Mythos Wahlbetrug: Wie AfD und rechte Kreise die Briefwahl diffamieren
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Rechte Kreise warnen derzeit vor Wahlbetrug im Rahmen der Briefwahl – ohne stichhaltige Argumente.
© Quelle: Bernd Weißbrod/dpa
Berlin. Am 26. September wird der neue Bundestag gewählt. Die Briefwahl läuft jedoch längst: Seit Mitte August können Wählerinnen und Wähler in ganz Deutschland ihre Stimme bereits von zu Hause aus abgeben. Es wird erwartet, dass davon in diesem Jahr so viele Menschen Gebrauch machen wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik.
Mit dem Anstieg des Briefwähleranteils mehren sich in diesem Jahr auch Warnungen vor der Briefwahl – vor allem von Rechtsaußen. Besonders die AfD positioniert sich deutlich dagegen und behauptet, die Briefwahl sei unsicherer als die klassische Urnenwahl.
„Stimmzettel gehören in die Wahlurne, nicht den Briefkasten“, heißt es in einem Video der Partei. „Erhebliche Fälle von Wahlbetrug“ seien in so gut wie jedem Wahljahr „traurige Wahrheit“ in Deutschland, behauptet die AfD Leipzig in einem Facebook-Post und fordert „Schluss mit Betrug! Wählen nur in der Wahlkabine!“. In einer Grafik insinuiert der Parteiverband, bei der Briefwahl würden AfD-Stimmen den Grünen zugeschlagen.
Wie schon bei vergangenen Wahlen ruft die AfD ihre Anhänger außerdem dazu auf, die Auszählung der Stimmen in den Wahllokalen als Wahlbeobachter zu überwachen. Bei mehreren Landtags- und Europawahlen in den vergangenen Jahren hatte auch der rechtsextreme Verein Ein Prozent zur Wahlbeobachtung aufgerufen und mit Großplakaten in mehreren Städten dafür geworben.
Auch Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Umfeld der Corona-Leugner-Szene haben nun vor der Bundestagswahl eine entsprechende Kampagne gestartet, die sie in Kanälen und Chatgruppen der Messenger-App Telegram bewerben.
Dabei gibt es keine Hinweise auf Wahlbetrug oder eine Manipulation der Briefwahlen, die geeignet wären, die Ergebnisse einer Bundestagswahl zu verändern. „Die Bundestagswahlen und auch die Briefwahl sind sehr sicher“, sagt der Mainzer Politikwissenschaftsprofessor Kai Arzheimer.
Mit Blick auf das Wahlgeheimnis sei die Briefwahl zwar nicht perfekt. „Bei der Urnenwahl achtet der Wahlvorstand darauf, dass niemand mit in die Kabine geht, der sie beeinflusst“, erklärt Arzheimer. „Bei der Briefwahl kann das nicht kontrolliert werden.“
Andere Einwände gegen die Briefwahl kann er jedoch nicht nachvollziehen – etwa die Behauptung, Briefwahlstimmen könnten leichter gefälscht werden. „Die Wahlbriefe werden an die örtlichen Wahlleiterinnen und Wahlleiter der Gemeinde geschickt, kommen dort unter Verschluss und werden erst am Wahltag von einem Wahlvorstand geöffnet“, sagt Arzheimer. Auch die Auszählung der Briefwahlstimmen geschieht anschließend öffentlich.
Wahl-ABC: Briefwahl, Direktmandat, Wahlleiter
Die Wahl ist weit mehr als nur zwei Kreuze auf dem Stimmzettel. Was ist ein Direktmandat?
© Quelle: dpa
Auch Behauptungen, man könne zweimal wählen – per Brief und anschließend im Wahllokal – seien Unsinn. „Das ist das klassische Trump-Argument“, sagt Arzheimer. Tatsächlich wird die beantragte Briefwahl jedoch im Wählerverzeichnis vermerkt. Wer seinen Wahlschein bereits zur Briefwahl verwendet hat, kann dementsprechend im Wahllokal nicht erneut wählen.
Einzelne Versuche der Wahlfälschung könne es immer geben – bei der Brief- wie bei der Urnenwahl, meint Kai Arzheimer. „Eine Wahlfälschung, die geeignet ist, das Wahlergebnis zu beeinflussen, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen“, sagt er jedoch.
Die Briefwahl gibt es seit 1957, und wir haben bis heute keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten in einem Ausmaß, dass sie das Wahlergebnis beeinflussen könnten.
