Spannungen mit Ankara: In der Ägäis droht ein heißer Sommer
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Die vom türkischen Verteidigungsministerium herausgegebene Aufnahme zeigt ein Patrouillenschiff der türkischen Marine neben dem Bohrschiff “Fatih”. (Archivfoto)
© Quelle: Uncredited/Pool Turkish Defense
Athen. Das Schiff kreuzt außer Sichtweite vor der Küste Zyperns – und doch viel zu nah. Rund 90 Kilometer südöstlich der Hafenstadt Paphos befand sich das Tiefseebohrschiff “Yavuz” am Donnerstag. Den roten Rumpf zieren eine riesige Mondsichel und ein Stern, die Insignien der Türkischen Republik. Die “Yavuz” sucht vor Zypern nach Öl und Gas.
Am Samstag soll es losgehen: Mit einer sogenannten Navtex, einer Sicherheitswarnung, kündigte die Türkei die Bohrungen an – in einem Gebiet, das der EU-Staat Zypern unter Berufung auf die Uno-Seerechtskonvention als seine Wirtschaftszone ausgewiesen hat. Zypern hat hier bereits Förderkonzessionen an den französischen Konzern Total und an die italienische Eni vergeben.
EU-Außenminister drohen mit Sanktionen
Nicht nur darüber setzt sich Erdogan hinweg. Mit ihrer Navtex brüskiert die Türkei auch die EU-Außenminister, die erst am Montag Ankara mit Sanktionen gedroht hatten, wenn das Land seine Erdgaserkundungen im Mittelmeer ausweitete. Erdogan führt Europa vor.
Mit der Umwandlung der Hagia Sophia in Istanbul zu einer Moschee vertieft er die Gräben, die sein Land mittlerweile vom Westen trennen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sieht darin einen “Schlag gegen die Allianz der Zivilisationen”, eine vor 15 Jahren gestartete Initiative zum Austausch zwischen Muslimen und Christen.
Hagia Sophia in Istanbul soll wieder als Moschee genutzt werden
Das höchste Verwaltungsgericht der Türkei urteilte am Freitag, dass die Umwandlung des Bauwerks in ein Museum durch Atatürk unrechtmäßig gewesen sei.
© Quelle: Reuters
Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis sagte diese Woche, die türkischen Ansprüche im östlichen Mittelmeer richteten sich nicht nur gegen Griechenland und Zypern, sondern gegen die EU insgesamt. Die Entwicklung war Gegenstand eines Telefonats, das Mitsotakis am Mittwoch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel führte. Auch beim EU-Gipfel am Freitag wird das Thema zur Sprache kommen.
Affront auch gegen Griechenland
Die Entwicklung beschäftigt Merkel besonders, weil Deutschland Anfang Juli die EU-Präsidentschaft übernommen hat. Vor allem die Rolle der Türkei im Libyen-Konflikt könnte der EU noch große Probleme bereiten.
Ende 2019 unterzeichnete Erdogan mit dem libyschen Übergangspremier Fayis as-Sarradsch ein Abkommen über die Abgrenzung der beiderseitigen Wirtschaftszonen im Mittelmeer. Damit teilen beide Länder einen Korridor zwischen der libyschen und der türkischen Küste untereinander auf, ohne Rücksicht auf die dort gelegenen griechischen Inseln Kreta, Karpathos und Rhodos.
Die Türkei macht damit nicht nur Griechenland seine Wirtschaftszone streitig. Sie will auch den geplanten und von der EU geförderten Bau der Eastmed-Pipeline blockieren, die Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer nach Europa bringen soll.
Erpressungspotenzial in der Migrationspolitik
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Migranten aus dem Lager Moria, die mit einem Schiff von der Insel Lesbos gekommen sind, gehen im Hafen von Piräus bei Athen an Land. Die Türkei hat im März ihre Grenzen geöffnet.
© Quelle: Angelos Tzortzinis/dpa/dpa
Mit Sarradsch stützt Erdogan einen Machthaber, der, wie er selbst, der radikal-islamischen Moslembruderschaft nahesteht. Als Pate des libyschen Herrschers bekommt Erdogan auch Einfluss auf die Migrationsströme zwischen Nordafrika und Europa.
Nachdem der türkische Staatschef bereits im Frühjahr Zehntausende Migranten zu einer Art Belagerung an die griechische Grenze bringen ließ, vergrößert er nun mit dem Engagement in Libyen sein Erpressungspotenzial in der Migrationspolitik. Für die EU ist das eine alarmierende Aussicht.
Türkei-Griechenland-Konflikt 1996
In den nächsten Wochen könnten die Spannungen im östlichen Mittelmeer eskalieren. Im Juni kündigte Erdogan Öl- und Gasexplorationen im türkisch-libyschen Korridor an. Sollten türkische Forschungsschiffe vor Kreta aufkreuzen, womit die meisten Beobachter rechnen, käme Griechenland in Zugzwang.
Premier Mitsotakis könnte es dann kaum bei diplomatischen Demarchen belassen. Erinnerungen an den Februar 1996 werden wach, als Griechenland und die Türkei im Streit um die Imia-Felseninseln ihre Flotten mobilisierten. Fast wäre es zu einem Krieg gekommen.
In letzter Minute gelang es dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton in nächtlichen Telefonaten mit Athen und Ankara die Krise zu entschärfen. Den heutigen Mann im Weißen Haus kann man sich nur schwer in einer solchen Rolle vorstellen.