Die exzentrische Amtszeit: Was wurde aus Trumps Wahlversprechen?
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Washington: Präsident Donald Trump schützt seine Augen vor dem grellen Licht, während er mit Reportern spricht. (Archivbild)
© Quelle: Manuel Balce Ceneta/AP/dpa
Washington/Hannover. Er kann es schon nicht mehr hören. „Covid, Covid, Covid“, lamentierte Donald Trump dieser Tage bei einem Wahlkampfauftritt in West Salem im Bundesstaat Wisconsin. Grimmig reckte er sein Kinn nach vorn. In den „korrupten Medien“ werde mittlerweile so getan, als ob es gar kein anderes Thema mehr gebe.
Dass die Infiziertenzahlen wieder kräftig steigen, lässt Trump kalt. Immer wieder deutete er dies in den letzten Tagen als Folge der ebenfalls gestiegenen Zahl von Tests – alles andere sei eine einzige Lügenkampagne mit dem Ziel, ihn politisch zu Fall zu bringen.
„Ich kann euch genau sagen, wann diese Leute aufhören werden, über Corona zu reden“, sagte Trump. „Am 4. November.“
Es war eine dieser Szenen, die frenetischen Beifall bringen bei Hardcoreanhängern – und eine Mehrheit der Amerikaner kopfschüttelnd zurücklassen: Will dieser Präsident, der schon im Frühjahr das Aufkommen der Pandemie kleingeredet hat, nun auch noch deren winterliche Wiederkehr wegreden?
Gerade Wisconsin ist dafür kein guter Ort. Nachdem die Krankenhauseinweisungen eine Rekordmarke erreicht hatten, wurde in Milwaukee ein Feldlazarett mit 530 Betten eingerichtet, auf einem Messegelände. Binnen 14 Tagen hat sich in dem Staat mit knapp sechs Millionen Einwohnern die Zahl der täglich neu gemeldeten Corona-Toten mehr als verdoppelt, allein am Dienstag kamen 64 weitere hinzu.
Mit mehr Tests, das ahnt auch der Laie, ist ein solcher Trend nicht zu erklären.
Trump verliert an Boden
Wenn aber ein politischer Führer sich mit seinen Erklärungen und Deutungen derartig querstellt zur Alltagserfahrung der Menschen wie der Wahlkämpfer Trump in Wisconsin, bleibt dies nicht ohne Folgen. 2016 gewann Trump diesen Staat mit einem knappen Prozentpunkt Vorsprung vor Hillary Clinton. Derzeit liegt hier Joe Biden deutlich vorn – nach dem Durchschnitt der sechs jüngsten Umfragen sogar mit 10 Punkten Vorsprung vor Trump.
Von Küste zu Küste verlieren in diesen Tagen vor allem die älteren Amerikaner das Zutrauen zu Trump. Vor vier Jahren waren sie es, die seinen Sieg rechnerisch erst möglich machten.
In Arizona etwa, wo seit 16 Jahren die Republikaner dominieren, laufen Ältere in Scharen zu den Demokraten über. „Da ist ein gigantischer Wandel im Gang“, sagt Samara Klar, Politikwissenschaftlerin an der University of Arizona. Larry Vroom, ein 79-Jähriger aus Sun City bei Phoenix, der zeitlebens für die Republikaner stimmte, erzählte dem Sender NBC, warum er nun Biden wählen werde: „Trump akzeptiert seine Verantwortung für die Corona-Krise nicht.“
In Iowa, wo Trump vor vier Jahren Hillary Clinton mit 10 Punkten Abstand besiegte, lässt ebenfalls das Virus die Wähler wandern. Skepsis gegenüber Trump wächst mittlerweile sogar in seinen treuesten Fanblöcken: bei Arbeitnehmern ohne Collegeabschluss, bei weißen Frauen aus politisch oft wechselnden Vorstadtmilieus und sogar bei den Katholiken – von denen Trump dachte, es genüge, ihnen eine Abtreibungsgegnerin als neue Supreme-Court-Richterin zu präsentieren. Demoskopen ermittelten in all diesen Wählergruppen ein Thema, das eine Mehrheit bei Trump nicht in guten Händen sieht: Covid, Covid, Covid.
