Verdi-Chef Frank Werneke: „Wir kämpfen um jeden Euro und jeden Cent“
Verdi-Chef Frank Werneke kündigt harte Tarifauseinandersetzungen für das kommende Jahr an.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/
Herr Werneke, als Gewerkschaftschef kämpfen Sie für Lohnerhöhungen. Haben Sie keine Angst, die Inflation damit weiter anzuheizen?
Nein. Ich sehe keine Gefahr, dass wir durch Tarifabschlüsse in diesem Jahr die Inflation weiter anheizen. Verantwortlich für die Inflation sind die Energieknappheit, auch die damit verbundene Spekulation und Probleme in den Lieferketten. Höhere Löhne sind nicht der Grund für das Problem.
Derzeit wissen wir nicht, ob es zu einem Gaslieferstopp Russlands kommt. Der würde Deutschland in eine tiefe Rezession stürzen. Wie geht man mit dieser Unsicherheit tarifpolitisch am besten um?
Es bleibt allen Beteiligten nichts anderes übrig, als auf Sicht zu fahren. Dabei gibt es aber wesentliche Ziele, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen. Gerade jetzt müssen wir für diejenigen, die geringe Einkommen haben, Verbesserungen durchsetzen, etwa durch Mindestbeträge, die in unteren Einkommensgruppen stärker wirken als prozentuale Anhebungen.
Wenn ich auf die großen Tarifrunden im kommenden Jahr blicke – ob im öffentlichen Dienst, bei der Deutschen Post oder beim Handel –, sehe ich überhaupt keinen Grund, eine Tarifpolitik mit angezogener Handbremse zu machen. Die Beschäftigten brauchen mehr Geld. Wir werden diese Auseinandersetzung konsequent und mit der notwendigen Härte führen.
Forderung nach Steuersenkung auf Heizstoffe wird laut
Angesichts der hohen Energiepreise fordert der Bund der Steuerzahler eine Senkung der Steuern auf Strom und Heizstoffe.
© Quelle: dpa
Wenn Sie davon sprechen, auf Sicht zu fahren: Wären dann nicht Einmalzahlungen statt dauerhafter Lohnerhöhungen eine Möglichkeit?
Wir müssen aktuell von 8 Prozent Preissteigerung in diesem Jahr und noch mal 5 Prozent Preissteigerung im kommenden Jahr ausgehen. Das ist die Realität, mit der die Menschen konfrontiert sind. Es glaubt doch keiner, dass die Preise wieder zurückgehen. Wir brauchen dauerhaft höhere Löhne. Einmalzahlungen reichen nicht.
Nicht nur die Menschen zu Hause haben höhere Energiekosten. Das betrifft auch viele Unternehmen.
In Dienstleistungsbranchen werden höhere Energiekosten zumeist voll an die Kunden weitergegeben. Viele Unternehmen nutzen auch die Gelegenheit und legen bei den Preisen gleich noch etwas mehr drauf. Ich sehe keinen Anlass für Lohnzurückhaltung.
Normalerweise ist der Inflationsausgleich bei Tarifverhandlungen bestenfalls ein Mindestziel. Ist es jetzt in Tarifrunden auch nur annähernd denkbar, einen vollen Inflationsausgleich durchzusetzen?
Geschenkt wird den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nichts. Wie auch in anderen Jahren gilt, dass es leichter ist, dort Lohnerhöhungen durchzusetzen, wo Beschäftigte bereit sind, sich dafür einzusetzen – durch ihr Engagement in der Gewerkschaft, auch durch Streik. Angesichts der Höhe der Inflation ist ein voller Ausgleich ein sportliches Ziel. Aber wir kämpfen um jeden Euro und jeden Cent – gerade bei den Geringverdienern.
Was erwarten Sie sich von künftigen Treffen der konzertierten Aktion?
Wir müssen in der konzertierten Aktion dringend darüber miteinander ins Gespräch kommen, welche weiteren Entlastungen für die Bevölkerung in diesem Jahr noch organisiert werden können. Dabei müssen wir weg von den ganzen Debatten, in denen es im Wesentlichen um Brutto-netto-Effekte geht: also um steuerfreie Einmalzahlungen, Begrenzung oder gar Abschaffung der kalten Progression. Das geht in die völlig falsche Richtung.
Bundeskanzler Olaf Scholz, DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi und BDA-Präsident Rainer Dulger geben ein Statement zur konzertierten Aktion ab.
© Quelle: IMAGO/Mike Schmidt
Ließe sich mit diesen Maßnahmen nicht vielen Menschen helfen?