Georg Thiel,
Bundeswahlleiter
Auch der Bundeswahlleiter Georg Thiel bekräftigt die Sicherheit der Wahlen. „Die Briefwahl gibt es seit 1957, und wir haben bis heute keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten in einem Ausmaß, dass sie das Wahlergebnis beeinflussen könnten“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Bei der aktuellen Briefwahl zur Bundestagswahl habe es bislang ebenfalls keine Unregelmäßigkeiten gegeben, die das Wahlergebnis beeinflussen könnten. „Es gab lediglich vereinzelt Fälle, etwa von unvollständig bedruckten Stimmzetteln, bei denen ein Kreis neben dem Parteinamen fehlte“, so Thiel.
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Die Briefwahl bietet Bürgerinnen und Bürgern eine einfache und sichere Alternative zur Stimmabgabe im Wahllokal.
© Quelle: RND
„Bereits versandte Stimmzettel wurden aber umgehend durch neu gedruckte ausgetauscht. In den wenigen Fällen, bei denen ein Austausch nicht mehr möglich war, behalten die abgegebenen Stimmen ihre Gültigkeit.“
„Der AfD und anderen geht es darum, Zweifel an der Wahl zu säen“, sagt der Politikwissenschaftler Arzheimer. Die AfD sei eine „extrem elitenfeindliche und teilweise sogar staatsfeindliche Partei“, da passe das ins Muster. „Man erhofft sich, damit die eigenen Leute mobilisieren zu können. Und wenn das Wahlergebnis schlecht ausfällt, hofft man, behaupten zu können, man sei eigentlich besser gewesen, es seien aber vielleicht gar nicht alle Stimmen für die Partei gezählt worden.“
Auch bei vergangenen Wahlen spielte die AfD bereits mit dieser Taktik. Besonderen Aufwind hat sie jedoch nach der Präsidentschaftswahl in den USA bekommen. Dort behaupteten der abgewählte Präsident Donald Trump und Teile seiner Republikanischen Partei, es habe massive Wahlfälschungen gegeben, durch die der Demokrat Joe Biden die Wahl erst gewonnen hätte.
Schon vor der Wahl hatte Trump heftig gegen die Briefwahl geschossen. Belege für seine bis heute aufrecht erhaltene Behauptung von der gefälschten Wahl konnte Trump nicht vorbringen. Auch in mehreren US-Bundesstaaten durchgeführte Neuauszählungen der Stimmen lieferten keine Beweise für die Verschwörungserzählung.
Trump erneuert Betrugsvorwürfe in 46-minütigem Video
Erneut hat der amtierende US-Präsident Trump deutlich gemacht, dass er sich nicht mit dem Sieg des Demokraten Biden abfinden will.
© Quelle: dpa
Viele Falschmeldungen rund um die Wahl
Nicht nur zur Briefwahl kursieren besonders in den sozialen Medien Falschbehauptungen. Eine Anfang September veröffentlichte Studie des „Sustainable Computing Labs“ der Wirtschaftsuniversität Wien untersucht problematische Veröffentlichungen zur Bundestagswahl auf Facebook und Twitter. Etwa 6,7 Prozent aller Facebook-Posts mit Bezug zur Wahl und rund 5,6 Prozent aller entsprechenden Tweets fallen demnach in eine von drei Risikokategorien.
Sie beinhalteten entweder potentiell illegale Inhalte, Falschbehauptungen oder waren geeignet, Wählerrechte zu verletzen. Gerade im Umfeld von Wahlen müssten große Internetkonzerne mehr gegen gefährliche Inhalte auf ihren Plattformen unternehmen, fordern die Forscher.
Auch der Bundeswahlleiter nimmt in den sozialen Medien „ein erhöhtes Aufkommen an Falschmeldungen rund um das Wahlverfahren und insbesondere im Hinblick auf die Briefwahl wahr“, wie er dem RND mitteilte. „Deshalb informieren Bundeswahlleiter und Landeswahlleitungen über den Wahlablauf und alle wichtigen Regelungen, und zwar proaktiv, umfassend und auf verschiedenen Kanälen.“
Eine Behauptung, die vor allem unter Anhängern der Qanon-Verschwörungserzählung im August und September die Runde machte, ist, dass nur Geimpfte, Genesene und Getestete die Wahllokale betreten dürften. Eine solche Regelung gilt nirgends in Deutschland und wäre wohl auch rechtlich nicht haltbar. Der Bundeswahlleiter wies bereits vor mehreren Wochen auf Twitter darauf hin, dass es sich um eine Falschbehauptung handelt.
RND