass alles reibungslos verläuft“, sagte er dem RND. Erdogan-Befürworter seien „wieder gut organisiert und versuchen, die Wahlberechtigten mit Bussen zu den Wahllokalen zu bringen. Aber auch die Oppositionsparteien sind aktiv bei der Mobilisierung. Beide Lager wissen, dass die Stimmen aus Deutschland am Ende wahlentscheidend sein können.“
In Deutschland hat die Stimmabgabe für die Stichwahl um das türkische Präsidentenamt am Samstag begonnen. Bis zum 24. Mai sind die 1,5 Millionen Wahlberechtigten hierzulande aufgerufen, sich an den Urnen zwischen Erdogan und Kilicdaroglu zu entscheiden. Erdogan gilt vor der zweiten Runde als Favorit, nachdem er die absolute Mehrheit in der ersten Runde am 14. Mai nur knapp verpasst hat.
Erdogan oder Kilicdaroglu? Stichwahl in der Türkei soll Entscheidung bringen
Auf dem Balkon seines Parteigebäudes in Ankara gab sich Erdogan am frühen Montagmorgen siegessicher.
© Quelle: Reuters
Auslandstürken wahlentscheidend
Dass er vor seinem Herausforderer landete, hat auch mit den Stimmen aus dem Ausland zu tun. Von insgesamt 3,4 Millionen wahlberechtigten Auslandstürken ging in der ersten Runde zwar nur etwa die Hälfte zur Wahl, 57,7 Prozent davon stimmten aber für den amtierenden Staatschef. Kilicdaroglu kam auf knapp 40 Prozent der Stimmen. Auch in Deutschland gab nur etwa jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme ab, 65 Prozent davon aber für Erdogan nach vorläufigen Zahlen.
In Berlin stieß die Möglichkeit zur Stimmabgabe am Samstag auf großes Interesse. Gleiches gilt für Baden-Württemberg. Hier entstanden vor den Wahllokalen jeweils lange Schlangen.