Wagner-Chef Prigoschin wird für Putin zum Problem
Das von der Wagner-Gruppe auf Telegram veröffentlichte Foto zeigt Jewgeni Prigoschin.
© Quelle: Telegram
Wer ist der wahre Herrscher in Russland? Nichts scheint in Wladimir Putins Autokratie gegen den Willen des mächtigen Chefs der Wagner-Gruppe zu gehen, gegen Jewgeni Prigoschin. Wenn der 61-Jährige Gesetzesänderungen wünscht, werden diese durchgeführt – mit der Folge, dass jetzt auch die Söldner der Wagner-Gruppe gesetzlich vor angeblicher „Diskreditierung“ geschützt werden.
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Wenn Prigoschin die oberste Armeeführung um Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow der Intrige und des Verrats bezichtigt, dann darf er das ungestraft in einem Land, in dem Menschen zu drastischen Gefängnisstrafen verurteilt werden, weil sie einen Krieg einen Krieg nennen. Und wenn Prigoschin – wie jüngst geschehen – droht, „seine“ Söldner aus dem seit Monaten umkämpften Bachmut abzuziehen, weil sie keine Munition bekämen, dann scheint die ganze Front zu wanken.
Am Montagabend erklärte Prigoschin auf Telegram, seinem Vertreter sei jetzt auch der Zugang zum russischen Einsatzhauptquartier in der Ukraine verwehrt worden. Ist sein Stern bereits verglüht?
„Wenn Wagner sich jetzt aus Bachmut zurückzieht, wird die gesamte Front zusammenbrechen. Die Situation wird für alle militärischen Formationen, die russische Interessen schützen, nicht schön sein“, hatte der Wagner-Chef am Wochenende gedroht. Eine Drohung, die im Kreml wie Verrat klingen muss.
Dabei schien Prigoschin seit dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 eine „Carte blanche“ in Putins Machtkartell zu besitzen – ohne dass er einen Titel besitzt oder offiziellen Posten begleitet, was viel mit den globalen Verdiensten des umtriebigen Geschäftsmannes für Putins Expansionspläne zu tun hatte.
Nach Recherchen der „Financial Times“ (FT) und anderer Medien und Organisationen erwirtschaftet Prigoschins Firmennetzwerk Hunderte Millionen Dollar. Allein 2021, also im letzten Jahr vor dem Krieg, sollen es mehr als 250 Millionen Dollar gewesen sein – aus Geschäften mit Öl, Diamanten, Gold und anderen Rohstoffen stammend.
Mehrere Millionen für „Sicherheitsdienstleistungen“ im Sudan
Wie Prigoschin dabei vorgeht, zeichnet die „FT“ am Beispiel Sudan nach: Als die Macht des dortigen Herrschers und international gesuchten Kriegsverbrechers Omar al-Baschir 2018 zu bröckeln begann, suchte das Regime Rückhalt in Moskau.
Der Kreml schickte neben Militärberatern auch die ersten Wagner-Söldner, um Sudans Militär im Kampf gegen Aufständische zu unterstützen. Zeitgleich kamen Vertreter eines Unternehmens namens M Invest. Diese von Prigoschin kontrollierte Holding schloss einen Vertrag mit einer der sudanesischen Militärführung zuzurechnenden Firma im Umfang von mehreren Millionen Dollar im Jahr – für nicht näher bezeichnete „Sicherheitsdienstleistungen“.
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© Quelle: RND
Infolgedessen stieg eine Tochtergesellschaft von M Invest, Meroe Gold, zum führenden Goldproduzenten im Sudan auf. Sudans Militärmachthaber sorgten nicht nur für die Abbaulizenzen, sondern stellten auch Militärflugzeuge und -flughäfen bereit, die einen unkontrollierten Abtransport sicherstellten.
Die Transporte in russischen Frachtmaschinen AN-24 übernahmen Firmen mit unverdächtigen Namen. Denn schon damals standen nicht nur Prigoschin, sondern auch sein Imperium auf westlichen Sanktionslisten.
Nach Schätzung der sudanesischen Regierung selbst wird nur ein Bruchteil des im Land geförderten Goldes auf offiziellem Weg exportiert. Allein 2019 wurde demzufolge Gold im Wert von rund 4 Milliarden Dollar ins Ausland geschmuggelt. Offiziell erwirtschaftete M Invest 2021 umgerechnet 2,6 Millionen Dollar.
Geschäfte auch in Syrien und Zentralafrika
Auch in der Zentralafrikanischen Republik, deren Regierung sich seit Jahren nur durch Unterstützung der Wagner-Kämpfer Islamisten widersetzt, fördern Unternehmen mit nachgewiesenen oder vermuteten Verbindungen zu Prigoschin Gold und Diamanten, bauen zudem Tropenholz ab.
In Syrien, wo Wagner-Kämpfer das Regime von Baschar al-Assad im Bürgerkrieg unterstützen, erwirtschaftete eine Prigoschin gehörende Firma namens Evro Polis im Ölgeschäft allein 2020 einen Gewinn von umgerechnet 90 Millionen Dollar. In Mali, wo die Bundeswehr seit 2013 eine von Islamisten attackierte Regierung logistisch unterstützt, holten die Militärmachthaber nach ihrem Putsch 2021 Wagner-Kämpfer ins Land und drängten westliche Truppen zum Abzug.
