„Total wütend“: John Bercow durchkreuzt Mays Brexit-Pläne

Gilt als Dickschädel und Brexit-Gegner –obwohl er zu den Konservativen zählt: Der Londoner Parlamentspräsident John Bercow (im Bild ganz rechts).

Gilt als Dickschädel und Brexit-Gegner –obwohl er zu den Konservativen zählt: Der Londoner Parlamentspräsident John Bercow (im Bild ganz rechts).

London/Berlin. Nach dem Brexit-Wirrwarr im britischen Parlament wächst die Angst vor einem großen Rückschlag beim geplanten EU-Austritt: Der Konservative Robert Buckland sprach in London schon von einer „konstitutionellen Krise“, in der sein Land jetzt stecke. Sein Parteikollege James Gray sagte, er sei „total wütend“ auf Parlamentspräsident John Bercow.

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Bercow hatte der Regierung von Theresa May am Montag einen Strich durch die Rechnung gemacht: In einer Stellungnahme wies er darauf hin, dass das Unterhaus kein weiteres Mal über den denselben Brexit-Deal abstimmen darf. Ohne Änderungen an dem Abkommen verstoße dies gegen eine 415 Jahre alte Regel: Demnach darf dieselbe Vorlage nicht beliebig oft innerhalb einer Legislaturperiode zur Abstimmung gestellt werden.

In London gilt John Bercow als Dickschädel

Premierministerin Theresa May war mit ihrem Brexit-Abkommen bereits zwei Mal im Parlament krachend durchgefallen. Bevor an diesem Donnerstag der EU-Gipfel beginnt, wollte May die britischen Abgeordneten ein drittes Mal über ihren Deal mit Brüssel abstimmen lassen – das ist nun zeitlich nicht mehr zu schaffen.

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Es ist nicht das erste Mal, dass Parlamentsprädient Bercow zu einem der Gesichter des aktuellen Brexit-Dramas wird: Der Mann, der mit seinen markanten Ordnungsrufen im Plenum ("Oooooorder"!") weltberühmt wurde, gilt als Dickschädel. Ursprünglich ein Konservativer, hat sich der 56-Jährige von den regierenden Tories zunehmend entfremdet.

Grund ist neben seiner linksliberalen Ausrichtung vor allem eine angebliche Benachteiligung der Brexit-Befürworter, die ihm immer wieder vorgeworfen wird. Bercow selbst, das ist kein Geheimnis, hätte Großbritannien lieber in der EU gesehen, wie er einst bei einem Gespräch mit Studenten erzählte.

Verteidiger gegen Regierung und Boulevardpresse

Inzwischen sieht er sich als Verteidiger des Parlaments gegen eine Regierung, die zunehmend autoritäre Züge trägt – sowie gegen die Boulevardpresse, die nach wichtigen Abstimmungen EU-freundliche Abgeordnete mit deren Fotos auf der Titelseite als Meuterer angeprangert hatte.

Bercows Antwort war ein leidenschaftliches Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie: „Bei der Abgabe Ihrer Stimme, so wie Sie es für richtig halten, sind Sie als Mitglied des Parlaments niemals Meuterer, niemals Verräter, niemals Querulanten, niemals Volksfeinde“, rief er den Abgeordneten zu.

Viel Beifall, aber auch Kritik bekam Bercow für die Ankündigung, US-Präsident Donald Trump bei einem Staatsbesuch nicht im Parlament zu empfangen. „Ich habe das starke Gefühl, dass unser Widerstand gegen Rassismus und Sexismus und unsere Unterstützung für die Gleichheit vor dem Gesetz und eine unabhängige Gerichtsbarkeit enorm wichtige Überlegungen sind“, begründete er die Entscheidung.

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Immer wieder massive Vorwürfe gegen Bercow

Aber es gab auch immer wieder massive Vorwürfe von Ex-Mitarbeitern und Kollegen. Sein Ex-Privatsekretär Angus Sinclair etwa behauptete, Bercow habe ihn vor anderen Mitarbeitern angeschrien. Auch mehrere Parlamentarierinnen soll er beleidigt haben. Zudem war seine Ehefrau Sally wiederholt mit erotischen Fotos und frivolen Äußerungen aufgefallen – und irgendwann sogar ins Big-Brother-Haus eingezogen.

Als May im Dezember die Abstimmung über den Brexit-Deal verschob, ohne das Parlament zu fragen, klagte Bercow über einen „zutiefst unhöflichen“ Akt. Möglicherweise deshalb erlaubte er den Abgeordneten entgegen den Gepflogenheiten, die Parlamentstagesordnung zu ändern. May war gezwungen, kurz nach der Niederlage ihres Brexit-Deals einen Plan B vorzulegen. Einen Änderungsantrag, der May vor der krachenden Niederlage eine Gesichtswahrung erlaubt hätte, ließ Bercow einfach links liegen.

Dank Bercow fährt Theresa May mit leeren Händen zum Gipfel

Nun hat Bercow dafür gesorgt, dass die Regierungschefin wohl am Donnerstag mit leeren Händen zum Gipfel nach Brüssel fahren muss, bei dem sie die Staats- und Regierungschefs der 27 anderen EU-Staaten um einen Brexit-Aufschub bitten will.

Die jüngsten Entwicklungen werden die für Brexit-Fragen zuständigen Minister der 27 verbleibenden EU-Staaten an diesem Dienstag bei einem Treffen in Brüssel diskutieren.

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Eine Entscheidung darüber, wie man sich zu den chaotischen Zuständen in London positioniert, wird allerdings erst vom Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag erwartet. Trotz der abgesagten Abstimmung in London wird weiter mit einem Antrag bei der Europäischen Union auf Verschiebung des Austrittsdatums gerechnet.

Manfred Weber: Brexit „Tragödie für die EU“

Parlamentspräsident Bercow hatte die Regierung May vorab nicht über seine Stellungnahme informiert. Die Hinweise müssten nun „angemessen berücksichtigt“ werden, sagte ein Regierungssprecher am Montagabend.

Die meisten EU-Staaten hatten in der Vergangenheit bereits deutlich gemacht, dass sie bereit wären, eine Verschiebung des Austrittsdatums zu akzeptieren. Allerdings müsste die britische Regierung dafür aber wohl einen klaren Plan vorlegen, wie es weitergehen soll.

Das forderte ebenfalls der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber - auch mit Blick auf die Europawahl Ende Mai. „Die Brexit-Verhandlungen entwickeln sich zu einer Tragödie vor allem für Großbritannien in der Innenpolitik, aber auch für die Europäische Union“, sagte Weber am Montagabend bei einer Veranstaltung der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft in München. Er warnte London eindringlich: „Der Geduldsfaden ist am Reißen.“

Von dpa/RND

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