Inzwischen scheint es, als kollabiere Trumps Macht wie ein Kartenhaus. Die Meinungsforscher halten jetzt einen mehr als nur knappen Sieg Bidens für möglich. Neben dem Weißen Haus könnten die Republikaner sogar ihre Mehrheit im Senat verlieren. Für die „Grand Old Party“ wäre es ein historisches Desaster.
Dass diese politisch existenzbedrohende Lage überhaupt entstanden ist, markiert aus Sicht der Republikaner den bittersten Teil der Bilanz von vier Jahren Trump. Über ein mögliches „Blutbad mit Watergate-Dimensionen“ orakelt der republikanische Senator Ted Cruz aus Texas. „Es sieht nach einem Erdrutsch für Biden aus“, sagt Ari Fleischer, der einst als Sprecher für George W. Bush gearbeitet hat.
Wie konnte es so weit kommen? Und welche Faktoren jenseits der Corona-Krise spielen dabei eine Rolle? Was hat der 45. Präsident der USA bei seinem Amtsantritt am 20. Januar 2017 versprochen – und was hat er geliefert? Ein Überblick:
Die Steuerreform
Das teuerste Strohfeuer der Welt
Lange glaubten Trump selbst und seine Getreuen, ihnen werde ein alter Grundsatz helfen: Ein amtierender US-Präsident wird normalerweise nicht abgewählt, solange der Dow-Jones oben ist und die Arbeitslosenquote unten.
Lange sah es ja auch gut aus. Die von Trump angeschobene „größte Steuerreform aller Zeiten“ zum Beispiel schuf gute Laune, bei Aktienbesitzern ebenso wie bei Niedriglöhnern. Die Kurse stiegen, die Beschäftigtenquoten ebenso.
Im Dezember 2017 hatte Trump zusammen mit der damaligen republikanischen Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses das Steuerminderungs- und Arbeitsgesetz (Tax Cuts and Jobs Act) durchgeboxt – innerhalb von nur 47 Tagen ohne Anhörungen, ohne auch nur den Versuch einer Verständigung mit den oppositionellen Demokraten. Trump hatte damit ein wichtiges Wahlversprechen gehalten. Auch wenn die Steuersenkungen in überwältigendem Maße den Wohlhabendsten zugutekamen und nicht, wie versprochen, „allen arbeitenden Menschen“. Steuerzahler mit niedrigem Einkommen müssen nur 0,2 Prozent weniger Abgaben zahlen, während Großverdiener mit bis zu 2,2 Prozent weniger entlastet werden.
Die meisten Ökonomen allerdings sind sich mittlerweile einig, dass diese Steuerreform ein Strohfeuer entfacht hat – wahrscheinlich sogar das teuerste Strohfeuer der Welt. Denn davon, dass „die Reform sich selbst finanziert“, wie Trump es vorhergesagt hatte, kann keine Rede sein. Es war eine gigantische Steuersenkung auf Pump.
Die Regierung Trump erhöhte dafür die Staatsschulden – um satte 2 Billionen Dollar über die nächsten zehn Jahre. Obwohl er im Wahlkampf 2016 versprach, die Staatsschulden innerhalb von acht Jahren zu „eliminieren“.
Das US-Wahlsystem und seine Tücken
Am 3. November wird der nächste US-Präsident gewählt – aber das Wahlsystem bringt einige Schlupflöcher mit sich.
© Quelle: RND
Tatsächlich betrugen die Schulden im Januar 2017 bei seinem Amtsantritt 19,9 Billionen US-Dollar. In diesem Oktober aber haben sie bereits 27 Billionen erreicht, ein Anstieg von gut 35 Prozent – und darin sind die Auswirkungen der Corona-Krise nur zu einem kleinen Teil enthalten.
Die Rechnung werden am Ende die Steuerpflichtigen bezahlen: Denn die Erleichterungen für Privatleute, nicht für Unternehmen, laufen 2025 aus. Dann stehen Steuererhöhungen ins Haus – um das Defizit auszugleichen. Dies aber dürfte die ohnehin schwer angeschlagene Konjunktur zusätzlich dämpfen.
Was als Entfesselung ökonomischer Dynamik dargestellt wurde, entpuppt sich damit als bloße Verschiebung von Lasten in die Zukunft. Das finden zunehmend auch Leute aus seiner eigenen Partei verantwortungslos.
„Donald Trump haut Geld raus wie ein betrunkener Matrose“, warnt Ben Sasse, republikanischer Senator aus Nebraska. Eine solche Politik könne man künftigen Generationen nicht zumuten.
