Schwere Waffen für die Ukraine: Bundesregierung von allen Seiten unter Druck
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Ukrainische Soldaten fahren auf einem gepanzerten Fahrzeug auf einer Straße (Archivbild). Der Druck auf die Bundesregierung, Panzer an die Ukraine zu liefern, wächst.
© Quelle: Leo Correa/AP/dpa
Kiew. Angesichts der umfangreichen Rückeroberungen der von Russland besetzten Gebiete hat der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Wochenende unterstrichen, dass sein Land dringend Leopard-2-Panzer benötige, um die gegnerischen Linien zu durchbrechen. „Jeden Tag, an dem in Berlin jemand darüber nachdenkt oder darüber berät, ob man Panzer liefern kann oder nicht (…), stirbt jemand in der Ukraine, weil der Panzer noch nicht eingetroffen ist“, sagte er.
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Außenministerin Annalena Baerbock reagierte zurückhaltend auf diese Forderung. Neue Zusagen in Sachen Waffenlieferungen machte sie bei ihrem zwölfstündigen Überraschungsbesuch in Kiew nicht. Sie versprach allerdings, dass Deutschland die Ukraine „so lange wie nötig“ auch militärisch unterstützen werde.
Was genau das heißt, ist unklar. Allerdings gerät die Bundesregierung zunehmend unter Druck, auch aus den Reihen der Regierungsparteien. „Deutschland muss umgehend seinen Teil zu den Erfolgen der Ukraine beitragen und geschützte Fahrzeuge, den Schützenpanzer Marder und den Kampfpanzer Leopard 2 liefern“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) der Deutschen Presse-Agentur. Deutschland stehe damit an der Seite des ukrainischen Volkes und übernehme eine „führende Rolle in Europa im Kampf für Demokratie in Frieden und Freiheit“.
FDP-Chef Lindner will Lieferungen prüfen
Ihr Parteichef Christian Lindner äußerte sich zurückhaltender. Der Finanzminister, sagte „Bild“ angesichts des Etappensiegs der Ukraine: „Wir müssen jeden Tag prüfen, ob wir noch mehr tun können, um ihr in diesem Krieg beizustehen.“
Der FDP-Verteidigungsexperte Marcus Faber forderte die direkte Lieferung von Marder-Schützenpanzern. „Mit unseren Panzern würde die Befreiung schneller vorankommen, und weniger Ukrainer müssten sterben“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Montag).
Ukrainische Streitkräfte erobern wichtige Stützpunkte im Nordosten zurück
Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte am Samstag den Rückzug seiner Kräfte aus der Stadt Isjum in der Region Charkiw.
© Quelle: Reuters
SPD-Chef Klingbeil fordert internationale Absprachen
Auch SPD-Chef Lars Klingbeil schloss die Lieferung schwerer Waffen nicht aus, betonte aber die Notwendigkeit der internationalen Abstimmung. „Natürlich müssen wir im westlichen Bündnis auch bewerten: Muss es jetzt weitere Waffenlieferungen geben? Und das muss schnell passieren“, sagte er am Sonntag im ARD-Sommerinterview. „Das muss jetzt unter den Staats- und Regierungschefs besprochen werden angesichts der Forderungen aus der Ukraine, angesichts auch der Erfolge, die die Ukraine gerade hat, was die nächsten Schritte sein können, um dieses Land zu unterstützen.“
Doch aus Klingbeils Partei kommen auch deutlichere Stimmen. „Wir im Westen müssen ihr jetzt weiter dabei helfen mit allem, was sie für die Befreiung braucht“, forderte Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Die Lieferungen von modernen westlichen Waffen sei das entscheidende Mittel, „um den russischen Imperialismus, Kolonialismus und Nationalismus zurückzudrängen und lassen ein Ende des Krieges näher rücken“. Es gelte nun, „das Momentum für die Ukraine zu nutzen“.
Grüne ebenfalls für mehr Waffenlieferungen
Auch Grünen-Chef Omid Nouripour fordert mehr Waffen für die Ukraine. „Alle in der Regierung wissen indes, dass noch mehr möglich wäre“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“ (Montag). „Da sollte nicht nur im Ringtausch, sondern wo möglich auch direkt aus den Beständen von Bundeswehr und Industrie geliefert werden.“
Beim Ringtausch rüstet Deutschland osteuropäische Nato-Partner mit Leopard-Kampfpanzern und Schützenpanzern Marder aus, die dafür ältere Panzer sowjetischer Bauart an die Ukraine abgeben.
Nouripour sagte weiter: „Wir müssen den Bedarf der Ukraine nach Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen. Gerade jetzt, bevor der Winter kommt, müssen wir die Ukraine dabei unterstützen, in diesem Jahr noch so viel wie möglich von ihrem eigenen Land zu befreien.“ Er ließ offen, ob dies etwa Leopard-Kampfpanzer beinhalten sollte.
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Laut der Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger müsse Deutschland gerade in den Bereichen Luftverteidigung, geschützter Transport, Artillerie und Schutzausrüstung „alles nur Mögliche tun“, wie sie der Funke-Mediengruppe sagte. „Alle Optionen müssen noch einmal ohne Denkverbote auf den Prüfstand.“ Die aktuellen Erfolge der Ukraine zeigten, dass die Motivation und sehr gute Organisation der ukrainischen Armee in Kombination mit der Verfügbarkeit moderner Waffensysteme die Befreiung besetzter Gebiete ermöglichten.
