Unruhiger Advent: Frankreich weiter im Rentenstreik

Fäuste hoch gegen die Rentenreform: Angestellte der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF bei einer Streikkundgebung am Dienstag.

Fäuste hoch gegen die Rentenreform: Angestellte der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF bei einer Streikkundgebung am Dienstag.

Paris. Die Szene wurde vor ein paar Tagen vom Straßenrand aus gefilmt und zeigt, wie eine Tram im Süden von Paris außerplanmäßig zum Stehen kommt. Der Fahrer steigt aus und beginnt, die Kartons und eine Mülltonne wegzuräumen, die seine Kollegen auf die Schienen geworfen haben. Für sie ist es eine Gelegenheit, den Streikbrecher anzugreifen. „Schämst du dich nicht?“, rufen sie dem Mann zu. „Räum das weg, du Hund!“

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Die Pariser Verkehrsbetriebe RATP erklärten später, dass sie das Vorkommnis verurteilten, bei dem es sich aber um einen Einzelfall handele. Im Internet zirkulieren allerdings ähnliche Videos, auf denen Fahrer am Steuer von Trams, Bussen oder Metrozügen von ihren streikenden Kollegen ausgebuht und beschimpft werden. Auf einem davon kann ein Bus nur mithilfe der Polizei aus dem Depot fahren.

Stillstand in Paris

Die meisten Pariser Metros, Vorortzüge und Busse stehen seit zwei Wochen sogar komplett still. Überall im Land fallen Züge und Flüge aus, auch Schulen oder Kindergärten bleiben teilweise geschlossen, Uni-Prüfungen wurden verschoben. Am dritten Protesttag am Dienstag beteiligten sich laut Polizei landesweit 615.000 Menschen, den Organisatoren zufolge waren es 1,8 Millionen. Mit ihren Appellen zum Widerstand wollen mehrere Gewerkschaften die Rentenreform der Regierung verhindern, die plant, die bisherig 42 verschiedenen Rentenkassen in ein einheitliches Punktesystem zu überführen. Jeder eingezahlte Euro soll künftig dieselben Ansprüche nach sich ziehen. Das Nachsehen hätten vor allem die Beamten durch eine veränderte Berechnungsgrundlage.

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Demonstranten am 19. Dezember in Paris.

Demonstranten am 19. Dezember in Paris.

Die Lehrer wehren sich heftig gegen diese Pläne, aber auch die Mitarbeiter der RATP und der Staatsbahn SNCF bangen um ihre Vorteile. Statt nur bis Anfang, Mitte 50 werden sie vielleicht deutlich länger arbeiten müssen. Die Regierung will längerfristig das reguläre Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre anheben; ein früherer Ruhestand ist dann nur noch mit Abschlägen möglich. Sie hat inzwischen mehrere Zugeständnisse gemacht, wie Ausnahmen für Polizisten und ein späteres Inkrafttreten der Reform, sodass viele der heutigen Arbeitnehmer gar nicht mehr betroffen wären.

Macron will nicht aufgeben

Während Premierminister Édouard Philippe, der ab gestern die Vertreter der Gewerkschaften zu neuen Gesprächen empfing, seine „totale Entschlossenheit“ betonte, die Reform durchzuziehen, versprach Präsident Emmanuel Macron eine „mögliche Verbesserung rund um das Renteneintrittsalter“. Doch auch er ließ wissen, dass er sein Projekt nicht aufgeben werde.

Die Regierung steht unter Druck: Am Montag musste der zuständige Rentenhochkommissar, Jean-Paul Delevoye, zurücktreten, weil er etliche Nebentätigkeiten, die teilweise ehrenamtlich und teilweise üppig bezahlt waren, nicht gemeldet hatte. Am Mittwoch übernahm sein Nachfolger Laurent Pietraszewski die heikle Aufgabe. Wiederholt haben Protestierende in mehreren Städten den Strom abgeschaltet und angekündigt, dies auch weiterhin zu tun. Viele Gewerkschafter wollen den Streik bei Bussen und Bahnen während der Weihnachtsferien und Feiertage fortsetzen; noch spricht sich weiterhin eine Mehrheit der Bevölkerung in Umfragen für den Widerstand gegen die Reform aus, doch die Stimmung könnte dann kippen.

In Paris wird diese spürbar angespannter: Die Menschen streiten sich um die verfügbaren Leihräder, drängeln sich an überfüllten Bushaltestellen. Beim Einfahren der fahrerlosen Metros kommt es teilweise zu brutalem Gerangel. Von vorweihnachtlichem Flair ist derzeit wenig zu spüren.

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