Türkei setzt erste Russland-Sanktionen um: Erdogan steckt zurück
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
© Quelle: IMAGO/Depo Photos
Von den Anzeigetafeln der europäischen Flughäfen sind diese und alle anderen Destinationen in Russland seit dem Überfall auf die Ukraine verschwunden. Aber in Istanbul, Ankara und Antalya landen täglich Dutzende Flieger aus Russland. Sie bringen Geschäftsleute, vor allem aber Touristinnen und Touristen in die Türkei. Russische Gäste sind die wichtigste Kundschaft der türkischen Fremdenverkehrsbranche.
Während die westlichen Staaten den Flugverkehr mit Russland einstellten, hat sich die Zahl der Flüge zwischen Russland und der Türkei seit Kriegsbeginn verdreifacht. Im vergangenen Sommer gab es an manchen Tagen weit über 100 Flugverbindungen zwischen beiden Ländern. In Zukunft werden es wohl weniger sein. Seit Anfang vergangener Woche hat die Türkei die Betankung russischer Flugzeuge gestoppt. Maschinen, die mehr als 25 Prozent Teile aus den USA enthalten, werden nicht mehr betankt. Das trifft nicht nur auf Boeing-Jets zu, sondern auch auf Flugzeuge von Airbus, in denen viele US-Komponenten verbaut sind.
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Mit den Spritsanktionen beugte sich die Türkei wachsendem Druck der USA. Washington missfällt seit Langem, dass die Türkei zum wichtigsten Transitland für russische Auslandsreisende geworden ist. Russische Fluggesellschaften wie Aeroflot, S7, Rossija und Utair müssen jetzt Tankstopps in Sotschi einlegen, weil sie in der Türkei keinen Sprit mehr bekommen.
Nicht mehr Russlands Hintertür zur Welt
Bisher setzte die Türkei, obwohl Mitglied der Nato, keine der vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen um. Sie wurde damit zur wichtigsten Drehscheibe des russischen Außenhandels. Auch das ändert sich jetzt. Anfang März stoppte die türkische Regierung den bis dahin florierenden Transit westlich sanktionierter Güter nach Russland. Ankara habe den USA und der EU mündlich zugesichert, dass keine Waren mehr nach Russland gelangen, die unter die Sanktionen fallen, berichten westliche Diplomaten.
Ganz aus freien Stücken kommt der Sinneswandel nicht. Seit dem verheerenden Erdbeben von Anfang Februar ist Staatschef Recep Tayyip Erdogan mehr denn je auf die Unterstützung der USA und der EU angewiesen, finanziell, aber auch politisch. Der türkische Präsident bezifferte den materiellen Schaden der Katastrophe am Montag auf 104 Milliarden Dollar. Das entspricht mehr als 12 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Die 7 Milliarden Dollar, die diese Woche bei der Geberkonferenz in Brüssel zusammenkamen, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, zumal ein Teil davon nach Syrien fließt. Sanktionen der USA oder der EU sind das Letzte, was Erdogan jetzt, sieben Wochen vor den Wahlen, gebrauchen kann.
Türkei und Ungarn wollen Finnlands Nato-Beitritt zustimmen
Finnland hat gemeinsam mit Schweden als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine den Nato-Beitritt beantragt.
© Quelle: Reuters
Auch im Verhältnis mit Griechenland gibt es einen Lichtblick
Das erklärt auch Erdogans Einlenken im Streit um die Nato-Norderweiterung. Für den Beitritt Finnlands gab der türkische Staatschef vergangenen Freitag endlich grünes Licht. Die Zustimmung zur Aufnahme Schwedens dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Auch in der Kontroverse um die russischen Flugabwehrraketen S‑400, mit deren Beschaffung Erdogan 2017 die USA gegen sich aufbrachte und die Nato-Partner verärgerte, zeichnet sich möglicherweise eine Lösung ab: Man brauche die russischen Raketen gar nicht mehr, weil man eigene Systeme entwickele, sagte vergangene Woche Haluk Görgün, CEO des Rüstungskonzerns Aselsan, der regierungsnahen Zeitung „Milliyet“.
Sogar im zerrütteten Verhältnis zum Nachbarn Griechenland gibt es einen Lichtblick: Bei einem Treffen des griechischen Außenministers Nikos Dendias mit seinem türkischen Kollegen und „lieben Freund“ Mevlüt Cavusoglu sagte dieser am Montag die Unterstützung der Türkei bei Griechenlands Bewerbung um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu. Im Gegenzug will Athen die türkische Kandidatur für das Generalsekretariat der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) befürworten.
Über Erdogans künftigem Kurs schwebt aber ein großes Fragezeichen. Die Wahlen Mitte Mai entscheiden über sein politisches Schicksal. Danach werden die Karten neu gemischt.