Das Ziel muss sein, Entlastungen für alle Teile der Bevölkerung zu schaffen – nicht nur für die abhängig Beschäftigten. Ich fordere die Bundesregierung auf, jetzt schnell zusätzliche Entlastungen für Rentnerinnen und Rentner, insbesondere Beschäftigte mit eher niedrigen Einkommen, aber auch für erwerbslose Leistungsempfänger zu schaffen. Sie leiden am meisten unter den Preissteigerungen.
Die Probleme, die durch die hohen Preise fürs Heizen entstehen, werden in diesem Winter bis tief in die Mitte der Gesellschaft reichen.
Eine warme Wohnung darf nicht zum Luxusgut werden. Deshalb plädieren die Gewerkschaften vehement für einen staatlichen Gaspreis- und Strompreisdeckel. Die Idee ist, für eine bestimmte Verbrauchsmenge – je nach Zahl der Personen im Haushalt – einen Preis auf dem Niveau des Vorjahres zu garantieren.
Fehlen dann nicht Sparanreize? Und: Glauben Sie, dass es bei Gasknappheit bei der Priorität für Privathaushalte vor der Industrie bleibt?
Es gibt klare europaweite gesetzliche Regelungen: Zuerst sind die Privathaushalte, Schulen, Krankenhäuser und so weiter mit Gas zu versorgen. Wer daran rüttelt, wie aktuell der Bundeswirtschaftsminister, legt einen politischen Brandherd. Ich bin sehr dafür, Energie zu sparen, aber das muss freiwillig geschehen.
Nicht nur Konzerne wie Uniper drohen in Schieflage zu geraten, auch Stadtwerke in ganz Deutschland stehen vor riesigen Herausforderungen. Wie sollte die Politik damit umgehen?
Es ergibt Sinn, jetzt alles zu tun, damit die gestiegenen Gaspreise nicht mit einem Schlag an die Kundinnen und Kunden durchgereicht werden. Das setzt voraus, dass Unternehmen wie Uniper gestützt und mit Liquidität ausgestattet werden. Das ist notwendig und richtig – ebenso, wie wir einen Rettungsschirm für Stadtwerke brauchen.
Für den deutschen Steuerzahler ist es ein schlechtes Geschäft, nur die Risiken zu übernehmen, während der Mutterkonzern die Rosinen behält.
Frank Werneke,
Verdi-Chef
Gemeinsam mit den Betriebsräten und der IG Bergbau Chemie Energie haben wir uns aber in Sachen Uniper mit einem Brief an die Bundesregierung gewandt, um eines sehr deutlich zu machen: Der Konzern darf nicht zerschlagen werden. Für den deutschen Steuerzahler ist es ein schlechtes Geschäft, nur die Risiken zu übernehmen, während der Mutterkonzern die Rosinen behält.
Sehen Sie durch die vielen Ausgaben in der Krise die sozialpolitischen Vorhaben der Ampelkoalition, zum Beispiel das Bürgergeld, gefährdet?
Ich erwarte, dass die großen sozialpolitischen Maßnahmen in dieser Legislaturperiode angegangen werden. Dazu gehören das Bürgergeld und die dauerhafte Stabilisierung des Rentenniveaus. Mit Blick auf die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge sage ich deutlich: Es ist nicht in Ordnung, dass der Bund sich einen schlanken Fuß bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen macht. Ein erheblicher Teil der Zusatzkosten ist auf politische Entscheidungen in der Pandemie zurückzuführen. Deshalb muss der Bundeszuschuss deutlich höher als die bisher geplanten 2 Milliarden Euro ausfallen.
Bislang ist nicht klar, welche finanziellen Verbesserungen das Bürgergeld – das Hartz IV ablösen soll – tatsächlich bringen wird. Wie stark muss aus Ihrer Sicht der Regelsatz angehoben werden?
Angesichts der derzeitigen Preisentwicklung brauchen wir in der Grundsicherung eine Anhebung des Regelsatzes um 200 Euro. Darum darf sich die Ampel nicht drücken, wenn sie den Armen im Land mit der Reform wirklich helfen will. Ein schöner neuer Name allein macht keine gelungene Sozialreform aus.
Wie soll der Staat, der in der Krise ohnehin schon schwer belastet ist, das alles finanzieren?
Die Rückkehr zur Schuldenbremse im kommenden Jahr macht vielleicht Christian Lindner glücklich, aber die Bevölkerung muss leiden. In dieser multiplen Krisensituation ist sie der falsche Weg. Wir brauchen jetzt eine höhere Nettokreditaufnahme. Danach gilt: Die starken Schultern werden mehr tragen müssen.