Die Ampel und der Krieg: Der Motor stottert
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Christine Lambrecht (SPD), Bundesverteidigungsministerin, Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sitzen bei einer Sitzung des Bundestags auf der Regierungsbank.
© Quelle: Christophe Gateau/dpa
Berlin. Am Dienstagabend haben sie im Kanzleramt gut zwei Stunden zusammengesessen: Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck, die Partei- und Fraktionsvorsitzenden von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen sowie weitere Kabinettsmitglieder. Habeck, so vermerkte ein Beobachter erstaunt, sei mit dem Rennrad zum Koalitionsausschuss geeilt – was schon mal für eine gewisse Lockerheit spricht. Statt wie beim letzten Mal bis morgens früh über Entlastungen für die Bürger wegen der steigenden Inflation zu ringen, sei man denn auch diesmal „sehr nah beieinander“ gewesen, sagt einer, der dabei war.
Hält die Ampel durch?
Das war wohl nötig. Knapp fünf Monate nach dem Start der Ampelkoalition ist deren Motor nämlich mächtig ins Stottern geraten. Mitunter tauchten bereits Fragen auf, ob der Motor die verbleibenden dreieinhalb Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl überhaupt noch durchhalte. Das hatte nicht zuletzt mit dem Kanzler persönlich zu tun, der – nun ja – nicht stotterte, dessen unklare Kommunikation vor allem mit Blick auf Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine aber doch immer mehr Menschen innerhalb wie außerhalb der Regierung Rätsel aufgab.
Bundeskabinett beschließt Energieentlastungspaket
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch ein milliardenschweres Entlastungspaket für die Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht.
© Quelle: dpa
Zunächst hatte die Koalition ja Erstaunen ausgelöst, weil sie sich im vergangenen Herbst so schnell und geräuschlos zusammenfand – obwohl dem heutigen Finanzminister Christian Lindner von der FDP vor der Bundestagswahl für das Zustandekommen einer solchen Koalition nach eigenen Worten „die Fantasie gefehlt“ hatte. Da, wo es Streitigkeiten gab, legten die drei beteiligten Parteien den Mantel der Diskretion darüber. Ohnehin waren sie nett zueinander oder nahmen wie Lindner überraschende Positionswechsel vor. So sagte dieser im Bundestag plötzlich: „Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien.“ Da staunten sie im Regierungsviertel nicht schlecht.
Alle wussten: Das kann nicht so bleiben. Und es blieb nicht so. Für Verdruss sorgte etwa, dass die FDP – angeführt von Justizminister Marco Buschmann und dem Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr – beinhart Corona-Lockerungen durchboxte und dabei eine Beschädigung des sozialdemokratischen Gesundheitsministers Karl Lauterbach billigend in Kauf nahm.
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Die Lockerungen im reformierten Infektionsschutzgesetz fielen so konsequent aus, dass alle 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder dagegen protestierten. Beim Thema Impfpflicht agierte die FDP noch geschickter. Die Ampel erklärte die Entscheidung darüber auf Betreiben der Liberalen zur Gewissensfrage und setzte auf fraktionsübergreifende Gruppenanträge. Am Ende verweigerte die FDP der Impfpflicht mehrheitlich die Zustimmung und brachte damit sowohl Scholz als auch Lauterbach eine herbe Niederlage bei. Mission erfüllt.
Zorn bei Sozialdemokraten und Grünen bewirkte ferner Lindners Idee eines Tankrabatts für alle Autofahrerinnen und Autofahrer aufgrund der steigenden Energiepreise. Die Koalitionspartner hielten die Idee wahlweise für unökologisch oder unsozial. Als der Finanzminister später im Parlament sprach, klatschten dort vornehmlich Parteifreundinnen und ‑freunde.
Alle Partner schauen noch mehr auf sich
Die Fliehkräfte in der Ampel nahmen zu. Und nicht immer lassen sich Konflikte so lösen wie beim Inflationsausgleich, indem einfach alle Parteien etwas bekommen: die FDP eine Entlastung bei fossilen Kraftstoffen, die Grünen eine Vergünstigung beim öffentlichen Nahverkehr und die SPD ein pauschales Energiegeld als Steuerentlastung. Das zeigte sich spätestens seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine und der Debatte um Waffenlieferungen. Seither schauen alle Partner noch mehr auf sich.
In der SPD war es die Co-Vorsitzende Saskia Esken, die am Montag in der Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus, stand und auf die Frage nach der Lieferung von schweren Waffen aus deutschen Beständen an die Ukraine antwortete: Geht nicht. So könnten Panzer wie der Schützenpanzer Marder gar nicht direkt eingesetzt werden, unter anderem, weil die ukrainischen Soldaten für das System erst ausgebildet werden müssten. „Es benötigt lange Schulungen und langes Training“, sagte sie.
Bundesregierung genehmigt Panzerlieferung an die Ukraine
„Das ist genau das, was die Ukraine jetzt braucht, um den Luftraum zu sichern, vom Boden aus“, so Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.
© Quelle: Reuters
Einen Tag darauf erklärte ausgerechnet ihre Parteigenossin, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, dass Deutschland Panzer vom Typ Gepard liefern werde. Lambrecht und Scholz düpierten ihre Parteivorsitzende. Kein vertraulicher Hinweis, dass sie die bisherige – in der Öffentlichkeit als ablehnend verstandene – Haltung des Kanzleramtes nicht allzu heftig verteidigen müsse. Und dann noch die erneute Erkenntnis, dass am Ende geschieht, was zunächst verneint wird. Motto: Geht doch!
