„Biden lässt uns im Stich“: Viele Amerikaner enttäuscht von ihrem Präsidenten
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US-Präsident Joe Biden (Archivbild)
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
New York. Im Schulterschluss haben Millionen junge Menschen, Frauen, Schwarze und andere nichtweiße Wählerinnen und Wähler Joe Biden vor mehr als einem Jahr ins Weiße Haus geschickt – beflügelt und voller Erwartungen. Zwölf Monate nach dem Amtsantritt des Demokraten ist der gemeinsame Elan dahin.
Führende Stimmen der politischen Basis prangern offen mangelnde Fortschritte bei Schlüsselversprechen aus dem Wahlkampf an. Zu langsam, zu zögerlich, lautet die Kritik. „Die Menschen haben das Gefühl, dass sie weniger kriegen als das, was sie sich ausgerechnet haben, als sie Biden ins Amt verholfen haben“, erklärt Quentin Wathum-Ocama, Präsident der demokratischen Jugendorganisation YDA. Viele ungute Emotionen kämen auf, sagt er. „Ich weiß nicht, ob das richtige Wort dafür "wutentbrannt" oder "demoralisiert" ist. Wir sind fertig. Wir sehen keine Ergebnisse.“
Mehrheiten für Gesetze in Gefahr
Für Biden hängt aber viel von Mut und Schwung seiner Anhängerschaft ab. Sie entscheidet darüber, ob die Demokraten bei den Kongresswahlen in diesem Jahr ihre dünnen Mehrheiten behalten können oder die Gesetzgebungskammern den Republikanern überlassen müssen. Schafft Biden es nicht, seine Partei zu einen und seiner politischen Basis neue Kraft einzuhauchen, spielt dies den Republikanern sowohl auf Bundesebene als auch in den einzelnen Staaten in die Karten – und eben auch bei den US-Zwischenwahlen im November, in denen das Machtverhältnis sich umkehren könnte.
Alle Wählergruppen sind enttäuscht
Derzeit ist praktisch keine der Gruppen, die Bidens Wahlsieg Ende 2020 befeuert haben, zufrieden. Die junge Generation ist vor allem gefrustet, weil sie die Zusagen im Kampf gegen den Klimawandel und gegen die Verschuldung von Studierenden nicht erfüllt sieht. Frauen sind bedrückt, dass Pläne zu Kinderbetreuung, Erziehungsurlaub und einem Vorschulprogramm für alle stocken. Und People of Color kritisieren enttäuscht, dass Biden nicht mehr für den Schutz ihrer Rechte getan habe.
„Wir haben uns für die Wahl Bidens starkgemacht, weil er uns Versprechen gegeben hat“, sagt Cori Bush. Die demokratische Abgeordnete aus Kalifornien verweist unter anderem auf Bidens Ankündigungen, gegen Polizeigewalt vorzugehen, die Verschuldung von Studierenden anzupacken oder entschlossen den Klimaschutz voranzutreiben. „Wir brauchen umgestaltende Veränderungen – unser Leben hängt davon ab“, betont Bush. „Und weil wir solche Ergebnisse noch nicht sehen, sind wir frustriert – frustriert, weil trotz allem, was wir taten für ein demokratisches Weißes Haus, Senat und Repräsentantenhaus, unsere Bedarfe und unser Leben noch immer nicht mit oberster Priorität behandelt werden. Das muss sich ändern.“
Regierung betont ihre Erfolge
Das Weiße Haus versucht zu beschwichtigen: Angesichts der Voraussetzungen, die Biden beim Amtsantritt vorgefunden habe, seien die Fortschritte beachtlich. Die Herausforderungen seien enorm gewesen, sagt Präsidentenberater Cedric Richmond - eine Pandemie, eine wirtschaftliche Krise und eine ausgehöhlte Regierung. In den ersten zwölf Monaten habe der neue Präsident bereits viel geliefert, betont Richmond und zählt unter anderem mehr als sechs Millionen neue Jobs, 200 Millionen Geimpfte und das vielfältigste Kabinett in der US-Geschichte auf. Außerdem seien historische Gesetzesvorhaben erreicht worden wie das 1,9 Billionen Dollar (knapp 1,7 Billionen Euro) starke Pandemie-Hilfe-Paket und das Infrastruktur-Paket über eine Billion Dollar (900 Milliarden Euro).
Nichtsdestotrotz ist der Rückhalt für Biden in nahezu allen Bevölkerungsgruppen gefallen, wie eine Umfrage von Associated Press-NORC Center for Public Affairs Research ergab. Bei den schwarzen Amerikanern erklärten im Dezember nur noch sieben von zehn ihre Zustimmung, im April waren es etwa 90 Prozent. In der Gruppe der Hispanoamerikaner war es nur noch die Hälfte von zuvor rund 70 Prozent. Bei den Frauen stellte sich im Dezember nur noch gut die Hälfte hinter Biden, im Frühjahr waren es rund zwei Drittel gewesen. Und bei den jüngeren Wählern ließ die Begeisterung für die Politik des Präsidenten in ähnlicher Weise nach.
Frauenorganisation: „Wir brauchen jetzt einen Kämpfer“
„Biden lässt uns im Stich“, sagt John Paul Mejia von der Jugendklimabewegung Sunrise Movement. Wenn Biden jetzt nicht die Mehrheit im Kongress nutze, um mit Zähnen und Klauen für seine Versprechen zu kämpfen, dann werde er letztlich als Feigling in die Geschichte eingehen, der sich nicht für die Demokratie und einen bewohnbaren Planeten eingesetzt habe.
„Wir brauchen jetzt einen Kämpfer“, stimmt Christian Nunes von der Frauenorganisation NOW zu. Es kämen Gesetze durch, die die von der Verfassung garantierten Rechte einschränken, bemängelt sie und meint damit auch Einschnitte beim Abtreibungsrecht in mehreren republikanisch regierten Staaten. „Wir brauchen jemanden, der sagt: Das tolerieren wir nicht.“
Quentin Wathum-Ocama von der Jugendorganisation YDA nutzt fast die gleichen Worte: „Wir wollen jetzt Joe Biden, den Kämpfer sehen.“ Jemand, der eine, sei zwar zuweilen gefragt. „Aber wir brauchen jemanden, der für unsere Themen kämpft, wenn wir uns 22 für ihn starkmachen und ihn wählen sollen.“
RND/AP