Streit über US-Zuwanderung eskaliert: Gouverneur fliegt Migranten auf Millionärsinsel
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Das Anwesen der Obamas auf Martha's Vineyard. Der Gouverneur Floridas hat nun Geflüchtete per Charterflug auf die Insel bringen lassen.
© Quelle: realtor.com
Washington. Mit ihren wilden Stränden, den pittoresken Leuchttürmen und den von rosafarbenen Heckenrosen und weißen Zäunen gesäumten Grundstücken verkörpert die südlich von Boston gelegene Insel Martha‘s Vineyard den makellosen Neu-England-Traum. Normalerweise leben hier kaum 15.000 Menschen. Im Sommer, wenn Hollywoodgrößen wie Oprah Winfrey, Spike Lee oder Larry David hier urlauben und sich die Obamas auf ihrem 12 Millionen Dollar teuren Anwesen am Meer entspannen, sind es deutlich mehr.
Doch die 50 Frauen, Männer und Kinder, die am Mittwochnachmittag mit zwei Maschinen auf dem kleinen Flughafen des Bilderbuchidylls landeten, gehören ganz offensichtlich nicht zu den betuchten Stammgästen, die morgens lässig in kurzen Hosen einen Kaffee im Chilmark General Store trinken und nachmittags in den Kunstgalerien von Edgartown shoppen gehen. Die meisten Ankommenden stammen aus Venezuela, sind erst vor wenigen Tagen über die Südgrenze der USA eingewandert, sprechen kein Englisch und hatten keine Ahnung, wohin sie die Maschine bringen würde, die sie morgens in San Antonio (Texas) bestiegen.
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Einwanderer stehen mit ihren Habseligkeiten vor der St. Andrews-Kirche auf Martha's Vineyard. Der republikanische Gouverneur von Florida, DeSantis, hatte die Menschen dorthin bringen lassen.
© Quelle: Ray Ewing/Vineyard Gazette/dpa
„Man hat ihnen gesagt, dass es ein Überraschungsgeschenk für sie gäbe und dass sie Jobs und Häuser bekämen“, berichtet Rachel Self, eine Einwanderungsanwältin aus Boston, die sich um die Gestrandeten kümmert: „Das war eine sadistische Lüge.“
Mehrere Tausend Migranten wurden schon per Bus verschickt
Tatsächlich sind die Migranten unfreiwillige Statisten in einem zynischen Polittheater, das republikanische Top-Politiker im Süden der USA inszenieren. Seit dem Frühjahr haben die Gouverneure von Texas und Arizona, Greg Abbott und Doug Ducey, Tausende Menschen, die aus Lateinamerika über die Südgrenze in die USA kamen, kurzerhand in Busse gesetzt und in von Demokraten regierte Städte wie Washington, New York und Chicago gefahren. Auf diese Weise sollen die durch die Zuwanderung verursachten Lasten von der Grenzregion umverteilt und vor allem politischer Druck auf die Biden-Regierung ausgeübt werden.
Nun hat Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida, den Konflikt auf eine neue Stufe eskaliert: Mit öffentlichen Geldern charterte er zwei Flugzeuge, die im texanischen San Antonio Migranten einsammelten, kurz in Florida zwischenlandeten und dann Kurs auf die Ferieninsel Martha‘s Vineyard nahmen.
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Trumps Ex-Außenminister Mike Pompeo amüsiert sich
In einer Pressekonferenz verkaufte DeSantis die Aktion höhnisch als humanitären Akt: Florida sei anders als der Bundesstaat Massachusetts, zu dem Martha‘s Vineyard gehört, kein „Sanctuary State“, wo illegale Einwanderer teilweise vor der Deportation geschützt sind. „Wir helfen ihnen, auf grünere Weiden zu kommen“, sagte er unter dem Applaus seiner Anhänger. Auch der rechte Sender Fox News bejubelte die Aktion. Der Songwriter James Taylor, der in dieser Woche bei einer Feier von Präsident Joe Biden seinen Song „Fire and Rain“ vortrug und ein Haus auf Martha‘s Vineyard besitzt, könne demnächst „Fire, Rain and Migrants“ singen, ätzte Moderator Jesse Walters. Der zugeschaltete Ex-Außenminister Mike Pompeo amüsierte sich köstlich.
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Tatsächlich geht es DeSantis wie seinem Kollegen Abbott, der am gleichen Tag 100 Geflüchtete mit Bussen in die Nachbarschaft der Washingtoner Residenz von Vizepräsidentin Kamala Harris schaffen ließ, kaum um eine politische Lösung des Einwanderungsproblems und schon gar nicht um eine Verbesserung der Lebenssituation der Migranten. Beide Gouverneure bewerben sich im November zur Wiederwahl. DeSantis gilt zudem nach Donald Trump als aussichtsreichster Bewerber für die republikanische Präsidentschaftskandidatur. Die jüngste Aktion verschafft ihm bundesweite Aufmerksamkeit und schärft sein Profil als ultrarechter Hardliner.
Das Problem an Amerikas Südgrenze
Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass die Zuwanderungszahlen an der Südgrenze steigen und die Biden-Regierung bislang keine überzeugende Antwort gefunden hat. Seit dem vergangenen Oktober kamen fast zwei Millionen Migranten. Während Mexikaner ins Nachbarland zurückgeschickt werden, gibt es solche Regelungen mit Kuba, Nicaragua und Venezuela nicht, weshalb Hunderttausende Menschen für ihr oft jahrelanges Asylverfahren in den USA bleiben.
Viele von ihnen wollen weg aus der Grenzregion und in Städte, wo Verwandte oder Bekannte leben. Doch damit hat die Verschickung nach Martha‘s Vineyard nichts zu tun. Die kleine Millionärsinsel, auf der selbst Lehrer und Ärzte die horrenden Mieten kaum noch bezahlen können, war völlig unvorbereitet für die Versorgung und Unterbringung der Lateinamerikaner. So mussten die Migranten zwei Nächte in der Notunterkunft einer Kirche mit nur einer Dusche verbringen. Am Freitag dann wurden sie fürs erste mit Bussen auf die Militärbasis Buzzards Bay auf dem gegenüberliegenden Festland gebracht.
Dort sollen sie zunächst bleiben. Doch der Horror für die Geflüchteten ist keineswegs zu Ende: Die Einwanderungsbehörden in Texas und Florida haben sie nämlich nach Angaben von Anwältin Self einfach fiktiv in Obdachlosenunterkünften in weit entfernten Regionen der USA registriert. Dort müssten sich die Migranten theoretisch regelmäßig melden, um einer Abschiebung zu entgehen. „Diese Menschen wurden gekidnappt“, sagte Self: „Das ist schändlich und unmenschlich.“
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