Was Sie über das USA-Taliban-Abkommen wissen müssen
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Zalmay Khalilzad, US-Sondergesandte für Aussöhnung in Afghanistan, und Mullah Abdul Ghani Baradar, Leiter des politischen Büros der Taliban (v.l.), schütteln sich die Hand, nachdem sie in Doha (Katar) ein Abkommen über Wege zu einem Frieden zwischen den USA und der militant-islamistischen Taliban unterzeichnet haben.
© Quelle: Hussein Sayed/AP/dpa
Kabul/Washington. Mehr als 18 Jahre nach Beginn der US-Einsatzes in Afghanistan hat Washington ein Abkommen mit den militant-islamistischen Taliban unterzeichnet. Es soll den längsten Krieg der USA zu einem Ende führen. Die nur teilweise bekannten Opferzahlen sind immens. Seit 2001 starben nach Angaben des Pentagons in Afghanistan mehr als 1800 US-Soldaten bei Anschlägen oder Gefechten. Wie viele Taliban umkamen, ist unbekannt.
Die Zahl der seit 2009 verletzten oder getöteten Zivilisten geben die UN mit mehr als 100.000 an. Die Verluste der afghanischen Sicherheitskräfte bezifferte Präsident Aschraf Ghani im Januar 2019 nur für seine Amtszeit auf mehr als 45.000 Tote. Ein Blick darauf, worauf sich die USA und die Taliban geeinigt haben.
Wie sehen die Grundzüge des USA-Taliban-Abkommens aus?
Im Gegenzug für Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wie Al-Kaida mehr wird und die Islamisten lange verweigerte Friedensverhandlungen mit Kabul eingehen, leiten die USA den Abzug ihrer Truppen aus dem Land ein.
Anfangs hatten die USA auch einen umfassenden Waffenstillstand von den Islamisten gefordert. Diesen konnte Washington den Taliban, die Gewalt als ihren wichtigsten Hebel sehen, aber nicht abringen. Ein dauerhafter Waffenstillstand soll laut dem Abkommen im Zuge innerafghanischer Verhandlungen diskutiert werden.
Wie steht US-Präsident Donald Trump zum Afghanistan-Einsatz?
Trump hat mehrfach versprochen, die "endlosen Kriege" zu einem Abschluss zu bringen, die Amerika im Ausland führt. Das hat sich allerdings als schwierig herausgestellt, so ist es beispielsweise immer noch nicht zu dem von Trump Ende 2018 angekündigten Abzug der US-Truppen aus Syrien gekommen. Dasselbe galt bislang für Afghanistan. Bei seiner Ansprache zur Lage der Nation zu Monatsbeginn sagte Trump: "Wir arbeiten daran, den längsten Krieg Amerikas endlich zu beenden und unsere Truppen wieder nach Hause zu bringen." Trump betonte zugleich, es sei zu enormen Fortschritten in Afghanistan gekommen, "und Friedensgespräche sind jetzt im Gange". Er wolle sich sogar mit Vertretern der Taliban treffen, erklärte er am Abend (Ortszeit) in Washington.
Wie rasch würden die Truppen aus Afghanistan abziehen?
In einer ersten Tranche soll die Zahl der aktuell rund 13.000 US-Soldaten binnen 135 Tagen auf 8600 verringert werden, proportional dazu soll die Zahl der Nato-Truppen reduziert werden. In diesen rund viereinhalb Monaten sollen fünf Militärbasen komplett geräumt werden. In neuneinhalb weiteren Monaten sollen alle Truppen abgezogen und alle Militärbasen geräumt sein. Dies setzt voraus, dass die Taliban ihre Verpflichtungen aus dem Abkommen einhalten.
Der Großteil der US-Soldaten, rund 8000, war bisher für die Nato-Mission "Resolute Support" (RS) im Land, die afghanische Sicherheitskräfte ausbildet. Weitere rund 5000 sind im Anti-Terror-Kampf eingesetzt, oder für beides.
