Kritik an Bidens Ukraine-Politik

Ein Hauch von Wagenknecht in Washington

Attacke von links auf Joe Bidens Ukraine-Politik: Die Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez aus New York (l.) und Ilhan Omar aus Minnesota (Mitte) gehören zu den Unterzeichnerinnen eines Appells, in dem rasche Verhandlungen mit Russland verlangt werden.

Attacke von links auf Joe Bidens Ukraine-Politik: Die Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez aus New York (l.) und Ilhan Omar aus Minnesota (Mitte) gehören zu den Unterzeichnerinnen eines Appells, in dem rasche Verhandlungen mit Russland verlangt werden.

Monatelang blickte US-Präsident Joe Biden zufrieden auf eine überparteiliche Mehrheit im Kongress. Wenn es um die Unterstützung der Ukraine gegen Russlands Angriffskrieg ging, trugen Demokraten und Republikaner immer wieder die Linie des Präsidenten mit: Beide Parteien sagten Ja zu Waffenlieferungen. Beide sagten Ja zur Sanktionspolitik gegenüber Moskau. Und beide trugen eine Politik mit, die es Kiew überlässt, wann und unter welchen Umständen das von Wladimir Putin angegriffene Land in mögliche Verhandlungen über einen Waffenstillstand einsteigen will.

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Jetzt bröckelt diese breite Mehrheit, jeden Tag ein bisschen mehr – und von beiden Seiten.

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Schluss mit den „Blankoschecks“

Es ging los mit einer lauter werdenden Maulerei auf der rechten Seite des Mittelgangs, bei den Republikanern. Der Abgeordnete Kevin McCarthy aus Kalifornien ließ wissen, er und viele seiner republikanischen Parteifreunde hätten angesichts der drohenden Rezession in den USA keine Lust mehr, der Ukraine weitere „Blankoschecks“ auszustellen.

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McCarthy spricht für den isolationistischen Flügel seiner Partei, für die Trumpisten mit ihrer America-First-Theorie. Nach ihrer Ansicht sollte man den Europäern den Konflikt mit Russland überlassen, ihnen alles Gute wünschen – und für den Fall nachfolgender kriegerischer Eskalationen und Flüchtlingsströme einfach nur dichtmachen und die US-Außengrenzen stärker sichern.

Isolationismus war in den USA auch in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts eine populäre Idee. Dass damit der Zweite Weltkrieg und der Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus begünstigt wurden, spielt in den aktuellen Debatten keine Rolle: Heute wie damals wollen viele Amerikaner sich einfach nur in sich selbst zurückziehen. Welterfahrene Republikaner wie der frühere Außenminister Mike Pompeo sehen zwar in dieser Haltung eine Gefahr, am Ende auch für die USA selbst. Doch sie dringen immer weniger durch gegen eine anschwellende populistische Stimmung, wonach Amerika in schwierigen Zeiten doch bitte erst mal den eigenen Leuten helfen solle.

Wahrscheinlich ist er nach den Zwischenwahlen am 8. November dritter Mann im Staat: Kevin McCarthy, Chef der Republikaner im Repräsentantenhaus.

Wahrscheinlich ist er nach den Zwischenwahlen am 8. November dritter Mann im Staat: Kevin McCarthy, Chef der Republikaner im Repräsentantenhaus.

McCarthy ist als ranghöchster Republikaner im Repräsentantenhaus schon jetzt ein einflussreicher Mann. Seine Macht dürfte aber nach den Zwischenwahlen zum Kongress am 8. November noch schlagartig wachsen: Die Republikaner haben gute Aussichten, im derzeit von den Demokraten dominierten Repräsentantenhaus die Mehrheit zurückzugewinnen. Das bedeutet nicht nur mehr Mitspracherecht, etwa bei Finanzbeschlüssen. Es bedeutet auch, dass McCarthy als „Speaker“ des Repräsentantenhauses die Demokratin Nancy Pelosi ablösen würde, seit Jahrzehnten eine wackere Streiterin für die weltweite Beachtung von Menschenrechten.

Zugleich wäre McCarthy künftig „third in line“, der dritte Mann im Staat. Bei einem gleichzeitigen Ausfall von Präsident und Vizepräsidentin würde ihm nach der amerikanischen Verfassung die Führung der gesamten Staatsgeschäfte der USA zufallen – eine Vorstellung, die derzeit viele US-Demokraten gruseln lässt.

