Zweimal zum Amt für Geschlechtswechsel: Neues Transgendergesetz in Spanien
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Spaniens Regierung hat sich auf den Entwurf für ein neues Transgendergesetz geeinigt.
© Quelle: Christophe Gateau/dpa
Madrid. Spaniens linke Koalitionsregierung hat sich an diesem Dienstag auf den Entwurf für ein neues Transgendergesetz geeinigt, das die administrative Anerkennung des Geschlechtswechsels deutlich vereinfachen würde.
Danach reichen in Zukunft zwei Wege zum Standesamt im Abstand von drei Monaten, um vor den Behörden neu als Mann oder Frau registriert zu sein. Außer dem schriftlichen Antrag braucht es keine weiteren Nachweise, um die Ernsthaftigkeit des Wunsches nach Geschlechtswechsel zu begründen. Auch ein neuer Vorname ist nicht verpflichtend.
Weitreichende Folgen
Das Gesetz hat weitreichende Folgen, aber möglicherweise eher philosophische als praktische. Es beantwortet die Frage, was ein Mann, was eine Frau ist, so: das, was jeder oder jede sein will. Das ist eine menschheitsgeschichtliche Neuigkeit, die viele nicht mitmachen wollen.
Fernando Savater, der große spanische Philosoph, schreibt in einer Kolumne: „Diejenigen, die mit ihrem biologischen Geschlecht nicht einverstanden sind, sollen deswegen keine Verfolgung erleiden. Aber es erscheint auch nicht vernünftig, dass wir die Gesellschaft so lange auf den Kopf stellen, bis aus der Normalität Missbrauch oder Beleidigung wird.“
Angesichts seiner Implikationen für das Selbstbild des Menschen ist es erstaunlich, wie wenig in Spanien über das Gesetzesvorhaben bisher öffentlich diskutiert worden ist. Innerhalb der Regierung allerdings schon. Dort hat sich schließlich der kleinere Koalitionspartner, die Linkspartei Podemos, durchgesetzt, während die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez nachgaben. Die hatten ursprünglich kein Gesetz auf den Weg bringen wollen, „das die Realität der Frauen leugnet“.
Anders als beim kürzlich verabschiedeten spanischen Euthanasiegesetz finden die Debatten über das Transgendergesetz weniger zwischen Liberalen und Konservativen statt als innerhalb einer kleinen, linken Gemeinde – wobei die einflussreiche linke Journalistin Elisa Beni vor ein paar Tagen über „den fast unverständlichen Jargon“ dieser Debatten lästerte. Die meisten Spanier kommen da nicht mehr mit.
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© Quelle: Reuters
Einer dieser schwierigen Begriffe ist der von der „Selbstbestimmung des Geschlechts“. Die ist auch jetzt schon gegeben: Niemand wird vom spanischen Gesetzgeber daran gehindert, sein Geschlecht zu wechseln. Neu ist die jederzeitige Möglichkeit zur Selbstumbenennung und deren bedingungslose behördliche Anerkennung.
Kein Vormund mehr nötig
In einem Streitgespräch in „El País“ erklärt die Transaktivistin Marina Sáenz diese Neuerung so: „Sie bedeutet, dass wir nicht mehr als gestört betrachtet werden, dass wir keinen Vormund mehr brauchen.“ Ihr Gegenüber in diesem Gespräch, die Feministin Ángeles Álvarez, findet stattdessen, dass „die Subjektivität“ zur Grundlage des Gesetzes gemacht und „die biologische Realität geleugnet“ werde. Sáenz beruhigt sie: Sie rechne auch zukünftig nicht mit einer „willkürlichen und banalen Geschlechterwahl“.
Die Umregistrierung des Geschlechts hat einige, wenn auch gar nicht so viele praktische Konsequenzen: im Wettkampfsport, bei einer Gefängniseinweisung, im Zuge der Aufstellung paritätischer Listen und in Spanien auch im Falle von familiärer Gewalt: Das Gesetz über „Gendergewalt“ erlegt Männern höhere Strafen auf als Frauen. Wobei der Entwurf für das neue Transgendergesetz ausdrücklich festlegt, dass ein Geschlechtswechsel keine rückwirkenden Konsequenzen hat. Kein Mann kann sich einer höheren Strafe durch einen Gang zum Standesamt entziehen.
Die Selbstumbenennung in Mann oder Frau soll allen Spaniern und Spanierinnen ab 16 Jahren möglich sein; 14- bis 16-Jährige müssen von ihren Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten begleitet werden. Nun hat das Gesetz seinen langen Weg durchs Parlament vor sich. Es ist noch etwas Zeit für eine große öffentliche Debatte in Spanien über Sinn oder Unsinn dieser ersehnten und gefürchteten Revolution.