Was müssen die Taliban konkret liefern?
Die Taliban verpflichteten sich, dass aus Afghanistan keine Gefahr für die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten mehr ausgehe. Damit sind Garantien gemeint, dass die Islamisten künftig keinen terroristischen Gruppen mehr Unterschlupf bieten. Sie versprechen unter anderem, diese Gruppen davon abzuhalten, Kämpfer zu rekrutieren, auszubilden oder Gelder für sie zu sammeln.
Mehrmals wird dabei explizit das Terrornetz Al-Kaida erwähnt. Für die USA hat eine derartige Zusage besondere Bedeutung. Die Taliban wurden 2001 nach den Al-Kaida-Angriffen in New York und Washington mit fast 3000 Toten von einer US-geführten Militärintervention von der Macht vertrieben. Sie hatten Al-Kaida-Chef Osama bin Laden beherbergt, den die USA für Angriffe verantwortlich machten. Zudem rechtfertigten sie ihren Einsatz in Afghanistan damit zu verhindern, dass das Land wieder ein sicherer Hafen für Terroristen wird.
Ein UN-Bericht von Januar schätzte zuletzt die Zahl der Al-Kaida- Kämpfer im Land auf zwischen 400 und 600.
Neben Al-Kaida kooperierten die Taliban einem UN-Bericht zufolge bisher aber auch mit fast 20 weiteren regional und global ausgerichteten militanten Gruppen in Afghanistan. Die Terrormiliz Islamischer Staat hingegen haben sie seit Beginn ihres Auftauchens Anfang 2015 an heftig bekämpft.
Und die “innerafghanischen” Verhandlungen?
Die Taliban verpflichten sich mit dem Abkommen, binnen kurzer Zeit nach Unterzeichnung innerafghanische Friedensgespräche einzugehen. Diese sollen bereits am 10. März beginnen, einem US-Offiziellen zufolge in der norwegischen Hauptstadt Oslo. Manche Experten sehen darin den größten Wert des USA-Taliban-Abkommens: Dass es die Taliban endlich mit der Regierung in Kabul und anderen afghanischen Seiten an den Verhandlungstisch bringt.
Ist das USA-Taliban-Abkommen ein Friedensabkommen?
Das sehen die wenigsten Beobachter so. Es ist ein erster Schritt in Richtung Frieden. Bisher fehlte eine Konfliktpartei - die Regierung in Kabul. Gleichzeitig wurden zwei der Punkte für dauerhaften Frieden an die innerafghanischen Verhandlungen ausgelagert: ein landesweiter, dauerhafter Waffenstillstand sowie ein Abkommen über die künftige Verteilung der politischen Macht in Afghanistan - also darüber, wie die Taliban politisch eingegliedert werden. Die eigentlichen Friedensgespräche für das Land stehen somit erst noch bevor. Beobachter gehen davon aus, dass es mindestens ein Jahr bis zu einem innerafghanischen Friedensschluss dauert.
Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), reagierte skeptisch auf das Abkommen. “Im besten Fall ist das Abkommen der Beginn eines Weges zu Frieden und Selbstorganisation", sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). “Aber Skepsis bleibt in Afghanistan immer geboten.” Bartels fügte hinzu: “Sicher ist: Ohne die Amerikaner gibt es keinen Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Schließlich sind wir seinerzeit aus Solidarität mit den USA nach Afghanistan gegangen. Es muss das Motto gelten: gemeinsam rein, gemeinsam raus. Unsere Soldaten wären froh, wenn ein Ende des Einsatzes absehbar wäre – aber nicht um jeden Preis. Dafür hat es zu viele Opfer gegeben.”
Was passiert mit den Truppen der Bundeswehr?
