Verheerende Umweltschäden durch den Krieg werden Ukraine noch viele Jahre belasten
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Ein Arbeiter geht Ende Oktober in einem von russischen Raketen getroffenen Treibstofflager in der Stadt Kalyniwka, etwa 30 Kilometer südwestlich von Kiew. Die durch den Krieg in der Ukraine verursachten Umweltschäden nehmen in dem acht Monate alten Konflikt zu, und Experten warnen vor langfristigen gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung.
© Quelle: Andrew Kravchenko/AP/dpa
Demydiw. Das Haus von Olga Lehan wurde gleich in den ersten Tagen des Krieges überschwemmt. Die ukrainischen Streitkräfte hatten einen Damm gesprengt, um den Vormarsch der russischen Truppen auf Kiew zu stoppen. Wochen später verfärbte sich das Leitungswasser. „Es war nicht mehr sicher, es zu trinken“, sagt die 71-Jährige aus dem 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt gelegenen Dorf Demydiw. Die vom Fluss Irpin stammenden Fluten hatten ihren Brunnen verseucht, ihren Garten ruiniert und die Küche modrig gemacht.
Die Umweltschäden in der Ukraine sind nach mehr als acht Monaten Krieg nach Einschätzung von Experten verheerend. Durch russische Angriffe auf Treibstofflager sind Gifte in die Luft und ins Grundwasser gelangt. Das Ausmaß ist so groß, dass in vielen Regionen des Landes die Artenvielfalt und die Klimastabilität gefährdet sind. Zugleich drohen gravierende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung.
Eingeschränkter Zugang zu sauberem Trinkwasser
Nach Angaben der Umweltorganisation WWF haben inzwischen mehr als sechs Millionen Ukrainer keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu sauberem Trinkwasser, mehr als 280.000 Hektar Wald sind zerstört. Die ukrainische Nichtregierungsorganisation Audit Chamber geht davon aus, dass die finanziellen Schäden durch kriegsbedingte Umweltzerstörungen bei mehr als 37 Milliarden Dollar (36 Milliarden Euro) liegen.
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„Diese vom Krieg verursachte Umweltbelastung wird nicht verschwinden. Unsere Nachkommen werden sich damit auseinandersetzen müssen, Wälder zu pflanzen oder die verseuchten Flüsse zu reinigen“, sagt Dmytro Averin, ein Umweltexperte von der in der Schweiz ansässigen Organisation Zoi Environment Network. Am schlimmsten betroffen seien die Industrieregionen in den östlichen Gebieten Donezk und Luhansk, wo bereits seit 2014 gekämpft werde. Doch auch in anderen Teilen der Ukraine gebe es große Schäden.
Zusätzlich zu den Opfern durch Kämpfe ist der Krieg auch die Hölle für die Gesundheit der Menschen, physisch und psychisch.
Rick Steiner, US-Umweltwissenschaftler
„Zusätzlich zu den Opfern durch Kämpfe ist der Krieg auch die Hölle für die Gesundheit der Menschen, physisch und psychisch“, sagt Rick Steiner, ein Umweltwissenschaftler aus den USA, der die libanesische Regierung nach einem Krieg im Jahr 2006 im Hinblick auf Umweltprobleme beriet. Es könne Jahre dauern, bis die gesundheitlichen Auswirkungen durch verseuchtes Wasser und Kontakt mit Giftstoffen überhaupt offensichtlich würden.
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„Ich glaube nicht, dass der Konflikt gelöst werden kann, solange Putin nicht aus der Ukraine verschwindet.“
© Quelle: Reuters
Trinkwasser trüb, Belag an Töpfen
Bewohner des Dorfes Demydiw berichten, dass ihr Trinkwasser nach der Überschwemmung im März trüb gewesen sei und komisch geschmeckt habe. Nach dem Kochen habe es an Töpfen einen Belag hinterlassen. Nachdem die russischen Truppen im April wieder aus der Region abgezogen waren, versorgten die ukrainischen Behörden Demydiw per Tanklastwagen mit Trinkwasser. Wegen eines Schadens an dem Fahrzeug müssen die Bewohner aber seit Oktober wieder auf das verseuchte Wasser zurückgreifen.
„Wir haben keine andere Wahl. Wir haben kein Geld, um Flaschen zu kaufen“, sagt Iryna Stetcenko bei einem Besuch der Nachrichtenagentur AP. Ihre Familie leide an Durchfall und die Gesundheit ihrer beiden jugendlichen Kinder bereite ihr Sorgen. Im Mai entnahmen die Behörden Proben von dem Wasser. Die Ergebnisse seien aber noch nicht veröffentlicht worden, sagt Wjatscheslaw Muga, ehemaliger Vize-Chef des örtlichen Wasserversorgers.
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Iryna Stetcenko zeigt ihre überflutete Wohnung im Dorf Demydiv, etwa 40 Kilometer nördlich von Kiew.
© Quelle: Andrew Kravchenko/AP/dpa
Warnungen vor bedeutenden Schäden an Wasserinfrastruktur
Derweil häufen sich die Berichte verschiedener Umweltgruppen zu Schäden im ganzen Land – und das nicht erst seit dem Beginn der russischen Angriffe auf die Energie- und Trinkwasserversorgung vor einigen Wochen.
Schon im Juli hatten die Vereinten Nationen vor bedeutenden Schäden an der Wasserinfrastruktur, einschließlich Pumpstationen und Kläranlagen, gewarnt. Das Zoi Environment Network und die britische Organisation Conflict and Environment Observatory haben laut eigenen Angaben Belege für die Verschmutzung eines Teiches nach einem russischen Raketenangriff auf ein Tanklager in der Stadt Kalyniwka.
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© Quelle: dpa
Erhöhte Belastungen mit Stickstoffdioxid
Bereits im April verwies die Forschungsinitiative Reach in einem Bericht auf erhöhte Belastungen mit Stickstoffdioxid, das bei der Verbrennung fossiler Energieträger freigesetzt wird, in Regionen westlich und südwestlich von Kiew. Ein direkter Kontakt könne Hautreizungen und Verätzungen verursachen, langfristig seien Atemwegserkrankungen sowie Schäden an der Vegetation möglich, hieß es.
Auch der für die ukrainische Wirtschaft wichtige Agrarsektor leidet massiv unter dem Krieg. Brände hätten Ernten und Viehbestände dezimiert, Tausende Hektar Wald zerstört und Bauern an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert, sagt Serhij Sibzew, Forstwissenschaftler an der Nationalen Landwirtschaftlichen Universität der Ukraine. Einige Bauern hätten „alles verloren, was sie für den Winter geerntet“ hätten.
Ich bin deprimiert – überall um und unter meinem Haus ist Wasser.
Tatjana Samoilenko, Einwohnerin von Demydiw
Die Regierung leistet Hilfe, wo sie kann. In der Region um das Dorf Demydiw hätten die Opfer der Flut pro Person umgerechnet 570 Dollar erhalten, sagt Lilija Kalaschnikowa von den Behörden in der nahegelegenen Stadt Dymer.
Doug Weir vom britischen Conflict and Environment Observatory betont, dass Regierungen verpflichtet seien, Menschen vor Umweltrisiken zu schützen, gerade im Kriegsfall. Manche Ukrainer haben jedoch kaum noch Hoffnung. „Ich bin deprimiert – überall um und unter meinem Haus ist Wasser“, sagt die in Demydiw lebende Tatjana Samoilenko. „Ich sehe nicht, dass sich daran in Zukunft viel ändern wird.“
RND/AP