Union will Wahlrecht ändern, Opposition wittert Ungerechtigkeit
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/6XQ4UB2KUVFRFL4JU75DDSOLIM.jpeg)
Die Abgeordneten im Plenum im Bundestag.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Berlin. Unionspolitiker heizen den Streit um eine Reform des Wahlrechts für einen kleineren Bundestag neu an - und werben erneut für einen Vorschlag vom vergangenen Frühjahr. 24 Parlamentarier von CDU und CSU erläuterten in einem Brief an Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) die Idee, die andere Fraktionen schon im April als unfair abgelehnt hatten. Demnach würden in den 299 Wahlkreisen weiterhin per Erststimme Abgeordnete direkt ins Parlament gewählt. Weitere 299 Abgeordnete würden über die Zweitstimme nach Verhältniswahlrecht ermittelt. Auch diesmal gab es wieder heftige Kritik aus der Opposition.
Über den Brief, der auf den 23. Dezember datiert ist, hatte zuerst die "Bild"-Zeitung berichtet. Die Abgeordneten um Axel Fischer (CDU) schreiben darin: "Mit unserem Vorschlag wollen wir erreichen, dass die CDU/CSU die Meinungsführerschaft bei diesem für die Bürgerinnen und Bürger wichtigen Thema zurück gewinnt." Erst- und Zweitstimme würden damit gleich gewichtet und die vorgesehene Größe des Bundestags von 598 Abgeordneten werde erreicht.
Derzeit bestimmt grundsätzlich die Zweitstimme die Zusammensetzung des Bundestags. Wer in einem der 299 Wahlkreise direkt gewählt wird, hat aber einen Sitz sicher. Das führt zu vielen sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandaten - damit wird sichergestellt, dass die Sitzverteilung im Parlament widerspiegelt, welchen Anteil der Zweitstimmen die einzelnen Parteien bekommen haben. Das Parlament war dadurch bei der letzten Bundestagswahl auf die Rekordgröße von 709 Abgeordneten angewachsen.
Die Union aus CDU und CSU gewinnt besonders viele Direktmandate - bei der Bundestagswahl 2017 hatte sie in den 299 Wahlkreisen 231 Direktmandate geholt. Sie würde deshalb von dem Vorschlag der 24 Unions-Abgeordneten klar profitieren.
Oppermann verlangt Einigung auf Wahlrechtsreform im Januar
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) fordert in Sachen Wahlrechtsreform eine Einigung im Januar, weist aber den Vorstoß aus der Unions-Fraktion zurück. „Der Vorschlag, Direktwahl und Verhältniswahl strikt zu trennen (sog. Grabenwahlrecht), ist wiederholt gemacht worden, aber nicht mehrheitsfähig“, sagte Oppermann dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Er läuft auf die hälftige Einführung des reinen Mehrheitswahlrechtes hinaus und begünstigt von allen Parteien allein die Union, die die meisten Wahlkreise direkt gewinnt“, setzte der SPD-Politiker hinzu.
Oppermann sagt, das wäre ein Systemwechsel, und verwies darauf, dass bisher laut Gesetz das Zweitstimmen-Ergebnis maßgeblich für die Zusammensetzung des Bundestages ist. Auch der umgekehrte Systemwechsel – die Einführung der reinen Verhältniswahl – würde die Zahl der Abgeordneten auf 598 begrenzen, sei aber ebenfalls nicht mehrheitsfähig, sagte er. „Der Kompromiss muss deshalb innerhalb des bestehenden Systems gefunden werden“, sagte Oppermann. „Das ist nur möglich, wenn sich beide Seiten bewegen. Das muss im Januar passieren.“
Grüne und FDP: Union will sich Vorteile verschaffen
Kritik kam von FDP und Grünen. FDP-Fraktionschef Christian Lindner sagte der "Bild"-Zeitung: "Die Union will die Reform des Wahlrechts nutzen, um sich einseitig Vorteile zu verschaffen." So werde der Wählerwille verzerrt. Schon der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) sei mit der Idee des "Grabenwahlrechts", die Unionspolitiker nun bewerben, gescheitert. "Diese Idee aus der Gruft hat auch mehr als sechzig Jahre später keine Chance auf breite Unterstützung."
Verärgert zeigte sich auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann. "Erst blockiert die Union monatelang jeden Vorschlag zur Wahlrechtsreform und dann wird ein alter Hut als neuer Vorschlag präsentiert", sagte sie. "Einziger Profiteur dieses "Grabenwahlsystems" wäre die Union." Wahlen gewinne man durch Vertrauen und nicht dadurch, dass man sich ein neues Wahlrecht zum eigenen Vorteil zimmere. "Der Grundsatz, dass jede Stimme gleich viel wert sein muss, darf seine Gültigkeit nicht verlieren."
FDP, Linke und Grüne mit eigenem Vorschlag
Bei der Direktwahl der Abgeordneten in den Wahlkreisen profitiert nur die Partei, deren Kandidat oder Kandidatin die meisten Stimmen bekommen - alle anderen Stimmen sind damit wertlos. So funktioniert das Mehrheitswahlrecht. Mit den Zweitstimmen wird dagegen nach dem Verhältniswahlrecht das Kräfteverhältnis zwischen den Fraktionen bestimmt - dabei zählt jede Stimme, solange die Partei nicht unter fünf Prozent bleibt.
FDP, Linke und Grüne hatten im November gemeinsam einen eigenen Vorschlag vorgelegt. Sie wollen unter anderem die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 zu reduzieren. Gleichzeitig wollen sie die Normzahl der Parlamentssitze von 598 auf 630 erhöhen. Das soll die Wahrscheinlichkeit von Überhangmandaten reduzieren. Die Mehrheit der Abgeordneten von Union und SPD hatte sich aber dagegen ausgesprochen, unter anderem, weil damit die Erststimme - also die Stimme für die direkt gewählten Abgeordneten - an Wert verliere.
RND/dpa/pet