Die Bundeswehr ist in Afghanistan an der Nato-Ausbildungsmission “Resolute Support” beteiligt, die inklusive US-Soldaten insgesamt rund 16.500 Truppen aus 38 Ländern umfasst und afghanische Sicherheitskräfte ausbildet. Deutschland hat als sogenannte Rahmennation die Führung des Einsatzes im Norden des Landes und rund 1200 Soldaten im Land. Die Bundeswehr ist in einigen Teilbereichen auf die Zusammenarbeit mit den US-Kräften (“critical enabler”) angewiesen. Dazu gehört die Fähigkeit der US-Streitkräfte, taktisch-medizinische Evakuierungen bei Verletzungen von Soldaten sicherzustellen und der Zugang zu einem großen US-Lazarett. Zudem: Die USA fliegen Luftangriffe zur Unterstützung von Bodentruppen.
In dem Abkommen heißt es, dass die Nato-Truppen proportional zu den US-Truppen abgezogen werden. Wenn somit die US-Truppen in den ersten viereinhalb Monaten um rund ein Drittel reduziert werden, müsste dies bedeuten, dass auch die Nato ein Drittel der Truppen abzieht. Von einer Sprecherin des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr hieß es am Samstag, man habe das Abkommen zur Kenntnis genommen. Was dies weiter bedeuten würde, sei eine politische Entscheidung.
Wie hat sich die US-Truppenpräsenz in Afghanistan entwickelt?
Sollten die USA ihre Truppen nun tatsächlich auf zunächst 8600 Soldaten verringern, wäre in etwa der Stand bei Trumps Amtsübernahme von Barack Obama Anfang 2017 erreicht. Obama hatte angekündigt, die Zahl der Soldaten bis zu seinem Ausscheiden aus dem Weißen Haus auf 8400 zu verringern. Wegen der angespannten Lage in Afghanistan verstärkte Trump die Truppen danach, obwohl er schon Jahre zuvor einen sofortigen Abzug gefordert hatte. Zu Hochzeiten hatten die USA 2010/2011 rund 100.000 Soldaten in Afghanistan stationiert - unter Obama. Dieser reduzierte die Truppenpräsenz dann schrittweise. Zum Vergleich: Im März 2002 - wenige Monate nach Beginn des Einsatzes - waren gut 7000 US-Soldaten in Afghanistan.
Wie hält es die amerikanische Öffentlichkeit mit dem Einsatz?
In einer im vergangenen September veröffentlichten Umfrage des Instituts Gallup sagten 52 Prozent der Befragten, es sei kein Fehler gewesen, US-Truppen 2001 nach Afghanistan zu schicken. 43 Prozent hielten es für falsch. Im November 2001 - kurz nach dem Einmarsch - fanden noch 89 Prozent der Befragten die Entsendung der US-Soldaten richtig, nur 9 Prozent gingen davon aus, dass der Krieg ein Fehler sei. Das Institut Pew stellte im Frühjahr 2019 eine etwas andere Frage: Ob es angesichts der Kosten und des Nutzens Wert gewesen sei, den Krieg in Afghanistan zu kämpfen. Dazu sagten 59 Prozent, der Einsatz sei es nicht wert gewesen. Unter Veteranen ergab sich in der Umfrage ein ähnliches Bild: Bei ihnen lag dieser Wert bei 58 Prozent.
Ist Trump selber mit Taliban-Vertretern zusammengekommen?
Nein, er hatte das aber geplant. Der Präsident wollte im vergangenen September Geheimtreffen mit Vertretern der Taliban und - getrennt davon - mit dem afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani abhalten. Die Verkündung einer Einigung wäre ein spektakulärer Erfolg für Trump gewesen. Am Vorabend sagte er das Treffen im Landsitz des US-Präsidenten in Camp David dann aber per Twitter ab. Als Grund nannte Trump einen Taliban-Anschlag wenige Tage zuvor in Kabul mit zwölf Toten, darunter war auch ein US-Soldat. Trump erklärte die Verhandlungen mit den Taliban danach für "tot". Das stellte sich allerdings als vorschnell hinaus.
RND/dpa