Parteitag der Demokraten - Der Aufstand der Anständigen
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Joe Biden, designierter Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten, und Kamala Harris, demokratische Senatorin von Kalifornien und Vizepräsidentschaftsbewerberin der Demokraten für die Präsidentschaftswahlen, stehen sich gegenüber und lächeln einander an.
© Quelle: Carolyn Kaster/AP/dpa
Washington. Schärfer könnte der Kontrast kaum sein. Der Parteitag der Demokraten in Milwaukee hatte noch nicht richtig begonnen, als sich Donald Trump im 120 Kilometer entfernten Oshkosh vor ein paar Hundert Anhängern in Szene setzte. Sein Gegenkandidat sei eine senile Marionette der Linksradikalen, die Demokraten wollten Kindstötungen auch nach der Geburt zulassen, und er selber beabsichtige, noch 16 bis 20 Jahre im Weißen Haus zu bleiben, pöbelte der Präsident. Mehr muss man nicht wissen. Der Auftritt diente nur einem Zweck – die eigenen Anhänger aufzustacheln.
Joe Biden offiziell als Präsidentschaftskandidat der Demokraten nominiert
Biden tritt nun am 3. November gegen den amtierenden republikanischen Präsidenten Donald Trump an.
© Quelle: Reuters
Trump hat sich nie als Präsident aller Amerikaner verstanden. Sein Erfolgsrezept ist die maximale Mobilisierung der eigenen Truppen in einem immer aberwitzigeren Kulturkampf. Der erste Tag der demokratischen Conventions folgte erkennbar einem komplett anderen Konzept: Es redeten Parteilinke und Gemäßigte und auffallend viele moderate (Ex-)Republikaner. Und im Mittelpunkt stand nicht das Ego eines Mannes, sondern die dramatischen Probleme eines Landes, das unter einer außer Kontrolle geratenen Pandemie, einem strukturellen Rassismus und einer für viele Menschen existenzbedrohenden Wirtschaftskrise leidet.
Ein Schulterschluss ohne Spiegelstriche
Die Botschaft der Demokraten unter Joe Biden ist klar: Sie wollen mit einer möglichst breiten Front alle Kräfte im Land zusammenführen, die sich von dem autokratischen Narzissten im Weißen Haus nicht vertreten fühlen und um die Werte der einst so stolzen amerikanischen Demokratie fürchten. Die Wahl am 3. November soll ein Aufstand der Anständigen werden, eine breite Absage der Gesellschaft an einen Mann, der inzwischen durch die Sabotage der Post offen eine Manipulation der Wahlen vorbereitet.
Dass dieser demonstrative Schulterschluss auf Kosten der inhaltlichen Schärfe geht, mag die an spiegelstrichgenaue Parteiprogramme gewöhnten Deutschen verstören. Doch nicht nur hängt die konkrete Politik ohnehin von den Mehrheitsverhältnissen im Kongress ab. Vor allem nutzen die schönsten detaillierten Reformvorhaben nichts, wenn am Ende dann Donald Trump wiedergewählt wird.
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Das Überleben der Demokratie steht auf dem Spiel
Kein Geringerer als der Alt-Revoluzzer Bernie Sanders hat diesen Gedanken am Montag formuliert. Die populäre Ex-Präsidentengattin Michelle Obama berührte die Herzen der Zuschauer an den Fernsehgeräten. Aber der vor allem bei jungen Wählern beliebte linke Senator hielt die politisch wichtigste Rede des Abends.
Er zählte auf, in welchen Punkten sich die Demokraten schon in eine progressivere Richtung bewegt haben und forderte dann seine Anhänger ohne Wenn und Aber auf, seinen einstigen Konkurrenten Biden zu unterstützen. Das ist ein fundamentaler Unterschied zur Situation vor vier Jahren, als Sanders die Kandidatin Hillary Clinton allenfalls halbherzig unterstützte. Doch dieses Mal, das analysierte Sanders schonungslos, geht es für die Amerikaner um alles. Nichts weniger als das Überleben ihrer Demokratie steht auf dem Spiel.
Mit Umfragen allein ist die Wahl nicht zu gewinnen
Um Donald Trump aus dem Amt zu jagen und seine Versuche einer Wahlfälschung im Keim zu ersticken, bedarf es freilich eines eindrucksvollen Votums mit unbestreitbarer Mehrheit. Das aber ist bislang keineswegs so sicher, wie es manchem Beobachter in der Ferne erscheinen mag. Die nationalen Umfragen, bei denen Joe Biden rund acht Punkte vor Trump rangiert, haben angesichts des Wahlsystems in den USA allenfalls begrenzten Aussagewert. Entscheidend ist nämlich, wie die Abstimmung in den sogenannten Swing States ausgeht, die mal für einen republikanischen und mal für einen demokratischen Bewerber stimmen.
Hier aber müssen die Demokraten noch kräftig nacharbeiten. Wer durch die ländlichen Regionen von Wisconsin fährt, sieht viele Trump-, aber nur wenige Biden-Schilder. Gleichzeitig offenbaren aktuelle Umfragen, dass die beabsichtigte Stimmabgabe für den demokratischen Herausforderer oft mehr von der Abneigung gegen Trump als von der Begeisterung für den Kandidaten getragen ist. Ohne Euphorie aber wird eine umfassende Mobilisierung im November schwierig werden. Viel hängt deshalb von den nächsten Tagen des Parteitags ab. Nur wenn es Joe Biden und seiner Vertreterin Kamala Harris gelingt, als Personen ein mitreißendes Signal des Aufbruchs auszusenden, werden sie Trumps giftige Kampagne wirksam kontern können.