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© Quelle: Reuters
Dass Prigoschin hier nicht nur eigenen Geschäften nachgeht, sondern auch erfolgreich Putins geostrategische Visionen umsetzt, wurde beim Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen deutlich: Mali und Syrien gehörten zu den sechs Ländern, die sich in der letzten UN-Abstimmung zum Krieg in der Ukraine am 23. Februar 2023 offen auf die Seite des Aggressors schlugen.
Doch bekannt wurde Prigoschin im Westen zunächst, weil er sich als Mastermind der russischen Desinformation einen Namen machte. Der Putin-Vertraute aus St. Petersburg, der einst mit einem Catering-Unternehmen begann und in dessen Restaurant offenbar auch Putin verkehrte, gründete im Frühjahr 2014 die Federal News Agency, kurz FAN.
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Mithilfe einer eigenen Medienholding kontrolliert die FAN zahlreiche Nachrichtenseiten im Internet, regionale wie überregionale. Als im Westen noch breite gesellschaftliche Schichten Russland als Partner sahen, startete FAN im großen Stil und sehr erfolgreich einen hybriden Informationskrieg, der bis heute anhält. Prigoschins Söldner in diesem Informationskrieg waren Trolle, Social Bots und Fake-Accounts. Ihre Schlachtfelder waren die Wahlen in den USA 2016, die Abstimmung über den Brexit im selben Jahr, die Wahl in Frankreich 2017.
Prigoschin trat aus dem Schatten
Der Krieg gegen die Ukraine hat alles verändert: Prigoschin, der Schattenmann, suchte erstmals im Sommer 2022 das Licht der Öffentlichkeit, mischte sich in Debatten ein, attackierte offen die russische Militärführung, unterstützt von rechten Nationalisten und Militärbloggern.
„Es ist deutlich zu beobachten, dass Prigoschin in immer kürzen Abständen von offiziellen Stellen zurechtgewiesen wird“, sagt der Politikwissenschaftler Gerhard Mangott dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Doch jetzt hat Prigoschin offenbar den Bogen überspannt.
Gerhard Mangott,
Politikwissenschaftler
„Ganz offensichtlich waren die Aktivitäten der Wagner-Gruppe in den letzten Jahren für den Kreml sehr nützlich. Sie hat politische und militärische Aufgaben übernommen, für die kein reguläres Militär in Betracht kam – ob im Sudan, in Syrien, Zentralafrika oder Mali“, so Mangott. „Doch jetzt hat Prigoschin offenbar den Bogen überspannt, indem immer wieder die militärischen Oberbefehlshaber attackiert und sich zum Herr über den Sieg oder die Niederlage Russlands erhebt, indem er mit dem Abzug seiner Söldner und dem Zusammenbrechen der ganzen Front droht“, so der Russland-Experte von der Universität Innsbruck.
Experte sieht Bedeutung der Wagner-Gruppe überbewertet
Der Österreicher hält die Bedeutung, die der Wagner-Gruppe im Westen für Russlands Kriegsführung beigemessen wird, für überbewertet – und vor allem für ein Produkt von Prigoschins Propaganda: „Da werden Aktivitäten und gelegentliche Erfolge mithilfe der einflussreichen Militärblogger und der russischen Nationalisten, also Prigoschins Verbündeten, gern vervielfältigt. Da läuft ein propagandistischer Wettstreit mit den regulären Streitkräften um jedes Dorf, das eingenommen wurde. Und ich glaube, dass Prigoschin hier einfach viel mitteilsamer ist als General Gerassimow, der Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte in der Ukraine“, gibt sich Mangott überzeugt.
Prigoschins Aufstieg und seine jetzige Maßlosigkeit erinnert mich an das Gedicht vom Zauberlehrling, der die Geister rief, die ihm erst halfen, die er dann aber nicht mehr loswurde.
Hans-Lothar Domröse,
ehemaliger Heeresgeneral
„Prigoschins Aufstieg und seine jetzige Maßlosigkeit erinnert mich an das Gedicht vom Zauberlehrling, der die Geister rief, die ihm erst halfen, die er dann aber nicht mehr loswurde“, sagt auch der frühere Heeresgeneral Hans-Lothar Domröse dem RND mit Blick auf den Kreml.
Spielt Prigoschin mit dem Feuer?
„Keine politische Führung, egal ob in einer Demokratie, Autokratie oder Diktatur, kann es sich leisten, die Gewalt über das eigene militärische Potential an alternative Institutionen wie diese Wagner-Söldner outzusourcen“, so Domröse. „Dass diese Dinge durch Prigoschin auch noch nach außen getragen werden, ist für die russische Kriegsführung verheerend. In einem demokratischen Land würde man ihn schleunigst pensionieren. In Russland sperrt man Kritiker in Arbeitslager weg, im günstigsten Fall.“
Auch für Gerhard Mangott spielt Prigoschin mit dem Feuer: „Solch maßlose Hybris kann in Putins Russland lebensgefährlich sein, wie die Schicksale anderer Putin-Kritiker zeigen, die plötzlich von Balkonen fallen oder überfahren werden.“