AfD: Verfassungsschutz nimmt Partei intensiver in den Fokus

Ein Teilnehmer der Europawahlversammlung der AfD (Symbolfoto).

Ein Teilnehmer der Europawahlversammlung der AfD (Symbolfoto).

Berlin. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wird künftig zumindest Teile der AfD intensiver beobachten. Das erfuhr das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) aus Regierungskreisen. Dabei handelt es sich um die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) und den sogenannten "Flügel" um den thüringischen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke, die als gleichermaßen radikal gelten. Beide werden zum "Verdachtsfall" erklärt.

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Die AfD insgesamt, so heißt es in den Kreisen, werde zum „Prüffall“ erklärt. Es werde somit ein abgestuftes Verfahren geben. Aus Regierungskreisen verlautet, die getroffene Entscheidung gehe wesentlich auf Haldenwang selbst zurück und nicht auf das Bundesinnenministerium, dem der Verfassungsschutz untersteht. In Sicherheitskreisen ist die Beobachtung nach RND-Informationen umstritten.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz trug insgesamt 1069 Seiten Material aus offen zugänglichen Quellen zur AfD und ihren Unterorganisationen „JA“ und „Der Flügel“ zusammen. Dabei handelt es sich ausdrücklich nicht um Reden von Abgeordneten in Parlamenten, sondern um Aussagen von Funktionären und Parteimitgliedern vor allem in sozialen Netzwerken wie Facebook sowie während anderer öffentlicher Reden. Der Schwerpunkt der Auswertung lag in 2018.

Das ist der Unterschied zwischen „Prüffall“ und „Verdachtsfall“

Bei einem „Prüffall“ ist eine Beobachtung mit V-Leuten oder anderen nachrichtendienstlichen Mitteln grundsätzlich nicht erlaubt. Wird eine Organisation dagegen zum „Verdachtsfall“ erklärt, so ist dies – wenn auch nur sehr eingeschränkt – möglich. Beispielsweise ist dann eine Observation gestattet, ebenso das Einholen bestimmter Informationen von Behörden. Sogenannte V-Leute und die Überwachung von Telekommunikation kommen aber auch hier wohl nicht zum Einsatz, könnten es aber.

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Die JA wird bereits von den Verfassungsschutzbehörden in Bremen, Niedersachsen und Baden-Württemberg beobachtet. Das BfV geht auch dem Verdacht nach, die JA stehe in Teilen in direkter Verbindung mit der Identitären Bewegung. Die Identitären werden vom Bundesamt bereits seit 2016 als "Verdachtsfall" geführt und entsprechend beobachtet. Die Behörde nennt die Identitären in ihrem Jahresbericht.

Es gebe bei der JA „hinreichende Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen“, die „dem Grundgesetz fremd“ seien, hieß es. Die JA bediene sich einer Sprache, die die Menschenwürde besonders von Flüchtlingen bewusst verletze. Als Beispiele nannten Vertreter des Bundesamtes Begriffe wie „Messermigration“, „trieborientierte Invasoren“, „Dreckskulturen“ und „Lumpenproletariat Afrikas“. Der JA gehe es um die „systematische Abwertung von Migranten“, die „Verächtlichmachung des Parlamentarismus“ und die „Missachtung der Gewaltenteilung“. Die JA billige „Selbstjustiz“. Haldenwang nannte die JA „teils eindeutig verfassungswidrig“.

Björn Höcke und seine Reden

Bei der Vereinigung "Der Flügel" hält das BfV unter anderem die Reden ihres Wortführers Höcke für bedenklich. Höcke hatte unter anderem im Januar 2017 in einer Rede in Dresden das Berliner Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnet und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert.

Höckes „Sofortagenda“ trage deutlich völkische Züge und schrecke auch vor „umstürzlerischen Mitteln“ nicht zurück. Höcke habe eine „überragende Bedeutung“ für die Szene. Erst mit einigem Abstand fielen die Namen des Brandenburger AfD-Chefs Andreas Kalbitz und die des Sprechers der „Patriotischen Plattform“, Hans-Thomas Tillschneider.

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Die AfD bleibt dagegen im Status eines Prüffalls. Für die gesamte Bundespartei habe das BfV in offen zugänglichen Quellen keine hinreichenden Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen finden können, auch wenn es vereinzelt „durchaus ernste Anhaltspunkte“ gebe. Gegen eine Beobachtung der gesamten Partei spreche vor allem, dass die AfD mit rund 30.000 Mitgliedern zu heterogen sei.

SPD-Innenexperte Lischka hält AfD-Beobachtung für unausweichlich

Verfassungsschutzchefs der Länder sprachen am Dienstag von einem „vorschnellen Alleingang“ Haldenwangs und zeigten sich überrascht vom frühen Termin der Verkündung. Nach RND-Informationen hatte sich in der vergangenen Woche auf Länderebene breiter Widerstand gegen den 15. Januar als Tag der Bekanntgabe formiert. Am Freitag sei deshalb eine Telefonkonferenz mit Stefan Kaller, dem Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit im Bundesinnenministerium (BSI), einberufen worden, heißt es.

Kaller wird von Teilnehmern mit der Aussage zitiert: „Das BMI will sich die Vorschläge Haldenwangs in Ruhe anschauen.“ Die Prüfung sei frühestens Ende Januar abgeschlossen. Ein Verfassungsschutzchef aus Ostdeutschland sagte dem RND: „Haldenwang hat seine Entscheidung an uns vorbei getroffen. Das wird Konsequenzen nach sich ziehen.“

SPD-Politiker Lischka: Ein gutes Zeichen

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, sagte dem RND hingegen: „Das ist ein sehr gutes Zeichen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz unter seinem neuen Präsidenten Thomas Haldenwang in der Sache tätig wird.“ Laut Lischka war der frühere Präsident des BfV, Hans-Georg Maaßen, nicht bereit, sich überhaupt mit den Ländern zu dieser Thematik zu verständigen. „Aus meiner Sicht ist der Schritt der Beobachtung auch unausweichlich: Große Teile der AfD befinden sich in einem stürmischen Radikalisierungsprozess", sagte der SPD-Politiker dem RND.

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Die innenpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, Ulla Jelpke, sagte hingegen: „Die AfD ist ganz klar eine in weiten Teilen völkisch-rassistische Partei, die die Werte des Grundgesetzes mit Füßen tritt. Um das festzustellen, reicht es, sich Reden und Äußerungen von AfD-Abgeordneten und Funktionären anzuhören. Eine geheimdienstliche Aufklärung braucht es dafür nicht."

AfD-Politiker Kalbitz: „Beobachtung politisch motiviert“

Der AfD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Brandenburg, Andreas Kalbitz, sagte dem RND: „Das ist ein Produkt der politischen Hysterie und eine Reaktion auf den drohenden Erfolg der AfD besonders in Ostdeutschland.“ Kalbitz führt mit Höcke gemeinsam den „Flügel“. „Es gibt keine inhaltlichen Gründe für die Beobachtung. Wir stehen auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung“, fügte er hinzu.

Kalbitz erwartet auch keine negativen Folgen der Beobachtung für die Chancen der AfD bei den anstehenden Wahlen. „Es ist offensichtlich, dass die Beobachtung politisch motiviert ist“, sagte er. „Das kann durchaus einen konträren Effekt auslösen, gerade in ostdeutschen Bundesländern wie bei uns in Brandenburg.“

+++ Lesen Sie auch: Wie AfD-Politiker mit dem Verfassungsschutz hadern.

Von Markus Decker/Jörg Köpke/Jan Sternberg/RND

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