Es droht ein harter Winter

Putin probt die humanitäre Katastrophe: Russland bombt die Ukraine in den Blackout

Ein Feuerwehrmann hilft seinem Kollegen aus einem mit Wasser gefüllten Bombenkrater. Russische Raketenangriffe trafen die ukrainische Hauptstadt Kiew im Oktober.

Ein Feuerwehrmann hilft seinem Kollegen aus einem mit Wasser gefüllten Bombenkrater. Russische Raketenangriffe trafen die ukrainische Hauptstadt Kiew im Oktober.

Nach Russlands systematischem Beschuss der kritischen Energieinfrastruktur musste die Ukraine am Donnerstag im ganzen Land mit der Abschaltung des Stroms beginnen. Bis in den späten Abend werde es zu Stromausfällen kommen, kündigte der ukrainische Energieversorger Ukrenergo an. „Wir müssen mit einem sehr sparsamen Stromverbrauch leben“ so das Unternehmen, auch wenn es draußen jetzt kälter werde.

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In mehreren Regionen, darunter auch in der Hauptstadt Kiew, hatten Russlands Raketen und Drohnen Dutzende Strom- und Wasserleitungen, Kraftwerke, Pumpstationen und Heizkraftwerke getroffen. Nach Angaben der Regierung wurde etwa 40 Prozent der Energieinfrastruktur beschädigt oder zerstört. Angriffe gab es auch in den Gebieten Charkiw, Donezk und Cherson. Die Ukraine soll offenbar in einen großflächigen Blackout getrieben werden. Bereits in den vergangenen Tagen kam es mehrfach zu lokalen Stromausfällen, immer wieder waren Bewohnerinnen und Bewohner aufgefordert, ihren Energie­verbrauch auf ein Minimum zu reduzieren. Längst ist ein Wettlauf entstanden zwischen den ukrainischen Ingenieuren, die die Infrastruktur reparieren, und russischen Angreifern, die die neue Infrastruktur zerstören.

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„Angesichts der immer neuen Angriffe sind wir sehr besorgt, dass dieser Winter für viele Menschen in der Ukraine sehr hart werden wird“, sagt Achille Després vom Internationalen Roten Kreuz (ICRC) in Kiew dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Als wir mit ihm sprechen, herrscht in der Millionenstadt gerade Luftalarm – mal wieder. Im Hintergrund ist eine Explosion zu hören, uns bleiben nur ein paar Minuten für das Gespräch. Besonders hart wird der Winter für alle, sagt Després, die entlang der Frontlinie leben. In den umkämpften Gebieten seien viele Häuser schwer beschädigt und müssten schnell repariert werden. „Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, weil die Temperaturen bald sehr stark fallen und es in einigen Teilen des Landes bis zu minus 20 Grad kalt werden kann.“

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Hoffnung, dass die russischen Angriffe auf ukrainische Infrastruktur bald aufhören werden, hat kaum jemand. „Wir stellen uns jetzt auf die nächsten Angriffe auf unsere Energie­infrastruktur ein“, sagt die ukrainische Abgeordnete und Ex‑Vize­ministerin Inna Sovsun dem RND. „Wenn wir beim nächsten Mal nicht in der Lage sind, die Strom­versorgung wieder­herzu­stellen, oder wenn die Russen das Heizwerk einer Stadt treffen, könnten wir in große Schwierigkeiten geraten.“ Sie rechnet ebenso wie das Internationale Rote Kreuz mit enormen Versorgungs­problemen im Winter, etwa bei der Heizung oder beim Strom. „Die Menschen wissen genau, dass dies einer der härtesten Winter in der ukrainischen Geschichte sein wird“, sagt Sovsun. Sie selbst hat ihren Eltern bereits einen Stromgenerator gekauft.

Nach Angaben von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko beginnt an diesem Donnerstag die Heizsaison in der ukrainischen Hauptstadt. Dann werden die Zentralheizungen eingeschaltet, wenn auch mit einer niedrigeren Temperatur als in früheren Jahren. Ob die Zentralheizungen die nächsten Angriffe überstehen, weiß niemand. Viele Menschen, sagt Sovsun, überlegen sich deshalb gerade einen Plan B für den Fall, dass die Energie­infra­struktur im Winter erneut stark zerstört wird. Die Nachfrage nach Kaminholz habe stark zugenommen und viele Menschen gingen zu Freundinnen und Freunden, die einen Kamin besitzen.

„Der Bedarf an humanitärer Hilfe ist enorm“, sagt Després vom Roten Kreuz in Kiew. Überall in der Ukraine bestehe eine enorme Nachfrage an Hilfsmaßnahmen und dass seit Tagen die kritische Infrastrukturen unter Beschuss steht, verschärfe die Lage nur noch. Das Rote Kreuz hilft den Menschen mit finanzieller Unterstützung, damit sie ihre Häuser reparieren und Heizungen kaufen können. „Ich selbst war vor einigen Tagen in der Region Charkiw, wo vor Kurzem noch Kämpfe stattfanden, und habe mit meinen Kollegen sechs Lastwagen Baumaterial an eine Stadt geliefert.“ Darunter Fliesen, Ziegel und andere Dinge, mit denen die Menschen ihre Häuser rechtzeitig vor Beginn des Winters reparieren können. „Wir verteilen warme Kleidung, Heizungen und Generatoren an Gemeinden und helfen bei der Renovierung, zum Beispiel mit Fenstern und Isoliermaterial.“

Das humanitäre Völkerrecht verbietet den Angriff auf zivile Ziele, wie Stromleitungen und Kraftwerke. Am Mittwoch verurteilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die russischen Attacken auf die Energieversorgung daher als Kriegsverbrechen. „Gezielte Angriffe auf zivile Infrastrukturen – mit der klaren Absicht, Männer, Frauen und Kinder von Wasser, Strom und Heizung abzuschneiden – sind reine Terrorakte“, sagte von der Leyen. Der Militärexperte Nigel Gould-Davies vom Londoner International Institute for Strategic Studies glaubt, dass Russland den Krieg nicht mehr gewinnen kann und deshalb auf eine Terrorisierung der Bevölkerung setzt. „Durch die Angriffe auf die Infrastruktur hofft Russland der Zivilbevölkerung so viel Leid zufügen zu können, dass die Ukraine sich auf Verhandlungen und einen Kompromiss einlässt“, sagt er dem RND. „Die Drohnen sind Waffen des Terrors.“

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Um noch rechtzeitig vor Einbruch des Winters die beschädigte und zerstörte Infrastruktur zu reparieren, arbeiten Experten des Roten Kreuz mit den Behörden und den lokalen Wasserwerken zusammen. Vor Ort helfen sie dabei, die Wasserversorgung in den Gemeinden wiederherzustellen. „Bislang konnten wir den Zugang zu Trinkwasser für fast acht Millionen Menschen wiederherstellen“, sagt Després.

Die ukrainische Regierung empfiehlt der Bevölkerung den Kauf von Generatoren und Heizmaterial für die Wohnung. Damit es in einer Millionenstadt wie Kiew bei einem Ausfall der zentralen Heizung einen Ort gibt, an dem man sich aufwärmen kann, bittet sie bereits ihre Partner um Generatoren und Heizungs­anlagen. Dieselheizungen, mobile Wärmepumpen und Warmlufterzeuger werden in der Ukraine dringend benötigt. Ebenso Notstromaggregate und mobile Stromerzeuger, um Stromausfälle zu überbrücken. Trotzdem fürchtet Després vom Roten Kreuz: „Für die Zivilbevölkerung wird der Winter eine unglaubliche Herausforderung.“

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