Keine Erleichterung zu spüren

„Tod und Ruin“: Angst nach Abzug russischer Besatzer in Kiew

Ein ukrainischer Soldat steht neben zerstörten russischen Panzer in Butscha am Stadtrand von Kiew.

Ein ukrainischer Soldat steht neben zerstörten russischen Panzer in Butscha am Stadtrand von Kiew.

Kiew/Lwiw. Wie in Butscha in der Nähe von Kiew haben die russischen Truppen auch in Borodjanka 35 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt ein Trümmerfeld aus zerstörten Häusern hinterlassen. In einem mit einer Drohne aufgenommenen Video zeigt das ukrainische Verteidigungsministerium die Verwüstung in der Stadt, in der einmal 13.000 Menschen lebten. Vereinzelt sind wieder Menschen auf den Straßen zu sehen, auch Autos. Doch viele Häuser sind zerstört, nicht mehr bewohnbar. „Die russischen Besatzer haben Tod und Ruin hierher gebracht“, teilt das Ministerium mit. Doch nun wehe in der Stadt wieder die ukrainische blau-gelbe Flagge.

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Sechs Wochen nach Kriegsbeginn wird das Ausmaß – nach dem teilweisen Rückzug der russischen Armee aus der Umgebung – überdeutlich. Die Leichen auf den Straßen von Butscha brennen sich ins Gedächtnis ein. Die ukrainischen Behörden befürchten, dass noch viele solche Gräueltaten öffentlich werden.

Nach Rückzug russischer Truppen: Selenskyj besucht Kampfstätten
Ukraine-Konflikt, Wolodymyr Selenskyj besucht die Stadt Butscha  April 4, 2022, Bucha, Kyiv Region, Ukraine: President of Ukraine VOLODYMYR ZELENSKYY visited the city of Bucha in the Kyiv region, where mass killings of civilians took place during the occupation by Russian troops. Zelenskyy visited the humanitarian aid center and talked to local residents. Bucha Ukraine PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAz03_ 20220404_int_z03_078 Copyright: xPresidentxOfxUkrainex

Der ukrainische Präsident Selenskyj besuchte am Montag die Kampstätten in der Umgebung von Kiew.

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Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk in Kiew äußert sich besonders besorgt über die Lage in der Ostukraine. Dort gehen die Kämpfe unvermindert weiter. Wereschtschuk ruft die Menschen in den von besonders blutigen Gefechten betroffenen Gebieten Charkiw, Luhansk und Donezk auf, nach Möglichkeit die Regionen zu verlassen. Zugleich räumt sie ein, dass das gefährlich sei, weil es kaum möglich sei, das Feuer zu stoppen.

Täglich legt sie neue humanitäre Korridore fest. Immer wieder gelingt Zivilisten die Flucht. „Man muss sich in Sicherheit bringen, solange es die Möglichkeit gibt. Solange es sie noch gibt“, sagt sie flehend auch mit Blick auf die humanitäre Katastrophe in der von russischen Truppen belagerten Hafenstadt Mariupol.

Dort im Südosten sind nach Angaben der Stadt bereits alle Häuser zerstört. Die Menschen bereiten sich an offenem Feuer im Freien auf der Straße etwas zu essen zu. Aber viele haben nichts mehr. Die Stadt spricht längst von einer Hungerkatastrophe. „Ein solches Ausmaß einer Tragödie in Mariupol hat die Welt seit der Zeit der Konzentrationslager der Nazis nicht gesehen“, sagt der Bürgermeister Wadym Bojtschenko. Das russische Militär habe die Hafenstadt in Todeslager verwandelt.

„Die Mörder verwischen ihre Spuren“, teilt der Stadtrat am Mittwoch im Nachrichtenkanal Telegram mit. Es würden mobile Krematorien eingesetzt, um die Leichen zu verbrennen. Die Stadt schätzt die Zahl der Toten auf mehrere Zehntausend. „Nach der breiten internationalen Aufmerksamkeit für den Genozid in Butscha hat die russische Führung befohlen, jedwede Beweise für die Verbrechen ihrer Armee in Mariupol zu vernichten“, teilt der Stadtrat mit. Überprüfbar sind die Angaben nicht – sie widersprechen denen Moskaus, wo Kreml und Verteidigungsministerium auch nach sechs Wochen Krieg weiter behaupten, Zivilisten und zivile Objekte würden nicht angegriffen.

