Trumps Comeback als Wahlkämpfer: ein Rächer mit Realitätsverlust
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Still crazy after all these years: Ein halbes Jahr nach seinem Amtsverlust kehrt Donald Trump in den Dauerwahlkampf zurück. Bei einer Kundgebung in Ohio am Samstagabend fabulierte er vor allem über einen angeblich gestohlenen Wahlsieg im vorigen November.
© Quelle: Tony Dejak/AP/dpa
Washington. Das Land steht, mal wieder, am Abgrund. Überall „kriminelle Ausländer“, Drogenhändler und Verbrecher. Dazu seit Neuestem linksradikale Umerziehungslager. „Joe Biden zerstört unsere Nation vor unseren Augen“, barmt der Redner. Eine Katastrophe sei das.
Es ist das übliche düstere Szenario, mit dem Donald Trump seine erste Kundgebung nach dem Amtsverlust einleitet. Nach Wellington ist der Ex-Präsident gekommen – nicht in die Hauptstadt von Neuseeland, sondern in ein 5000-Seelen-Kaff in Ohio, wo er als Ehrengäste seinen vertrauten Senator Jim Jordan und die rechtsextreme Kongressabgeordnete Marjorie Greene begrüßen kann. Der republikanische Gouverneur Mike DeWine ist leider verhindert. Auch das Medienecho auf das Comeback ist überschaubar: Nicht einmal der rechte Sender Fox überträgt die Rede. Wer draußen im Land den Auftritt verfolgen will, der muss auf den Propagandakanal Newsmax umschalten.
Auch die „taffe Angela“ kriegt ihr Fett ab
„Schaut, wie viele Kameras da sind“, greift Trump zu Beginn gleichwohl zu einem seiner rhetorischen Tricks, um gleich darauf über die „Fake News“ zu wettern. Bald kommen die Evergreens von der „wunderbaren Mauer“ zu Mexiko, die er bauen ließ, der Stahlindustrie, die er wieder zum Leben erweckte, und von Deutschland mit der „taffen Angela“, das Russland Milliardensummen überweist und die USA zum Nulltarif ausnutzt. Schlagartig fühlt man sich zurückversetzt an einen beliebigen Tag der bedrückenden vier vergangenen Jahre.
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Seine Anhänger träumen von der nächsten Präsidentschaftswahl 2024. Doch ist keineswegs klar, ob Trump tatsächlich noch einmal antreten und nominiert wird.
© Quelle: Tony Dejak/AP/dpa
Doch das Publikum hört solche Geschichten gerne. Sie erinnern an die Zeiten, bevor die bösen Sozialisten die Macht übernahmen, bestätigen eigene Vorurteile und stärken das Gefühl des „Wir gegen die“. Längst hat die Trump-Bewegung Züge einer Sekte mit einem quasireligiösen Personenkult angenommen. „Das Land gehört nicht denen. Es gehört euch!“, verkündet der Anführer. Die Menge jubelt.
Die Sprechchöre sind dieselben wie vor der Wahl. „USA! USA!“, skandieren die Zuhörer immer wieder. Sehr gerne auch: „Sperrt sie/ihn ein!“, was sich ursprünglich auf Ex-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, inzwischen aber immer häufiger auf Hunter Biden, den Sohn des Präsidenten, oder Anthony Fauci, den führenden Immunologen des Landes, bezieht. Auch „Four more years“ (Vier weitere Jahre) fordert das Publikum von seinem Idol, als stehe das derzeit zur Debatte.