Profitiert haben von Trumps Wirtschaftspolitik vor allem die Reichen, Leute mit Aktien, mit Immobilien und mit großen Vermögen. Für Erben gelten seither großzügigere Freigrenzen. Anfangs wirkte sich Trumps Politik auch auf die Arbeitnehmer positiv aus: Die Nachfrage nach Arbeitskräften stieg, auch die Löhne kletterten, sogar Geringqualifizierte fanden wieder leichter einen Job.
Die Corona-Krise macht diese Effekte nun wieder zunichte. Zwar bleiben die Vorteile für Vermögende bestehen, zehn Millionen Arbeitslose aber bangen um ihre Zukunft.
Im Zuge der Viruswelle gingen zeitweilig sogar mehr als 20 Millionen Jobs verloren. Im Sommer gab es eine Erholung, Anfang Oktober aber meldeten sich binnen einer Woche wieder 900.000 Amerikaner zusätzlich arbeitslos – dies wurde als Warnzeichen einer zweiten Krisenwelle am Arbeitsmarkt verstanden. Im Winter drohen Massenentlassungen unter anderem bei Fluglinien, Flugzeugbauern und im Tourismus. Bis zum Jahresende müssen Neuregelungen für Überbrückungszahlungen an Arbeitslose gefunden werden.
Außenpolitik
Blinder Rückzug ins Nationale
Trumps zentraler außenpolitischer Leitsatz bestand aus nur zwei Wörtern: „America first“, Amerika zuerst. Es ist ein Versprechen gegenüber seinen Wählern – und eine Drohung an den Rest der Welt. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Eingliederung der USA in übernationale Institutionen und die Befolgung internationaler Verträge dem Land schade. Stattdessen setzt Trump auf bilaterale Verhandlungen zwischen zwei Staaten. Sein Kalkül: In solchen Zweierkonstellationen kann das mächtige Amerika jeder anderen Nation seinen Willen aufdrücken.
Trump hat den Rückzug der USA aus internationalen Abkommen und Institutionen angeordnet. Raus aus dem Pariser Klimaabkommen, raus aus dem Vertrag zur Verhinderung der iranischen Atombombe, raus aus der Weltgesundheitsorganisation. Mit dieser Rückzugspolitik hat er die Erosion der regelbasierten Weltordnung massiv befördert – ohne dass er aber dabei seine zentralen außenpolitischen Anliegen umgesetzt hätte. Es war ein Rückzug, der blind war für die damit verbundenen Folgen. Der Iran etwa ist der Atombombe heute näher als noch vor vier Jahren. Dasselbe gilt – trotz der zwischen Trump und Kim Jong Un ausgetauschten „Liebesbriefe“ – für Nordkorea. Und der im Weißen Haus verachtete venezolanische Machthaber Nicolás Maduro ist trotz der von Washington unterstützten Umsturzbemühungen nach wie vor im Amt.
Gabriel nach der zweiten TV-Debatte: „Die Realitäten sprechen gegen Trump“
Die zweite TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden lief anders als die erste. In der RND-Videoschalte analysiert Sigmar Gabriel das Duell.
© Quelle: Matthias Koch/RND
Das größte Problem: Im Bemühen darum, Amerikas Widersacher China und Russland zu schwächen, hat Trump zu deren Stärkung beigetragen. Wo immer sich Washington auf internationaler Bühne zurückzieht, rücken Peking und Moskau sofort nach. So prägt Russland inzwischen die Kriegsverläufe in Nahost und Libyen, und China betreibt die Neuausrichtung des Welthandelssystems nach seinen Interessen.
Auf Vermittlung und auch Druck Amerikas haben die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und der Sudan den Willen zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel bekundet. Bei seiner evangelikalen Basis mag Trump damit punkten. Darüber hinaus aber nützen ihm die eilig vor der Wahl verfassten Absichtserklärungen der beteiligten Staaten wohl kaum. So wollen von den mehr als sechs Millionen in den USA lebenden Juden einer aktuellen vom American Jewish Committee durchgeführten Umfrage zufolge 75 Prozent Joe Biden wählen – und nur 22 Prozent Trump.
Umweltpolitik
Wirtschaft hat Vorrang
Sollte er gewählt werden, versprach Trump 2016, würde er aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen. Dieses Versprechen hat er gehalten – und damit den globalen Bemühungen um mehr Klimaschutz einen Hieb versetzt.
