Weniger Schlachtungen: Den USA geht das Fleisch aus

Washington. Noch ist die Auslage gut gefüllt. Hinter den blitzblanken Vitrinen der Union Meat Company im historischen Eastern Market in Washington liegen edles Black-Angus-Rind, Lamm-Carrees und Kalbshackfleisch. Aber Bill Glasgow ist genervt. “Keine Ahnung”, antwortet der bullige Metzger auf die Frage, wann die dünnen Scallopine wieder hereinkommen: “Es herrscht ein solches Chaos. Ich bin froh über jedes Stück Fleisch, das ich bekomme.”

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Seit mehr als zwei Jahrzehnten führt der 72-Jährige den Familienbetrieb, den er von seinem Vater und seinem Onkel übernommen hat. Aber so etwas hat er noch nicht erlebt. Anders als viele Kleinunternehmer in den USA kommt er eigentlich gut durch die Corona-Krise. Zwar gibt es nun keine Touristen mehr in der Markthalle. Aber die haben ohnehin nichts gekauft.

Wer sich jetzt in der Schlange vor dem Backsteingebäude einreiht, der weiß, was er will. Und oft ist es Fleisch. “Diese beiden Rib-Eye-Steaks hätte ich gerne”, sagt ein älterer Herr. “Macht 40 Dollar”, antwortet Glasgow und reicht ihm das Fleisch in einer durchsichtigen Plastiktüte. Wie eine Trophäe trägt es der Kunde zum Ausgang.

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Weil die Restaurants geschlossen haben, boomt die private Fleischnachfrage

Die Corona-Pandemie, die in den USA schon mehr als 70.000 Menschenleben forderte und sich nach wie vor auf dem Vormarsch befindet, hat praktisch alle Teile der Wirtschaft dramatisch durcheinandergewirbelt. Restaurants, Fabriken oder Handelsketten leiden unter den Zwangsschließungen. Doch die Fleischindustrie ist vom Lockdown eigentlich ausgenommen.

Sie leidet unter dem Zusammentreffen zweier ganz spezieller Probleme: Während die private Nachfrage aufgrund der Schließung der Gaststätten laut Zahlen der Nielsen-Marktforscher um bis zu 50 Prozent gestiegen ist, sind die Schlachtzahlen von Rindern und Schweinen nach Erhebungen des Agrarministeriums in der letzten Aprilwoche um 35 Prozent eingebrochen.

RND-Videoschalte: Die dramatischen Folgen der Corona-Krise in den USA
Karl Doemens, US-Korrespondent

US-Korrespondent Karl Doemens schildert im Gespräch mit RND-Hauptstadtkorrespondentin Marina Kormbaki die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Amerikaner.

Die Nachfrage explodiert, das Angebot schrumpft. Das führt zu der bizarren Situation, dass den Amerikanern, die mit einem Pro-Kopf-Konsum von rund 100 Kilogramm hinter den Australiern die Spitzenreiter beim Fleischessen sind, ausgerechnet zum Beginn der Barbecue-Saison ein ernsthafter Engpass droht.

Einen Vorgeschmack bekamen die US-Bürger schon Anfang der Woche. Da waren nach einer Erhebung der Investmentbank Stephens bei mehr als 1000 Läden der Hamburgerkette Wendy’s die Bulettenbrötchen komplett ausverkauft. Das Unternehmen, das sich einst mit dem Werbespruch “Where’s the beef?” (Wo ist das Rindfleisch?) über seine Wettbewerber McDonald’s und Burger King lustig machte, musste den Versorgungsengpass eingestehen. Es versucht nun, mehr Hühnchenprodukte zu verkaufen, und hat den dicken Triple-Burger vielerorts aus dem Programm genommen.

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Auch anderswo gibt es Probleme: Das Frischfleischangebot beim Ökosupermakt Wholefoods in Washington ist schon seit einiger Zeit zusammengeschrumpft. In den Fleischkühltheken der Supermarktketten Giant und Lidl fehlen immer öfter Schweinekoteletts oder Hackfleisch. Um die grassierenden Hamsterkäufe einzudämmen, gibt die Einzelhandelskette Costco nur noch maximal drei Fleischartikel pro Kunde ab. Der Supermarktriese Kroger rationiert die Abgabe gar auf zwei Artikel.

In den Schlachthöfen herrschen mangelnde Hygiene und große Enge

Hauptursache der Krise sind die dramatischen Engpässe in der Fleischverarbeitung. Ein jahrzehntelanger Konzentrationsprozess hat dazu geführt, dass rund zwei Drittel aller Rinder in den USA in den Mammutschlachtfabriken von nur drei Konzernen verarbeitet werden. Diese Fließbandanlagen, in denen die Arbeiter – viele von ihnen Migranten – mit mangelhafter Schutzausrüstung regelrecht Schulter an Schulter arbeiten müssen und oft auch in engen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, haben sich zu einem Hotspot der Corona-Pandemie in den USA entwickelt.

Mehr als 4900 Arbeiter wurden nach Angaben der Gesundheitsbehörde CDC positiv getestet. Mindestens 20 sind dem Virus bereits erlegen. Zahlreiche Fabriken mussten daraufhin schließen.

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Zwar hat Präsident Donald Trump die Fleischindustrie nun mit einer kriegsrechtsähnlichen Anordnung zur Aufrechterhaltung der Produktion verpflichtet, wozu die Unternehmen prioritär mit Schutzanzügen und Tests versorgt werden. Trotzdem können zahlreiche Schlachthöfe krankheitsbedingt derzeit nicht arbeiten. Außerdem dauert es Wochen, bis das verarbeitete Fleisch tatsächlich in die Geschäfte kommt. Der Engpass dürfte sich also noch verschärfen.

Bislang versichert die Burger-Kette McDonald’s, sie habe derzeit keine Probleme. Doch der Wettbewerber Shake Shack warnt bereits, seine Einkaufskosten seien in die Höhe geschnellt. Experten erwarten, dass auch die Verbraucherpreise für Rind- und Schweinefleisch bald weiter steigen – um etwa ein Fünftel. Für viele Amerikaner, die um ihren Job bangen oder ihn schon verloren haben und deshalb sparen müssen, ist das eine schlechte Nachricht.

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