Als Hochstapler in den amerikanischen Kongress: der talentierte Mr. Santos
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Jung, erfolgreich, dynamisch – so präsentierte sich der Trump-Anhänger George Santos im Wahlkampf in New York.
© Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Washington. Er schien einen neuen Typ von Republikanern zu verkörpern: 34 Jahre jung, charismatisch und weder weiß noch heterosexuell. Ein Trump-Anhänger zwar, aber ein offen schwuler brasilianisch-amerikanischer Migrant und jüdischer Nachfahre einer ukrainischstämmigen Großmutter, die vor dem Holocaust flüchten musste. Ein Selfmade-Mann mit erheblichem Vermögen, der unabhängig von Parteispenden ist und nebenbei ein Tierheim finanziert.
Bei den Wählern der New Yorker Stadtteile Long Island und Queens machte George Santos mächtig Eindruck: Mit acht Punkten Vorsprung gewann er im November den traditionell demokratischen Bezirk und konnte damit einen kritischen Sitz für die hauchdünne neue Kongress-Mehrheit der Republikaner sichern. Doch kurz vor der Konstituierung des Repräsentantenhauses am 3. Januar zeigt sich: Die Geschichte war zu schön, um wahr zu sein. Seine Herkunft, die berufliche Karriere, den Reichtum – alles hat Santos erlogen.
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In der Woche vor Weihnachten hatte die „New York Times“ eine erste Enthüllungsgeschichte gebracht, die zahlreiche Widersprüche in der Biografie aufdeckte. Die Zeitung wolle mit einer Verleumdungskampagne seinen „guten Namen“ beschmutzen, hatte Santos da gekontert und Winston Churchill zitiert: „Du hast Feinde? Gut. Das bedeutet, dass du für etwas einstehst.“ Am Montag klang Santos etwas kleinlauter. In einem Interview mit der „New York Post“ gestand er zwischen allerlei Ausflüchten, er habe seinen Lebenslauf ausgeschmückt: „Ich gestehe das ein. (...) Wir machen dumme Sachen im Leben.“
Job im Callcenter statt bei der Investmentbank
Tatsächlich ist das Ausmaß der Falschaussagen und Hochstapelei des frischgebackenen Abgeordneten atemberaubend. Angeblich hat er ein Diplom des prestigeträchtigen Baruch Colleges in New York – tatsächlich hat er weder hier noch sonstwo studiert. Im Wahlkampf protzte er mit einer Karriere als Fondsmanager bei den Investmentbanken Citigroup und Goldman Sachs – tatsächlich jobbte er zeitweise für einen Stundenlohn von 15 Dollar in einem Callcenter. Auch die 13 Häuser, die er in Brasilien, New York und auf der Millionärsinsel Nantucket besitzen will, sind erfunden. Tatsächlich wurden Santos und seine Mutter nach Recherchen der „New York Times“ wegen Mietschulden mehrfach aus ihren Wohnungen geworfen.
Santos ist auch nicht jüdischen Glaubens. „Ich bin klar Katholik“, sagte er der „New York Post“. Die jüdisch-amerikanischen Zeitschriften „The Forward“ und „Jewish Insider“ formulieren starke Zweifel an der angeblichen Verfolgungsgeschichte der Großmutter. Höchstwahrscheinlich sind die Großeltern in Brasilien und nicht in der Ukraine geboren. Selbst Santos’ Outing als Schwuler steht nun infrage: Von 2012 bis 2019 war er jedenfalls laut behördlichen Unterlagen mit einer Frau verheiratet. Inzwischen soll er mit einem Mann zusammenleben.
Als Scheckbetrüger in Brasilien verurteilt
„Ich bin kein Krimineller“, beharrt Santos, der nach Medienberichten in Brasilien wegen Scheckbetrugs verurteilt worden ist, gleichwohl. Der 34-Jährige ist entschlossen, sein Mandat anzutreten: „In meinem Wahlkampf ging es um die Sorgen der Menschen, nicht um meinen Lebenslauf.“ Als Abgeordneter werde er für seine politischen Versprechen im Parlament kämpfen.
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Während aus dem demokratischen Lager Empörung und Rücktrittsforderungen laut werden, schweigen die Republikaner, deren Chef Kevin McCarthy das neue Fraktionsmitglied im November bei Twitter überschwänglich begrüßt hatte, demonstrativ zu dem Vorgang. Mit einer Mehrheit von lediglich fünf Sitzen im neuen Repräsentantenhaus wollen sie offenkundig kein Mandat durch eine Neuwahl gefährden. Rechtlich könnte die Wahl des Hochstaplers nur angefochten werden, wenn er sein Geburtsdatum oder seine Staatsangehörigkeit falsch angegeben hätte. Allerdings ist mehr als dubios, wie Santos offenkundig ohne finanzielle Rücklagen rund 700.000 Dollar in seine eigene Kampagne stecken konnte. Mit der Verschleierung des Geldgebers könnte er gegen die Ethikregeln des Parlaments verstoßen haben und deswegen verklagt werden.
Das linke Magazin „The Nation“ sieht freilich in dem Fall auch ein Versagen der Demokraten und der Medien. Die Gegnerbeobachtung und Suche nach möglichen Schwachstellen von Kandidaten gehören eigentlich zum kleinen Einmaleins jeden Wahlkampfes in den USA, das die Demokraten in New York offenbar vernachlässigt haben. Auch die „New York Times“ startete ihre Investigativrecherche erst, nachdem der Mann, der sich auf Wahlplakaten vollmundig „Anführer einer neuen Generation“ nannte, mit 142.000 Stimmen zum neuen Abgeordneten des dritten Bezirks von New York gewählt worden war.