Scholz kündigt weitere Waffenlieferungen an die Ukraine an

Bundeskanzler Scholz berichtet in Berlin, dass die Ukraine weiterhin Unterstützung erhalte. Gleichzeitig sollen die Abhängigkeiten zu Russland reduziert werden.

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Auch im Fall Butscha, wo mehr als 300 Leichen – teils gefesselt – gefunden wurden, betont Russland, die eigenen Soldaten hätten niemanden angerührt. Viele Augenzeugen, Journalisten und Experten dokumentieren allerdings die Verbrechen, um die Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen.

Unweit von Butscha, in der Hauptstadt Kiew, haben zwar erste Cafés und Restaurants wieder geöffnet. Doch Bürgermeister Vitali Klitschko ruft diejenigen, die die Stadt verlassen haben, auf, noch bis mindestens Ende der Woche nicht zurückzukehren. „Es ist heute ungefährlicher geworden, aber es bleibt die Gefahr von Luftschlägen“, teilt die Stadt mit. Mit Stand Mittwoch zählt Kiew seit Kriegsausbruch am 24. Februar 89 Tote und 167 beschädigte Häuser.

Mit einem Zug aus Polen kommen am Mittwoch nur wenige Menschen an. Eine junge Frau, die nach mehr als einem Monat auf der Flucht zurückgekehrt ist, erzählt, dass es in den Supermärkten mehr Lücken gebe. Die Preise seien teils merklich höher als vor dem Krieg. Aus ukrainischer Produktion ist demnach Sonnenblumenöl um etwa ein Viertel teurer geworden. Nudeln haben sich fast um 30 Prozent verteuert. Die U-Bahn fährt auf einigen Abschnitten weiterhin nur im Stundentakt. Die unterirdischen Stationen sind rund um die Uhr als Bombenschutzkeller geöffnet.

Auch im Westen der Ukraine, wo die meisten Menschen Schutz suchen, ist kaum etwas von Erleichterung nach dem Teilabzug der russischen Truppen zu merken. Keine Rückkehrstimmung an den Grenzübergängen für Autos. Am Übergang Budomierz - Hruschiw fahren vor allem Kleintransporter mit Hilfsgütern in Richtung Ukraine. In der Gegenrichtung dominieren weiter Autos mit Frauen und Kindern, die ihre Heimat verlassen. Und der Explosionsdonner unweit der von Russland vor knapp drei Wochen bombardierten Kasernen des Truppenübungsplatzes Jaworiw erinnert daran, dass weiter Krieg im Land herrscht.

Trotz Tötung von Zivilisten: SPD-Chef Klingbeil weiter gegen Energie-Embargo
ARCHIV - 22.02.2022, Berlin: Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender, gibt ein Presse-Statement zum Russland-Ukraine-Konflikt ab. Klingbeil sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Anne Will», er halte trotz der schrecklichen Bilder von Butscha «ein sofortiges Gas-Embargo aus vielen Gründen für einen falschen Weg». (zu dpa: «Klingbeil und Habeck gegen sofortiges Energie-Embargo gegen Russland») Foto: Wolfgang Kumm/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Klingbeil bleibt auch nach den bekannt gewordenen Tötungen von Zivilisten in Butscha bei der Ablehnung eines sofortigen Stopps des Energieimports aus Russland.

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Auch die gut 60 Kilometer von der polnischen Grenze entfernte westukrainische Metropole Lwiw ist dabei weiterhin mit Flüchtlingen überfüllt. Eine abnehmende Tendenz ist nicht zu spüren, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur berichtet. Restaurants und Cafés sind bei sonnigem Frühlingswetter dennoch gut gefüllt. Souvenirstände bieten die neusten T-Shirt-Hits in den Landesfarben blau und gelb an.

RND/dpa

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