Verbraucherschützer zum Klimaschutz: “Vegetarisches Soufflé geht an Weihnachten auch”
Klaus Müller, Deutschlands oberster Verbraucherschützer.
© Quelle: Corinna Guthknecht
Herr Müller, am Freitag gibt es den nächsten globalen Klimastreik. Was bringen Proteste noch – nach diesem Jahr der Demonstrationen?
Die Bundeskanzlerin hat selbst gesagt, dass der Klimawandel eine Schicksalsfrage für die Menschheit ist. Und uns bleibt nicht viel Zeit. Die Uhr tickt. Deswegen sind die Proteste wichtig. Sie konfrontieren die Politik mit der Frage, ob sie genug zur Sicherung unserer Lebensgrundlagen tut, zum Beispiel, indem sie den Kohlekompromiss wirklich so umsetzt, wie die Kohlekommission ihn vereinbart hat. Es bedeutet, beim Klimapaket zu fragen, ob es wirksam und gerecht ist. Beides beantworten wir derzeit leider mit Nein.
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Fridays for Future protestiert seit Monaten für mehr Klimaschutz.
© Quelle: imago images/Michael Schick
Was kann jeder in seinem Haushalt für Klimaschutz tun?
Die Mehrheit der Verbraucher will einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Aber aktuell ist es ja so, dass jeder in Deutschland einen zu großen CO₂-Fußabdruck hinterlässt, selbst wenn er auf Fliegen, Autofahren oder Fleischkonsum verzichtet. Es gibt eben einen “CO₂-Rucksack”, den wir aufgrund unseres CO₂-intensiven Wirtschaftssystems in Deutschland mit uns schleppen. Es wäre deshalb falsch, alleine dem Verbraucher die Verantwortung aufzudrücken. Die Politik muss die Rahmenbedingungen verändern, unser Wirtschaftssystem von den fossilen Energien entkoppeln und dem Verbraucher ermöglichen, CO₂-freier zu konsumieren. Aber natürlich kann und sollte auch der Einzelne etwas tun. Zum Beispiel bei der Frage, ob ich fliege oder Bahn fahre, wie ich mich ernähre oder wie ich mein Haus wärmedämmen kann. Eine Fassadendämmung ist oft das Effizienteste, mit dem ich langfristig viel CO₂ einsparen kann. Wer will, kann sich dazu von uns beraten lassen. Allein im Jahr 2018 haben die Verbraucherzentralen mehr als 120.000 Verbraucher anbieterunabhängig in Sachen Energiesparen beraten und dadurch rund 1,4 Millionen Tonnen CO₂ einsparen können. Das entspricht einem Güterzug voll Steinkohle von mehr als 60 Kilometern Länge.
Und wie sieht es im täglichen Konsum aus? Woher weiß ich, wie klimaschädlich produziert die Dinge sind, die ich kaufe?
Aktuell können Sie das nicht wissen. Der Verbraucher kann die CO₂-Auswirkungen seines Konsums schlicht nicht erkennen, dafür sind die Lieferketten unserer Produkte zu komplex. Die Verbraucher werden das Klima auch deshalb nicht mit dem Einkaufswagen retten können. Umso wichtiger ist es, dass die Hersteller ihre Produktionsprozesse umstellen, um klimaverträglicher zu produzieren. Für Verbraucher gibt es aber hilfreiche Faustregeln: Regionale und saisonale Lebensmittel sind aus Klimaperspektive vernünftig, langlebige Produkte, Mehrweg- statt Einwegverpackungen.
Sie waren grüner Minister in Schleswig-Holstein – welchen Weihnachtswunsch haben Sie an Ihre Partei?
Ich wünsche mir von allen Parteien, dass sie bessere und verbraucherfreundliche Vorschläge auf den Tisch legen als das derzeit der Fall ist. Sie müssen zukunftsfähige Verkehrskonzepte entwickeln, die sozial gerecht sind und erklären, wie sie das finanzieren wollen. Und sie müssen entscheiden, ob sie auf allen Feldern gleichzeitig voranschreiten wollen – Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende, und wie sie das schaffen wollen. Wir müssen die Verbraucher mitnehmen, sonst wird das nicht gelingen.
