Putins krachende Niederlage

Ein Mann der Propaganda: Wie der Kremlchef das Cherson-Desaster zu seinen Gunsten dreht

Der unsichtbare Strippenzieher: Wladimir Putin.

Der unsichtbare Strippenzieher: Wladimir Putin.

Hannover/Cherson. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist der Truppenabzug aus Teilen Chersons wohl eine der schwersten Niederlage des Kremls. Der Rückzug der russischen Streitkräfte, den Militärexperten schon länger vorhersagten, müsste auch innenpolitisch ein verheerendes Signal senden, könnte man meinen.

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Schließlich versprach Russlands Staatschef Wladimir Putin die Verteidigung der besetzten Gebiete „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ bis hin zu Atomwaffen. Nun muss sich das Land kriegsstrategisch neu ausrichten. Denn der ursprüngliche Plan, mit einer Westoffensive Richtung Odessa mehr Territorium zu erobern, ist dahin. Sogar der Verlust der eroberten Krim droht Russland.

Am Abend waren die ukrainischen Soldaten nach eigenen Angaben bereits in den ersten Vorort von Cherson eingerückt. Wie der ukrainische Gouverneur des Gebietes Mykolajiw, Witalij Kim, berichtete, sei der Ort Tschornobajiwka bereits unter ukrainischer Kontrolle. Nähere Angaben wollte er nicht machen. „Wir schweigen weiterhin, denn all dies ist Sache des Militärs.“ Der Generalstab der Ukraine teilte unterdessen mit, die russischen Militärs zögen nur langsam ab, um ihre Verteidigungslinien am linken Ufer des Dnipro zu verstärken.

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Soldaten im ukrainischen Irpin. Seit des russischen Angriffskriegs sind nicht nur viele Menschen aus der Ukraine, sondern auch aus Russland geflohen. (Archivbild)

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Nachdem Putin Cherson zum Teil Russlands erklärt hatte, braucht er jetzt eine gute Geschichte, um den Rückzug zu rechtfertigen und vom Versagen der russischen Armee abzulenken. Und tatsächlich hat es der russische Propagandaapparat offensichtlich geschafft, ein neues Narrativ zu verbreiten und Kritiker damit zu besänftigen, wie die „Welt“ berichtet. Das ist erstaunlich, gab es in den vergangenen Wochen doch öffentlich massive Kritik an der Militärführung in den russischen Talkshows.

„Umgruppierung“ statt „Truppenabzug“

In der russischen Hauptnachrichtensendung „Zeit“ im Staatssender Perwy Kanal wählte man für den Truppenabzug aus Cherson den diplomatischen Begriff der „Umgruppierung“. Die Niederlage wird als ein notwendiger und durchaus richtiger Schachzug an das russische Volk verkauft.

Auf den Bildschirmen war zwar nicht Putin, dafür aber der Kommandeur der russischen Streitkräfte in der Ukraine, Sergej Surowikin, und der Verteidigungsminister Sergej Schoigu zu sehen, die am Mittwoch live den Abzug der russischen Militärs verkündeten. Die Erzählung des Kremls lautet: Surowikin habe aus Sorge um das „Leben und die Sicherheit der Soldaten und der Zivilbevölkerung“ eine „Umgruppierung“ vorgeschlagen. Schoigu habe diesem Vorschlag dann zugestimmt, so heißt es.

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Neues Narrativ überzeugt selbst Kritiker angeblich

Diese angeblich rein militärische Entscheidung wird in den Medien Surowikin zugeschoben. Putin tauchte in den vergangenen Tagen kaum noch bei Kriegsthemen auf, inszeniert sich lieber als fürsorglicher Kümmerer der Bevölkerung bei anderen Themen. Die Verantwortung liegt dem Narrativ zufolge eindeutig bei dem Kommandeur allein. Der Kreml hat die Medien fest im Griff, und das festigt Putins Position.

Selbst diejenigen, die zuvor Verteidigungsminister Schoigu und die Kriegsführung Surowikins kritisiert hatten, sprangen auf das neue Narrativ der Propaganda auf. Darunter auch die beiden Hardliner des Putin-Regimes, wie der britische Guardian schreibt: Tschetschenen-Anführer Ramsan Kadyrow und der Chef der Wagner-Söldnergruppe Ewgenij Prigoschin.

Beide schlagen jetzt einen anderen Ton an. In seinem Telegram-Kanal schrieb Prigoschin: „Surowikin muss tausend Soldaten retten.“ Er habe „wie ein Mann gehandelt, der Verantwortung übernimmt“, und „ohne Angst und gut organisiert“ agiert. Kadyrow fand bei Telegram ganz ähnliche Worte: Surowikin habe eine „schwierige, aber richtige Entscheidung gefällt“ und damit „unschätzbar teure Soldatenleben“ gerettet. Der Präsident der Teilrepublik Tschetschenien beschrieb die Entscheidung des Kommandeurs, Cherson zu evakuieren, als „weise und weitsichtig“. Mit einer „Aufgabe Chersons“ habe es demnach nichts zu tun, bemühte er sich sogleich klarzustellen.

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Doch bejubelt wird der Rückzug aus Cherson nicht. Zwar klopfen viele Surowikin für seinen Umgang mit „der schwierigen Entscheidung“ auf die Schulter – aktiv befürwortet aber niemand den Abzug der Truppen. Russlands einflussreiche Kriegsbloggern hatten diesen Schritt zwar erwartet, bezeichneten ihn aber dennoch als bitteren Schlag. „Ja, das ist eine schwarze Seite in der Geschichte der russischen Armee und vom russischen Staat“, heißt es im WarGonzo-Blog, der mehr als 1,3 Millionen Abonnenten auf Telegram hat.

RND/rix

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