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Beifall von rechts für linke Kritiker

Doch auch bei den Demokraten gerät zurzeit manches ins Rutschen. In der Ukraine-Politik verliert das Weiße Haus derzeit erstmals Rückhalt von namhaften Leuten aus der eigenen Partei.

Zu Beginn dieser Woche unterzeichneten 30 Politikerinnen und Politiker vom linken Flügel der Biden-Partei einen Appell, der den Präsidenten unter Druck setzt. Die Zeit sei jetzt reif für direkte Verhandlungen mit Russland, meinen unter anderem Jamie Raskin (Maryland), Alexandria Ocasio-Cortez (New York), Cori Bush (Missouri), Ro Khanna (Kalifornien) und Ilhan Omar (Minnesota).

Später erklärte die Sprecherin der Gruppe, Pramila Jayapal (Washington), man ziehe den Brief noch einmal zurück - an die Öffentlichkeit sei eine unbearbeitete Version gelangt, die von Stabsmitarbeitern herausgegeben worden sei. Jayapal bemühte sich auch um Distanz zu den Positionen des Republikaners McCarthy.

Dennoch sind die Parallelen unverkennbar. Auch in der Gruppe der 30 wird auf die durch die Ukraine-Krise in den USA gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel verwiesen. In diesem Punkt bekommen Bidens linke Kritiker auch Beifall von rechts – ähnlich wie die deutsche Linke Sahra Wagenknecht mit ihrer Kritik an der Regierung in Berlin.

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Das Weiße Haus hat diese Entwicklungen offenbar kommen sehen – und agiert extrem behutsam. Zum Brief der 30 erklärte Bidens sicherheitspolitischer Sprecher John Kirby, die Regierung nehme die darin zum Ausdruck kommenden Bedenken sehr ernst. Zugleich allerdings machte Kirby klar: „Wir werden keine Gespräche mit der russischen Führung führen, ohne dass die Ukrainer vertreten sind.“

Biden: „Armageddon“ so nah wie seit Kuba-Krise nicht mehr
ARCHIV - 23.08.2017, Russland, Moskau: Eine mit Nuklearsprengköpfen bestückbare Interkontinentalrakete vom Typ Topol wird  auf einer Rüstungsmesse präsentiert. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat Sorgen vor einem Atomkrieg ausgelöst. Zugleich befürchten Friedensforscher, dass es künftig wieder mehr Atomwaffen in der Welt geben dürfte. Der Krieg dürfte sich dabei indirekt auf die nuklearen Arsenale auswirken. (zu dpa "Friedensforscher rechnen mit wachsenden Atomwaffenarsenalen") Foto: -/YNA/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

US-Präsident Biden sieht die Gefahr einer atomaren Konfrontation mit katastrophalen Folgen nach Drohungen aus dem Kreml so groß wie seit 60 Jahren nicht mehr.

Noch ist Bidens Mehrheit nicht verloren

Ein Hauch von Wagenknecht zieht durch Washington – doch die Tatsächlichkeiten ändern sich nicht so schnell. Im Oval Office werden jetzt die Taschenrechner gezückt. Noch ist die breite Mehrheit für die Politik des Präsidenten nicht verloren. Noch laufen in beiden Parteien lebhafte Debatten – bei denen auch jene erneut in die Defensive geraten könnten, die „zu soft“ gegenüber Putin erscheinen.

Bei den Republikanern machen gerade einige Senatoren gegen McCarthy mobil: Auf keinen Fall werde man die Ukraine Russland aushändigen, heißt die Losung. Auch bei den Demokraten fassen sich einige an den Kopf und unterstellen der Gruppe der 30 außenpolitische Ahnungslosigkeit.

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Der zum linken Flügel seiner Partei gehörende Demokrat Ruben Gallego aus Arizona zum Beispiel macht bei dem Appell der 30 nicht mit. Er hält grundsätzlich nichts davon, eine engagierte Politik für sozial Schwache im eigenen Lande irgendwie zu verbinden mit einer sanfteren Linie gegenüber Wladimir Putin. Über den vielzitierten kleinen Mann und dessen Nöte muss ihm keiner was erzählen. Gallego, Sohn armer Immigranten, hat einst Toiletten geputzt und in Schlachtereien gearbeitet, um sein Studium zu finanzieren. Warum sollte das seine Haltung gegenüber auswärtigen Diktatoren beeinflussen? In künftigen Debatten im Kongress, sagt Gallego, werde er sich dafür einsetzen, „dass die Ukraine genug Hilfe und Waffen bekommt, um den Krieg vollständig zu gewinnen“.

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