Weil die Zeit drängt: Selenskyj will mit einer Million Soldaten den Süden zurückerobern
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Ein Soldat der Territorialverteidigung der Ukraine in Saporischschja, die dem ukrainischen Generalstab unterstellt ist.
© Quelle: picture alliance / abaca
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat angekündigt, mit einer Million Soldaten den Süden des Landes zurückerobern zu wollen. Das bestätigte der ukrainische Verteidigungsminister in einem Interview mit der britischen „Times“. Es gebe dafür politische und wirtschaftliche Gründe, sagte er. Laut dem Militärexperten Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations könne Selenskyj eine Million Soldaten nur unter Waffen halten, wenn er alle Soldaten und auch die Kräfte in der letzten Logistikkette mitzählt, sagt er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Das heißt aber nicht, dass alle diese Soldaten für eine Offensive zur Verfügung stünden, geschweige denn Ausrüstung und Ausbildung dafür haben.“
Das eigentliche Problem der Ukraine sieht der Experte jedoch in der geringen Feuerkraft. „Die Ukraine braucht schwere Waffen und nicht eine Million Soldaten.“ Im Süden treffen die ukrainischen Streitkräfte laut Gressel auf stark ausgebaute Stellungen der Russen, die sie ohne westliche Waffen nur schwer durchbrechen könnten.
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© Quelle: Reuters
Angriffsversuche im Süden der Ukraine
Bereits in den vergangenen drei Wochen hatten ukrainische Soldaten versucht, eine Offensive im Süden durchzuführen und die russischen Truppen zurückzudrängen. Das Institute for the Study of War sieht zunehmend mehr Hinweise, dass russische Streitkräfte unter Logistikproblemen leiden.
Doch große Geländegewinne konnten die ukrainischen Truppen bisher nicht erzielen. „Der Großteil der ukrainischen Streitkräfte und Panzerbrigaden stehen noch immer im Donbass und ohne große Panzerverbände kann die Ukraine auf dem flachen Gelände im Süden nichts ausrichten“, erklärt Gressel. Rein militärisch wäre es nach Einschätzung des Militärexperten klüger, auf schweres Gerät aus dem Westen zu warten. Aber die politische Lage lässt der Ukraine nicht die Zeit dazu.
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Denn in der vergangenen Woche hat Russland in Cherson eine Übergangsregierung eingesetzt. FSB-Mitarbeiterinnen und ‑Mitarbeiter sollen in der Region die Annexion der besetzten Gebiete vorbereiten, nach dem Vorbild der Krim. Regierungsbeamte, medizinisches Personal, Erzieher und Landwirte werden laut dem Leiter der Militärverwaltung der Region Saporischschja gezwungen, mit den russischen Besatzern zusammenzuarbeiten. Präsident Selenskyj steht daher unter Druck, zumindest Cherson als Hauptstadt der Region zurückzuerobern und diese Annexion zu vereiteln. Der ukrainische Verteidigungsminister erklärte, die Rückeroberung sei „politisch sehr notwendig für unser Land“.
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Putin schickt Strafgefangene an die Front
Russland trommelt jetzt in den Gefängnissen Männer für anonyme und riskante Einsätze im Donbass zusammen. Den Gefangenen wird Straffreiheit zugesagt – aber kein Ausweis und kein Rücktransport der Leiche im Todesfall. Schon Stalin griff einst zu solchen Methoden.
Süden der Ukraine politisch und wirtschaftlich wichtig
Doch die Ukraine ist auch aus wirtschaftlichen Gründen auf eine Rückeroberung angewiesen. 24 Prozent des ukrainischen Staatsgebietes hält Russland besetzt, doch diese Gebiete sind für 80 Prozent der Wertschöpfung des Landes verantwortlich. Ein großer Teil entfällt auf den Weizenanbau, der 45 Prozent des ukrainischen BIPs ausmacht. Würde es Russland schaffen, im Frühjahr auch noch die letzten Gebiete im Süden bis nach Odessa einzunehmen, würde mehr als 90 Prozent der ukrainischen Wirtschaft in Russlands Händen liegen.
Schon jetzt bringen die russischen Besatzer tonnenweise Getreide und andere transportfähige Güter außer Landes und lassen die Ukraine wirtschaftlich ausbluten. Gelingt Kiew nicht die Rückeroberung, würde der Regierung der Großteil der Einnahmen wegbrechen, um Militär, Waffen und den Verwaltungsapparat zu bezahlen.
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