Die meisten Menschen wünschen sich profanere Dinge zu Weihnachten – die man entweder im Onlinehandel oder im Geschäft kauft. Welcher Weg ist klimafreundlicher?
Die Studienlage ist da noch nicht ganz klar. Es macht wahrscheinlich für die Klimabilanz keinen Unterschied, ob ich mir Weihnachtsgeschenke liefern lasse oder mit dem Auto in die Innenstadt zum Einzelhandel fahre. Ein Problem für die CO₂-Bilanz sind aber definitiv die vielen Retouren. Deutschland ist leider Europameister beim “Zurückschicken”. Der Handel hätte aber die Möglichkeit, die Zahl der Retouren durch bessere Produktangaben zum Beispiel zu verlässlichen Kleidergrößen deutlich zu reduzieren, und jeder kann sich entscheiden, nicht fünf Hosen zu bestellen, obwohl man nur eine kaufen will.
Greta Thunberg findet Mitfahrgelegenheit nach Europa
Die schwedische Klimaaktivistin hat eine Mitfahrgelegenheit gefunden, damit sie es doch noch rechtzeitig zurück nach Europa schaffen kann.
© Quelle: dpa
Greta Thunberg fährt mit einem Katamaran über den Atlantik zur Klimakonferenz nach Spanien – Show oder Vorbild?
Ich habe großen Respekt vor allen Menschen, die sich mit ganzer Kraft für eine gute Sache einsetzen. So wie Greta Thunberg. Sie ist zu einer Ikone geworden, im Guten wie im Schlechten. Was sie tut, ist bewunderns- und bemerkenswert. Aber es hat nichts mit der Lebensrealität von 99,99 Prozent der Menschen in Deutschland und Schweden zu tun. Wenn wir Greta Thunbergs Handeln zum Maßstab nehmen, ist niemandem geholfen. Davon haben das Klima nichts, die Umweltbewegung nichts und die Verbraucher am allerwenigsten. Die Messlatte wird unrealistisch hoch gesetzt – das ist wie der Abnehmvorsatz nach Neujahr. Ende Januar ziehen sich alle wieder aus dem Fitnessstudio zurück und sind frustriert, weil sie es nicht geschafft haben.
Also darf jeder nach Lust und Laune durch die Welt fliegen?
Ich glaube an gute Politik, die den nationalen CO₂-Rucksack reduzieren kann. Dafür leben wir in einer Demokratie. Die Politik bestimmt unser Wirtschaftssystem. Ich werbe für Anreize und attraktive Angebote, die den Menschen eine gute Alternative bieten. Ich setze auf Konzepte, die funktionieren und bei denen eine Mehrheit der Bevölkerung mitgeht. Das sind Kennzeichnungen, Preisanreize, mehr schnelle Züge, attraktive, digital gesteuerte Formen öffentlicher Mobilität und den Mut, dass klimaschädliche Produkte nicht mehr verkauft werden dürfen. Aber um es nochmal zu sagen: Die Hauptverantwortung liegt bei Politik und Unternehmen.
Aber ganz ohne Verantwortung ist doch auch der Einzelne nicht?
Natürlich nicht. Wer sinnlos heizt, unnötig mit dem Flieger reist oder übermäßig Fleisch konsumiert, sollte sich schon fragen, welche Auswirkungen das hat und deutlich merken, dass dies für ihn teurer ist. Aber ich will niemandem die Weihnachtsgans nehmen. Aber am zweiten Feiertag könnte es ja auch mal ein hervorragendes vegetarisches Zucchinisoufflé sein. Beides ist köstlich und lecker.
Klaus Müller (48) ist Vorstand des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes. Von 2000 bis 2005 war er für die Grünen Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein.
RND