Wie ein abgehalfterter Popstar im Möbelhaus
Doch der Redner hat an diesem Tag sein Feuer verloren. Leidenschaftslos reiht Trump seine bekannten Sprüche aneinander, während er mit einem wackelnden Teleprompter kämpft. Fast wirkt er wie ein abgehalfterter Schlagersänger, der seine Hits noch einmal in einem Möbelhaus vorträgt. Viel Frust hat sich aufgestaut über einen republikanischen Abgeordneten, der für sein Impeachment stimmte, obwohl Trump ihn damals in der Air Force One mitfliegen ließ: „Ein Betrüger.“ Über das oberste Gericht des Landes, das Trump dauerhaft nach rechts verschob und trotzdem nicht so entscheidet, wie er es erwartet: „Eine Schande.“ Über das Militär, das gegen Rassismus vorgeht: „Kampfunfähig.“ Und schließlich über den einstigen Haussender Fox, der „nicht mehr so gut“ sei.
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Trumps treuester Anhänger: Mike Lindell, der Inhaber des Kissenherstellers My Pillow, verbreitet seit Monaten immer wildere Verschwörungsfantasien, die selbst vielen Republikanern nicht geheuer sind.
© Quelle: picture alliance / Sachs / CNP / MediaPunch
Immerhin Mike Lindell ist geblieben, jener fanatische Inhaber des Kissenherstellers My Pillow, der immer wildere Verschwörungsfantasien über chinesische Wahlmanipulationen in den USA verbreitet und für die Wiedereinsetzung des Ex-Präsidenten ins Amt kämpft. Trump begrüßt ihn wie einen hochdekorierten Kriegsveteranen. „Mike! Mike! Mike!“, jubelt die Menge.
Doch im Zentrum steht Donald, nicht Mike. Spätestens, als Trump von einem Polizisten berichtet, der ihm angeblich draußen mit Tränen der Dankbarkeit und Rührung begegnete, wird überdeutlich, um was es bei diesem Auftritt und der ganzen Kampagne wirklich geht – das schwer gekränkte Ego eines Ex-Reality-TV-Stars, der seine Niederlage im echten Leben nicht verkraften kann.
Deswegen reist Trump in den kommenden Wochen nun auf einer Rachetour in die Wahlbezirke all jener Republikaner, die es gewagt haben, gegen ihn aufzumucken, um deren oft rechtsextremen Gegenkandidaten zu unterstützen. Und deswegen sagt er schon nach 15 Minuten: „Was am 3. November (dem Wahltag, d. Red.) geschah, ist eine Schande.“
Eine Weile kann ihn das Manuskript vor dem Abgleiten in Selbstmitleid und Wahnvorstellungen bewahren. Doch je stärker der Teleprompter im Wind wackelt, desto weiter kommt Trump vom Weg eines halbwegs rationalen Politikers ab. „Die Wahlen 2020 waren das Verbrechen des Jahrhunderts“, bricht es schließlich aus ihm heraus. Schlimmer als in der Ukraine und in Nordkorea seien die Ergebnisse in Amerika gefälscht worden, fabuliert er: „Wir haben die Wahl mit einem Erdrutschsieg gewonnen.“
Eine halbe Stunde geht das so mit immer aberwitzigeren Lügen und Phantasmen. Die Behauptungen sind hundertfach von offiziellen Stellen widerlegt. Selbst der Sender Fox News sieht sich genötigt, seinen Livestream der Rede mit einem Haftungsausschluss zu untertiteln: „Behauptungen, dass der Wahlsieg gestohlen wurde, sind nicht nachgewiesen worden.“ Doch das stört Trump nicht: „Wir haben nicht verloren“, behauptet er wahrheitswidrig.
Diese rückwärtsgewandte Legendenbildung passt selbst vielen Republikanern nicht, die sich lieber mit der aktuellen Politik von Joe Biden auseinandersetzen wollen. Umso befremdlicher wirkt, dass sich die ganze Partei weiter von einem wahnhaften Narzissten in Geiselhaft nehmen lässt.
„Sollen wir weitermachen?“, fragt Trump irgendwann unvermittelt in die Zuhörerschaft. Die Stimmung ist allenfalls mittelprächtig. Augenzeugen berichten, dass erste Zuhörer den Veranstaltungsort verlassen. Trotzdem grölt die Menge: „Ja!“ Also geht der Fiebertraum schier endlose 30 Minuten lang weiter.