Ukraine-Konflikt

Erdogans Drahtseilakt zwischen Moskau und Kiew

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan will die guten Beziehungen sowohl mit Moskau als auch mit Kiew nicht gefährden.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan will die guten Beziehungen sowohl mit Moskau als auch mit Kiew nicht gefährden.

Athen. Das türkische Außenministerium reagierte prompt: Der Schritt Russlands, die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine als unabhängige Staaten anzuerkennen, sei „inakzeptabel“. Die Türkei lehne diese Entscheidung ab, denn sie stelle „eine klare Verletzung der politischen Einheit und territorialen Integrität der Ukraine dar“, ließ Außenminister Mevlüt Cavusoglu noch in der Nacht zu Dienstag mitteilen.

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Die Stellungnahme klingt klar, ist aber eher eine diplomatische Pflichtübung. Viel weiter wird die Türkei kaum gehen. Erdogans Chefberater Ibrahim Kalin hatte erst vor wenigen Tagen in einem Interview mit der „Welt“ erklärt: „Sanktionen gegen Russland bringen nichts.“ Es sei besser, „dem anderen zuzuhören und dessen strategische Bedenken zu verstehen“.

Die jetzige Situation ähnelt jener nach der russischen Besetzung der Krim 2014. Auch damals verurteilte die Türkei die Annexion, beteiligte sich aber nicht an den Sanktionen des Westens gegen Russland. Sollte Erdogan auch diesmal ausscheren, wäre das eine neue Zerreißprobe für die ohnehin gespannten Beziehungen der Türkei zu den USA, der Nato und der EU.

Kämpfe in der Ostukraine: Mehrere Tote und Verletzte
RUSSIA - FEBRUARY, 2022: Pictured in this video screen grab is military hardware of Russian Army Western Military District tank army units loaded onto a troop train as it returns from recent routine drills to permanent deployment sites. Video grab. Best possible quality. Russian Defence Ministry/TASS A STILL IMAGE TAKEN FROM A VIDEO PROVIDED 18 FEBRUARY 2022 BY A THIRD PARTY. EDITORIAL USE ONLY PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TS123FA8

In der Ostukraine sind bei weiteren schweren Gefechten Zivilisten und Soldaten getötet worden.

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Nicht nur um das zu vermeiden, ist Erdogan an einer Deeskalation interessiert. Für sein Land steht viel auf dem Spiel. Die Türkei unterhält enge Beziehungen zu beiden Konfliktparteien. Russland ist als Gas- und Öllieferant unverzichtbar für die Türkei. Sie verdient auch an den Durchleitungsgebühren der Pipelines, durch die russisches Erdgas vom Schwarzen Meer über die Nordwesttürkei in die Balkanländer fließt.

Der russische Staatskonzern Rosatom baut bei Akkuyu an der Mittelmeerküste das erste Atomkraftwerk der Türkei. Es soll im Endausbau 10 Prozent des türkischen Strombedarfs decken. Für die türkische Landwirtschaft ist Russland ein wichtiger Exportmarkt. Mit 4,7 Millionen Urlaubern stellte Russland überdies im vergangenen Jahr die meisten ausländischen Touristen in der Türkei.

Handelspartner Ukraine

Die Beziehungen zur Ukraine sind nicht minder eng. Die Türkei ist dort der größte ausländische Investor. Das bilaterale Handelsvolumen belief sich vergangenes Jahr auf mehr als 5 Milliarden Dollar. Anfang Februar unterzeichneten Erdogan und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Freihandelsabkommen, das den bilateralen Warenaustausch verdoppeln könnte.

Eine weitere Vereinbarung der beiden Präsidenten betrifft die Lizenzfertigung türkischer Kampfdrohnen in der Ukraine. Bereits 2018 lieferte die Türkei sechs Drohnen an die Ukraine, als Teil einer größeren Bestellung. Die ukrainische Armee setzte die Waffen im Oktober 2021 gegen prorussische Separatisten im Donbass ein, was Putin damals zu einem Protest bei Erdogan veranlasste. Für die türkische Rüstungsindustrie ist die Ukraine nicht nur ein guter Kunde, sondern auch ein wichtiger Lieferant: Für den Bau eigener Hubschrauber und Kampfflugzeuge braucht die Türkei ukrainische Triebwerke.

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Um den Konflikt zu entschärfen, hatte sich Erdogan in den vergangenen Wochen mehrfach als Vermittler angeboten und sogar einen Ukraine-Russland-Gipfel in der Türkei vorgeschlagen. Aber Putin zeigte ihm die kalte Schulter.

In den Beziehungen zu Russland wandelt Erdogan seit jeher auf einem schmalen Grat. Im syrischen Bürgerkrieg und im Konflikt um Berg-Karabach unterstützen die Türkei und Russland rivalisierende Kriegsparteien. Zu einem Bruch führte das aber nicht. Die politischen Opportunisten Putin und Erdogan fanden bisher stets einen Modus Vivendi. Dabei spielt auch eine Rolle, dass beide Männer in ihrem autoritären Machtgehabe ähnlich ticken.

Mehr noch als um Sympathie geht es aber um handfeste Interessen: Erdogan flirtet mit Moskau, um dem Westen die geopolitische Bedeutung seines Landes zu demonstrieren. Er geht dabei so weit, seine Bündnispartner mit der Stationierung russischer Luftabwehrraketen zu brüskieren. Das kommt Putin entgegen. Er sieht in der Türkei ein Instrument, mit dem er Zwietracht in die Nato tragen kann.

Aber die Ukraine-Krise stellt Erdogans Zweckbündnis mit Putin auf die bisher schwerste Probe. Russen und Türken rivalisieren seit Jahrhunderten um Einfluss in Zentralasien. Wenn Russland jetzt nach der Annexion der Krim seine Einflusssphäre im Schwarzen Meer erneut auszudehnen versucht, dann weckt das in der Türkei tief sitzende Ängste.

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