Sah es lange so aus, als habe insgeheim der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich das Sagen, wendet sich plötzlich das Blatt. Besonders für Mützenich ist das problematisch. Er pocht mehr als andere auf diplomatische Bemühungen um ein Kriegsende. Dazu kommt der Druck auf die SPD, ihre – aus heutiger Sicht – viel zu lasche Russland-Politik aufzuarbeiten. Neben Bundesregierungsmitgliedern ist Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern angezählt, von Altkanzler Gerhard Schröder besser ganz zu schweigen.
Viele SPD-Abgeordnete unterstützen Scholz’ Kurs
Es gibt viele SPD-Bundestagsabgeordnete, die Scholz‘ Kurs vehement unterstützen: Lieber nicht der erste Regierungschef auf internationaler Bühne sein, der bei den Waffenlieferungen vorangeht. Lieber abwägen und die Folgen für Deutschland im Falle einer Eskalation mit Russland im Blick haben. Lieber alles dafür tun, um Schaden vom deutschen Volke abzuwenden – so wie Scholz es bei seiner Vereidigung zum Bundeskanzler geschworen hat. Bedenklich sei lediglich, dass der Bundeskanzler einfach so schlecht erklären könne, sagen sie.
Verschärfend wirkt sich aus, dass ein Trio zusammengefunden hat, das neben CDU und CSU Druck hin zur Lieferung schwerer Waffen entfaltet: der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), im Verbund mit der Chefin des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), und Anton Hofreiter (Grüne), der dem Europa-Ausschuss vorsitzt. Alle drei kühlten jetzt ihr Mütchen an der Ampelkoalition, weil sie bei der Besetzung von Regierungsposten nicht berücksichtigt worden seien, wird in der SPD gelästert. Nur: Auch die Scholz-Verteidiger in der SPD-Bundestagsfraktion verzweifeln an der Kommunikation ihres Kanzlers.
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Neben der SPD sind da die Grünen, die sich, wie es heißt, „eine klarere Kommunikation gewünscht hätten“. Sie tun sich in der Koalition leichter, weil Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock in ihren Ämtern nach Meinung vieler Bürger überzeugen, weil die Energieabhängigkeit von Russland erneuerbare Energien nicht allein wegen des Klimaschutzes noch wichtiger macht und weil sie immer schon für eine kritischere Russland-Politik plädiert haben – Habeck im Frühjahr vorigen Jahres sogar als einziger deutscher Spitzenpolitiker für Waffenlieferungen an Kiew.
Freilich: Auch Grüne sagen, man dürfe beim Thema Waffenlieferungen heute nicht zu forsch sein, sondern müsse sich herantasten. Die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour haben Hofreiter jedenfalls zweimal öffentlich in den Senkel gestellt. Sie möchten nicht, dass er dauernd den Kanzler und damit letztlich die Regierung schlechtredet.
Wirtschaftsminister Habeck: Krieg gegen die Ukraine dämpft Wirtschaftswachstum
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rechnet im Falle eines Gasboykotts Russlands mit einer Rezession in Deutschland.
© Quelle: Reuters
Bei der FDP ist das so ähnlich. Beim Thema Waffenlieferungen spielte Strack-Zimmermann eine wichtige Rolle. Sie trat sehr selbstständig auf, stellte nicht nur Forderungen auf, sondern griff auch Scholz hart an. Das hat viele in der Partei emotional angesprochen – und damit Lindner auf dem zurückliegenden Parteitag geholfen.
Der FDP-Vorsitzende weiß jedoch: Strack-Zimmermann ist für ihn nicht zu kontrollieren. Die selbstbewusste 64-Jährige würde keine Zurückhaltung üben, bloß weil Lindner sie darum bittet. Auch in der Fraktion hat Strack-Zimmermann nicht nur Freunde. Hinter vorgehaltener Hand kritisieren einige, sie sei in erster Linie auf ihre Außenwirkung bedacht. Auf dem Parteitag wirkte die Düsseldorferin zwar wie die Parteivorsitzende der Herzen. Doch das ist eine Momentaufnahme.
+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++
Man sieht: In der Ampel gibt es Bruchlinien zwischen den Parteien. Es gibt aber ebenso Bruchlinien in den Parteien. Und auch das ist allen klar: Russlands Krieg gegen die Ukraine ist eine historische Ausnahmesituation, die nicht so rasch vergehen wird. Eine handfeste Regierungskrise können sich weder das Land noch die Regierung selbst leisten.
Koalition spürt Atem der Union
Das gilt umso mehr, als die Koalition den Atem der Union spürt – und zwar beim Thema Waffenlieferungen wie beim von Scholz angekündigten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.
Im ersten Fall haben sich beide Seiten am Mittwoch kurzfristig auf einen gemeinsamen Antrag zur Unterstützung der Ukraine mit schweren Waffen verständigt. Im zweiten Fall ist die Regierung auf Unionsfraktionschef Friedrich Merz und seine Bataillone zwingend angewiesen. Denn das Sondervermögen soll im Grundgesetz verankert werden. Und dazu braucht die Ampel eine Zweidrittelmehrheit, die sie ohne CDU und CSU nicht hat und nicht bekommen wird, weil Linke und AfD dagegen stimmen werden. Merz möchte und wird also mitreden.
Mit anderen Worten: Es wird für die Ampel viel brauchen, um eine ganze Legislaturperiode zu überstehen. Das dürfte beim offenbar relativ harmonischen Koalitionsausschuss am Dienstagabend allen bewusst gewesen sein.