Auch CDU/CSU üben Druck aus
Auch die Union macht wieder mehr Druck. „Die aktuelle Entwicklung in der Ukraine zeigt, mit den nötigen Mitteln kann Putins Invasionsdrang erfolgreich zurückgeschlagen werden“, sagte der verteidigungspolitische Fraktionssprecher Florian Hahn (CSU) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Berlin muss endlich seine Zurückhaltung aufgeben und mehr Waffen liefern.“
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kritisierte, dass die Regierung längst mehr schwere Waffen hätte liefern müssen. „Diese erfolgreiche Gegenoffensive nicht mit allem, was lieferbar ist, zu unterstützen, ist eine unglaubliche und sture Verweigerungspolitik.“
Ähnlich äußerte sich für die Opposition der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. „Deutschland könnte sofort Marder und Leopard, Fuchs und Dingo liefern und die Industrie rasch anweisen, nachzuproduzieren“, sagte er der Funke-Mediengruppe. Ohne diese gepanzerten Fahrzeuge seien die ukrainischen Soldaten oft schutzlos beim Vorrücken. Kiesewetter forderte Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (beide SPD) auf, ihren zurückhaltenden Kurs bei der Belieferung der Ukraine mit Panzern westlicher Produktion aufzugeben.
Von Kampfpanzern bis Minenräumung – Baerbock in der Ukraine
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat sich bei ihrem zweiten Besuch in Kiew schockiert über die Masse an Minen in dem Land gezeigt.
© Quelle: Reuters
Kuleba: „Waffen, Waffen, Waffen“
Mit besonders plastischen Worten machte es der ukrainische Außenminister Kuleba auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Baerbock deutlich: „Waffen, Waffen, Waffen“ sei die Forderung seiner Regierung seit dem Frühjahr, sagte er. Deutschland lieferte zwar bereits Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard, Mehrfachraketenwerfer und Panzerhaubitzen 2000, also schwere Artilleriegeschütze mit einer Reichweite bis zu 40 Kilometer. Zur Bereitstellung von Kampfpanzern konnte Berlin sich bisher aber nicht durchringen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) beantwortet Fragen danach immer wieder mit dem Satz: Deutschland mache keine Alleingänge. Dann der Verweis: Auch kein anderer Nato-Staat schicke Kampfpanzer in die Ukraine. Man orientiere sich da vor allem an den USA.
Kritik für diese Haltung erntet der Bundeskanzler erneut aus den eigenen Reihen. FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann sagte gegenüber der „Berliner Morgenpost“: „Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg selbst hat gesagt, dass er eine Nichtunterstützung der Ukraine für gefährlicher hält, als nicht ausreichend gefüllte Waffenlager der Nato-Partner.“ Wie kein anderes westliches Land konzentriere sich Deutschland trotz der aktuellen Lage darauf, „bloß alle Nato-Verpflichtungen irgendwie zu erfüllen, obwohl es zulasten der Ukraine geht“.
Unterstützung in seiner Haltung erhält Scholz unterdessen von Verteidigungsministerin Lambrecht: Die Bundeswehr hätte kaum Möglichkeiten, der Ukraine Waffen aus den eigenen Beständen zu überlassen, hieß es von ihr immer wieder. Nicht umsonst machte der ukrainische Außenminister Kuleba auf der Pressekonferenz mit Baerbock deutlich, dass er bei der SPD-Politikerin den größten Widerstand sieht. Bei seinem Besuch in Berlin im Mai habe er mit ihr „das offenste, härteste und direkteste Gespräch“ gehabt.
Aufforderungen der US-Botschafterin
Die Botschafterin der USA in Deutschland, Amy Gutmann, forderte die Bundesregierung jedoch nun vorsichtig auf, den Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland noch stärker zu unterstützen. Sie begrüße und bewundere sehr, was die Deutschen für die Ukraine täten, sagte Gutmann am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. „Dennoch: Meine Erwartungen sind noch höher an Deutschland.“ Sie führte weiter aus: „Aus meiner Sicht leistet Deutschland gerade einen großen Beitrag, aus meiner Sicht möchte Deutschland hier eine größere Führungsrolle einnehmen, und wir hoffen und erwarten, dass Deutschland das auch erfüllen wird - genauso, wie die USA gerade ein militärisches Hilfspaket von 15 Milliarden US-Dollar bereitgestellt haben.“
Weiter sagte Gutmann: „Kanzler Scholz hat sich dazu bekannt, dass er solange an der Seite der Ukraine stehen wird, wie es notwendig sein wird.“ Und: „Wir müssen alles machen, wozu wir in der Lage sind.“ Konkrete Festlegungen vermied die Botschafterin allerdings auch auf die mehrfach wiederholte Nachfrage, ob Deutschland etwa schwerere Waffen liefern solle.
Drei-Punkte-Plan
Die Sicherheitspolitik-Experten Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) schlugen unterdessen einen Drei-Punkte-Plan vor, um die Ukraine mit Waffen zu versorgen. Dieser sieht vor, dass der Westen im ersten Schritt das noch verfügbare militärische Material sowjetischer Bauart liefert. Unter anderem sollen noch mehr als 800 T-72-Panzer in Nato-Staaten existieren. Parallel dazu sollen ukrainische Soldaten weiter an westlichen Waffensystemen ausgebildet werden.
In einer zweiten Phase erhält die Ukraine westliche Waffensysteme, die in großer Stückzahl vorhanden und nicht an der Ostflanke gebunden sind. Als Beispiel führen die beiden Fachleute die Panzerhaubitze 2000, den Marderschützenpanzer und den Panzer Leopard 2 an, den sich die Ukraine schon lange wünscht. Die dritte Phase sieht eine dauerhafte Versorgung der ukrainischen Streitkräfte durch die Waffenindustrie vor. „Militärische Güter, vom Sturmgewehr bis zur Flugabwehr, werden explizit für die Ukraine produziert“, heißt es. Später könne die Produktion teilweise in die Ukraine verlegt werden.
RND/dpa/ag/scs