Die Erderwärmung und die daraus resultierenden Folgen sind aus Sicht Trumps nur ein „Hoax“, ein großer Schwindel. Der US-Präsident attackiert Klimaaktivisten als „Propheten des Untergangs“. Viele der klimapolitischen Fortschritte der Obama-Ära wurden umgekehrt, zahlreiche Vorschriften gelockert. Der „New York Times“ zufolge wurden unter Trumps Ägide bisher mehr als 70 Klimavorschriften gekippt.
Generell gilt unter Trump: Vorfahrt fürs Ökonomische. Er werde „nicht dabei zusehen, wie verbohrte Klimaaktivisten die wunderbare Industrie in unserem Land kaputt machen“, tönte er jüngst wieder bei einem Wahlkampfauftritt.
Klimaschutz ist für Trump verbunden mit dem Verlust von Arbeitsplätzen – und mit Steuererhöhungen. Lieber will er in Öl und Gas investieren und auch das umstrittene Fracking fördern; dabei wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in ölhaltiges Schiefergestein gepresst.
Trotz dieser kritischen Grundhaltung zum Klimaschutz fiel in den vergangenen Jahren der Kohlendioxidausstoß der USA. Die maßgeblichen Faktoren waren bereits angestoßene Umsteuerungen aus der Obama-Ära, neue Vorschriften auf der Ebene der Bundesstaaten sowie die Einsicht führender Industriemanager, dass sich die USA unabhängig von den Ansichten, die im Augenblick im Weißen Haus vorherrschen, einrichten müssen auf eine klimafreundlichere globale Wirtschaft.
Weil billiges Erdgas und die ebenfalls immer preiswerteren alternativen Energien der Kohle Marktanteile wegnehmen, blieb es auch bei der Schließung mehrerer Kohlegruben, etwa in Kentucky. Hier hat Trump sein Versprechen einer kompletten Wende rückwärts nicht einhalten können.
Handelspolitik
Amerika bestraft sich selbst
Das Wahlkampfversprechen lautete: „Jobs, Jobs, Jobs.“ Trump versprach 2016 der weißen Unterschicht im Mittleren Westen die Rückkehr abgebauter Industriearbeitsplätze – und vollbrachte Unverhofftes: Die gewerkschaftlich organisierten, traditionell den US-Demokraten nahestehenden Arbeiter im Rostgürtel Amerikas wählten ausnahmsweise die Republikaner.
Trump versuchte es, wie amerikanische Politiker der 20er- und 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, mit Protektionismus. Er überzog China, Mexiko, Kanada und die EU mit Strafzöllen. Als Begründung führte er zum Erstaunen der Handelspartner „eine Bedrohung der nationalen Sicherheit“ an. Seither müssen amerikanische Importeure teils horrende Einfuhrsteuern auf Solarpanels, Waschmaschinen, Stahl und Aluminium zahlen. 2019 nahm der US-Zoll auf diese Weise 79 Milliarden Dollar ein – doppelt so viel wie zwei Jahre zuvor.
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Die Schicksalswahl
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Das Problem: Strafzölle sind stets ein zweischneidiges Schwert. Nachteile entstehen auch für amerikanische Firmen, die auf Importe angewiesen sind. Studien zufolge fielen bis zu 300.000 Arbeitsplätze in den USA Trumps Handelskrieg zum Opfer – viele davon in den Industrierevieren der wahlentscheidenden Staaten Michigan, Ohio und Pennsylvania. Zudem geben viele Produzenten die gestiegenen Produktionskosten an die Kunden weiter – das führt zu Kaufkraftverlusten.
Einer Auswertung der Brookings Institution zufolge zahlen unterm Strich fast ausschließlich die US-Verbraucher für Trumps Handelskrieg. Aufgrund dadurch gestiegener Preise für Konsumgüter hat ein amerikanischer Durchschnittshaushalt demnach bis zu 1000 Dollar weniger pro Jahr zur Verfügung.
Hinzu kommen teure neue Subventionen: Weil etwa China auf Trumps Strafzölle mit weniger Einfuhr amerikanischer Agrarprodukte konterte, bekommen die US-Farmer einen Ausgleich – bezahlt von allen amerikanischen Steuerzahlern.