Truppenbesuch an der Ostflanke
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Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) reiste am vergangenen Mittwoch in einer A400M der Bundeswehr zur Nato-Ostflanke nach Constanza in Rumänien.
© Quelle: Christophe Gateau/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Bundesministerin der Verteidigung saß in der vorigen Woche in einem Transportflugzeug der Bundeswehr vom Typ A400M und flog an einem Tag von Berlin-Schönefeld nach Rumänien und zurück. Genauer: Sie flog nach Constanza am Schwarzen Meer, das liegt etwa 100 Kilometer südlich der Ukraine, wo deutsche Eurofighter den Luftraum überwachen.
Vorher war die Sozialdemokratin Christine Lambrecht bereits zweimal in Litauen gewesen. Hier wie dort ging es darum, sich an der Ostflanke der Nato im Angesicht des Krieges ein Bild der Lage zu verschaffen – und natürlich: den dort stationierten deutschen Soldatinnen und Soldaten den Rücken zu stärken.
Man darf sich so einen Flug nicht allzu gemütlich vorstellen. In einer A400M befinden sich die Sitze seitlich, damit im Bauch der Maschine Platz für Material bleibt. Die Fenster sind sehr klein, sodass es recht dunkel ist. Vor allem sind die Flugzeuge wahnsinnig laut. Ein Gespräch mit dem Sitznachbarn ist kaum möglich und das Tragen von Ohrstöpseln unbedingt angebracht. Man kommt sich vor wie auf der Ladefläche eines riesigen Lkw, der irgendwann abhebt.
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22. Februar: Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht und Arvydas Anusauskas, Verteidigungsminister von Litauen, auf dem Militärstützpunkt Rukla in Litauen.
© Quelle: Mindaugas Kulbis/AP/dpa
So ungemütlich wie die Reise mit einer A400M ist derzeit auch die Lage der rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sowie ihrer Vorgesetzten. Sie befinden sich in einem neuen Aggregatzustand.
Die Ministerin, die eigentlich aus dem Bundestag ausscheiden wollte und nach dem Wahlsieg der SPD lieber Bundesinnenministerin geworden wäre, ist jetzt Chefin im Bendlerblock und muss sich Zug um Zug mit der Truppe vertraut machen. Zunächst rückte der Einsatz der Bundeswehr im westafrikanischen Mali ins Blickfeld; in dem Land sendet die Militärjunta – neuerdings unterstützt von der russischen Söldnergruppe „Wagner“ – feindliche Signale an die westlichen Truppen, deren Aufgabe darin besteht, die Islamisten zurückzudrängen und den Staat zu stabilisieren. Daneben baute sich das Kriegsszenario in der Ukraine auf.
Es geht nicht mehr allein um Truppenbesuche, sondern überdies um Waffenlieferungen, Vorsorge für den Ernstfall eines direkten militärischen Konflikts der Nato mit Russland sowie die Frage, wie sich das von Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Aussicht gestellte Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ebenso schnell wie effizient investieren lässt. Da möchte man mit der 56-Jährigen nicht tauschen. Was politische Verantwortung bedeuten kann, wird derzeit jedenfalls so plastisch wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Bundeskanzler Scholz besucht Einsatzführungskommando der Bundeswehr
Scholz warnt im Zuge seines Besuchs vor einer Ausweitung des Krieges in der Ukraine.
© Quelle: Reuters
In der Truppe sei die Stimmung „ernster“ geworden, sagt einer aus dem Ministerium, „deutlich ernster“. Die älteren Soldaten fühlten sich erinnert an das, was sie in den 1980er-Jahren noch selbst gelernt hätten: den „klassischen Krieg der verbundenen Waffen“. Sie hätten gedacht, das kommt nicht wieder. „Jetzt kommt es wieder.“
Unterdessen ist das Soldatenleben insgesamt so wenig luxuriös wie ein Flug mit der A400M. Das multinationale Nato-Camp am Rande des Militärflughafens von Constanza ist provisorisch. Es besteht aus Containern auf staubigem Gelände, dazwischen Imbisswagen und bisweilen ein Dixi-Klo. GIs schlagen in Aufenthaltsräumen mit großen Sesseln bei Actionfilmen die Zeit tot. Die Militärzeitung „Stars and Stripes“ meldet, dass Russland seine Atomstreitmacht in Alarmbereitschaft versetzt habe. Draußen pfeift ein eisiger Wind.
