Ukraine-Russland-Konflikt: Putin testet die Grenzen
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Der russische Präsident Wladimir Putin testet aus, wie weit er gehen kann, und nimmt eine Eskalation des Ukraine-Konflikts in Kauf.
© Quelle: Mikhail Metzel/Pool Sputnik Krem
Berlin. Die Lage ist brandgefährlich, und ausnahmsweise gilt diese Beschreibung nicht der Corona-Krise. Russland hat Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen, Zehntausende Soldaten samt Panzern und Flugzeugen. Es kann ein Bluff sein, eine Drohgeste, ein Muskelspiel, pure Taktik also. Aber selbst wenn das so ist: Die Kriegsgefahr steht im Raum. Ein Bluff kann schnell entgleiten, weil beim gegenseitigen Zähnefletschen doch mal einer zubeißt.
Der russische Präsident Putin, so lässt sich vermuten, testet seine Grenzen – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Er probiert aus, wie weit er gehen kann in einer Lage, in der sich die Kräfte in der Welt neu verteilen. Er sieht sich einem geschwächten US-Präsidenten gegenüber: Joe Biden rudert den Midterm-Wahlen mehr schlecht als recht entgegen. Eine der zentralen Kräfte in Europa, die deutsche Regierung, muss sich erst noch ins Amt einfinden.
Eine günstige Gelegenheit womöglich für einen Präsidenten, der mit dem Trauma des Bedeutungsverlusts seines Landes nach dem Zerfall der Sowjetunion und mit zunehmender wirtschaftlicher Schwäche kämpft. Zutaten für eine Eskalation sind also ausreichend vorhanden.
Zu Recht hat der Westen auf Russlands Aufmarsch mit scharfen Warnungen reagiert. Der Bruch von Völkerrecht lässt sich nicht rechtfertigen, vom Leid, das militärische Auseinandersetzungen auslösen, ganz zu schweigen.
Wirtschaftliche Sanktionen sind die richtige Reaktion
Ein militärische Einmischung der Nato oder auch nur einzelner westlicher Länder kommt nicht in Frage: Die Lage geriete dann vollends außer Kontrolle. Es werden also weitere wirtschaftliche Sanktionen sein müssen, auch wenn die bisherigen wenig Eindruck zu machen scheinen.
Viel besser wäre es, wenn all das nicht nötig würde. Es sieht nicht so aus, als hätte das Gespräch von Putin und Biden den Durchbruch gebracht. Das aber wäre eine Überraschung gewesen. Diplomatie ist ein langsames mühsames Geschäft. Wichtig aber ist, dass die beiden Präsidenten überhaupt miteinander sprechen.
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Die USA und ihre europäischen Verbündeten haben ihr Vorgehen für den Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine abgestimmt.
© Quelle: Reuters
Es ist gut, dass Putin und Biden sich in so einer Lage zu einem Gespräch zusammenfinden. Diplomatie ist immer noch das beste und das erste Mittel, um eine Lage zu beruhigen, auch wenn es noch so mühsam ist. Und dass Biden zuvor das Gespräch mit den europäischen Partnern gesucht hat, zeigt, dass der transatlantische Schulterschluss doch noch funktioniert. Ohne Einigkeit gibt es nichts zu gewinnen.
Der neuen Bundesregierung könnte in der verfahrenen Lage eine Schlüsselrolle zukommen. Die SPD hat in den vergangenen Jahren auf einen gemäßigten Kurs gegenüber Russland gedrängt. Das kann bei einer Vermittlerrolle helfen. Voraussetzung dafür ist Flexibilität. Dazu gehört es, die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 nicht absolut zu setzen – es würde die Verhandlungsposition schwächen.
Eine Garantie für den Nichtbeitritt der Ukraine zu Nato und EU, wie sie Putin wohl im Sinn hat, wird es nicht geben können. Das Stichwort ist hier erneut: Selbstbestimmungsrecht.
Aber es muss eine Möglichkeit geben, der russischen Staatsführung ihre Ängste zu nehmen, ohne bei der Ukraine das Gefühl auszulösen, im Stich gelassen zu werden. Die Ampelkoalition muss sich auch dessen annehmen. Und zwar schnell.