Bekannte Menschenrechtsaktivistin

Erdogan lässt Vorsitzende des türkischen Ärztebundes wegen „Terrorpropaganda“ festnehmen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Vor einer Woche hatte die Vorsitzende der Ärztevereinigung TTB, Sebnem Korur Fincanci, in einer Sendung eines prokurdischen TV-Kanals eine Untersuchung zu angeblichen Chemiewaffeneinsätzen der türkischen Streitkräfte gefordert. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft Ankara ein Ermittlungsverfahren gegen die Medizinerin ein.

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Staatschef Erdogan hatte sich am Montag in den Fall eingeschaltet. Er warf der Ärztefunktionärin Verleumdung der Streitkräfte vor. Fincanci beleidige ihr Land und spreche „die Sprache der Terrororganisation“ PKK. Die PKK wird in der Türkei und von der EU als Terrororganisation eingestuft. Nach Erdogans Äußerungen erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen Fincanci. Nach Medienberichten wurde sie am frühen Mittwochmorgen in ihrer Wohnung in Istanbul verhaftet und zur weiteren Vernehmung nach Ankara gebracht.

Medien, die der PKK nahestehen, wie die Nachrichtenagentur ANF, hatten in den vergangenen Wochen Berichte verbreitet, wonach die türkische Armee bei ihren Anti-Terror-Operationen im Nordirak Chemiewaffen einsetze. Im Nordirak befinden sich das militärische Hauptquartier und Trainingslager der PKK. Das türkische Verteidigungsministerium erklärte dazu, die Vorwürfe seien „komplett unbegründet und unwahr“. Ibrahim Kalin, der Sprecher des türkischen Präsidenten, bezeichnete die Anschuldigungen als „Lügen“ und „Teil einer Verleumdungskampagne“, deren Ziel es sei, „den Terrorismus zu verklären“.

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Die Organisation Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) hatte Ende September eine Delegation in den Nordirak entsandt. Man habe dort „einige indirekte Indizien für mögliche Verletzungen der Chemiewaffenkonvention gefunden“, heißt es im Bericht der Delegation. Bei den Indizien soll es sich um Container mit Resten von Substanzen handeln, die zur Herstellung von Chlor benötigt werden. Die Ärzte-Präsidentin Fincanci erklärte dazu, sie beschuldige die türkischen Streitkräfte nicht, Chemiewaffen einzusetzen; sie fordere aber eine Untersuchung.

Kämpferin für Menschenrechte

Die 63-jährige Medizinerin, die als Professorin für Forensik an der Universität Istanbul lehrt, dokumentiert seit den 1990er-Jahren Fälle von Folter und Misshandlungen in der Türkei. Sie ist eine der bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen und war zeitweilig auch Präsidentin der türkischen Menschenrechtsvereinigung TIHV. Sie wurde nach dem Putschversuch gegen Erdogan im Juli 2016 vorübergehend festgenommen. 2018 verurteilte ein Gericht Fincanci zu zweieinhalb Jahren Haft, weil sie mit ihrer Unterschrift eine Kampagne für die Pressefreiheit unterstützt hatte. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.

Jene, die Schlamm auf türkische Soldaten werfen und wie Verräter reden, sollten ihre türkische Staatsangehörigkeit verlieren und zur Staatenlosigkeit verurteilt werden.

Devlet Bahceli,

Vorsitzender der türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung

Staatschef Erdogan sagte, Fincanci könne nach ihren jüngsten Äußerungen nicht länger an der Spitze des Ärzteverbandes stehen. „Wir werden dafür sorgen, notfalls mit einer Gesetzesänderung, dass diese Person aus ihrem Amt entfernt wird“, kündigte der Staatschef an. Erdogans Koalitionspartner, der Ultra-Nationalist Devlet Bahceli, will Fincanci ausbürgern lassen: „Jene, die Schlamm auf türkische Soldaten werfen und wie Verräter reden, sollten ihre türkische Staatsangehörigkeit verlieren und zur Staatenlosigkeit verurteilt werden“, sagte Bahceli.

Erdogan will den Fall offenbar zum Anlass nehmen, auch gegen die Ärztevereinigung TTB vorzugehen. Sie ist für ihn seit Langem unbequem. So warf der Verband während der Pandemie dem türkischen Gesundheitsminister Fahrettin Koca vor, er verschleiere systematisch das Ausmaß der Infektionen und melde der türkischen Öffentlichkeit und der Weltgesundheitsorganisation WHO geschönte Covid-Zahlen. Schon damals bezeichnete Erdogan die TTB-Vorsitzende Fincanci als „Terroristin“ und sprach von „unerträglichen Aktivitäten“ des Ärzteverbandes. Jetzt erklärte der Staatschef, die Vereinigung habe nicht das Recht, das Wort „türkisch“ im Namen zu führen. Wenn nötig, werde man den Namen gesetzlich ändern, kündigte Erdogan an.

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