Auf dem Rückflug zeigt sich ein älterer und ranghoher deutscher Soldat „fassungslos“ über den Krieg gegen die Ukraine, mit dem er nicht gerechnet hatte. „Ich habe das als persönliche Niederlage wahrgenommen“, sagt der Soldat, der sich den Streitkräften 1984, also vor fast 40 Jahren, anschloss. „Es ist schwer, mit anzusehen, was da passiert.“ Man müsse nun einerseits die Ukraine unterstützen und andererseits Wladimir Putin eine Brücke bauen, um den Krieg beenden zu können.
Immerhin: Die Truppe kann spätestens seit Kriegsbeginn auf jene Anerkennung hoffen, die ihr in den letzten Jahrzehnten selten zuteilwurde. „Sinn und Zweck der Bundeswehr werden jetzt ganz anders betrachtet als früher“, sagt der Soldat bei funzeligem Licht kurz vor der Landung in Berlin. Der Krieg werde „einen bleibenden Eindruck hinterlassen“ und nach innen wie außen verdeutlichen: „Das ist kein Job wie jeder andere. Das ist eine Berufung.“
Politsprech
Ich hatte das Gefühl, dass er mehr auf die Bilanzen schaute als auf unser Leid. Aber vielleicht muss er das auch. Als Finanzminister. Für mich jedenfalls war es ein Knock-out. Ich weine nicht oft, aber nach dem Gespräch mit Christian Lindner sind mir die Tränen nur so übers Gesicht gelaufen.
Andrij Melnyk,
ukrainischer Botschafter, nach einem Gespräch mit Finanzminister Christian Lindner – zitiert nach „Der Spiegel“
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ist in Berlin ein umstrittener Mann. Das hat mit seinem fraglos üppigen Selbstbewusstsein zu tun sowie damit, dass er die deutsche Seite unablässig zu Härte gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aufruft und noch dazu ein ums andere Mal um Waffen bittet.
Melnyk lässt uns politisch wie moralisch keine Wahl; er zwingt uns Deutsche zu klaren Standpunkten und fordert Empathie. Das zeigt sich an der Wiedergabe seines Gesprächs mit Finanzminister Christian Lindner (FDP).
Ob sich das Gespräch so zugetragen hat, wie Melnyk es gegenüber dem „Spiegel“-Reporter Alexander Osang schildert, wissen wir nicht. Eines kann man aber gewiss sagen: So wie es der Botschafter anderen nicht leicht macht, so macht er es sich selbst auch nicht leicht.
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Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, verfolgt auf der Tribüne die Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Wie das Ausland auf die Lage schaut
Zur Lage im Konflikt um die Ukraine schreibt die italienische Zeitung „La Stampa“ aus Turin:
„Es braucht einen Vermittler auf Augenhöhe. Eine glaubwürdige Person, Vertreterin eines wichtigen europäischen Landes: Angela Merkel. Wenn die Altkanzlerin aus dem wohlverdienten Urlaub zurückkehren und nach Moskau und Kiew fliegen würde, um die Bedingungen eines sofortigen Waffenstillstands auszuhandeln, der auf eine dauerhafte Einigung in der Lage der Ukraine hindeutet, würde sie als Friedensstifterin Europas in der Stunde der größten Gefahr in die Geschichte eingehen.“
Der Zürcher „Tages-Anzeiger“ beschäftigt sich mit der deutschen Russland-Politik:
„Gründe, warum eine ganze Generation deutscher Politiker einer Lebenslüge aufsaß und Putin nicht früher Grenzen setzte, gibt es viele. Nach zwei entfesselten Weltkriegen wurde das Bekenntnis ‚Nie wieder Krieg!‘ nach 1945 nicht von ungefähr deutsche Staatsräson. Nach 1989 galt dies erneut. Die alte Weisheit, dass den Frieden nur wahrt, wer sich auf den Krieg vorbereitet, war in der wiedervereinigten deutschen Gesellschaft wenig verbreitet und nie beliebt. ‚Frieden schaffen ohne Waffen‘, so stellt sich Deutschland die Welt bis heute am liebsten vor.
Erst angesichts des Schlimmsten ist Deutschland nun endlich zu jener ‚Zeitenwende‘ bereit, die es zuvor noch mit allen Kräften zu vermeiden versucht hatte: Waffen an die Ukraine, Wirtschaftskrieg gegen Russland, Wiederaufrüstung der Bundeswehr. Sicherheit lasse sich in Europa nur gemeinsam mit Russland schaffen, lautete seit dem Fall der Mauer das Mantra in Berlin. Nun muss Deutschland mithelfen, Europa vor Putin in Sicherheit zu bringen.“
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