Tödlicher Polizeieinsatz in Mannheim: Videos werfen Fragen auf
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Ein Polizist sichert Spuren am Ort des Geschehens: Nach einem Polizeieinsatz in Mannheim ist am Montag ein 47-Jähriger gestorben.
© Quelle: René Priebe/PR-Video /dpa
Berlin. Ein 47-Jähriger kollabiert am Montag während eines Polizeieinsatzes in Mannheim und verstirbt kurze Zeit später im Krankenhaus. Die genauen Todesumstände bleiben am Tag darauf zunächst unklar, eine Mitteilung der Polizei und von Passanten gefilmte Videoaufnahmen des Polizeieinsatzes werfen jedoch Fragen auf.
Nach Angaben des baden-württembergischen Landeskriminalamts (LKA), das die Ermittlungen übernommen hat, und der Mannheimer Staatsanwaltschaft begann der Einsatz mit dem Hilferuf eines Arztes. Der Mitarbeiter des Mannheimer Zentralinstituts für seelische Gesundheit hatte die Polizei demnach über einen Patienten informiert, der Hilfe benötige.
Zwei Polizeibeamte hätten den 47-Jährigen Patienten daraufhin gemeinsam mit dem Arzt in der Mannheimer Innenstadt angetroffen. Im Verlauf des Einsatzes habe der Mann Widerstand geleistet, weshalb die Beamten „unmittelbaren Zwang“ angewandt hätten. Danach sei der Mann plötzlich kollabiert und „aus bislang unbekannter Ursache“ reanimationspflichtig geworden.
Die Polizisten und der anwesende Arzt hätten Erste-Hilfe-Maßnahmen eingeleitet, Rettungskräfte hätten den Bewusstlosen versorgt und in die Universitätsklinik Mannheim gebracht, wo er kurz darauf verstorben sei.
Tod nach Polizeikontrolle: LKA ermittelt nach Vorfall in Mannheim
Am Montag wurde ein Mann in Mannheim von Polizisten kontrolliert und stirbt später im Krankenhaus – der Fall wird nun untersucht.
© Quelle: dpa
Drastische Videos zeigen Teile des Einsatze
Die Mitteilung der Behörden bleibt in ihrer Beschreibung des Einsatzes vage, nennt bloß „unmittelbaren Zwang“. Videos, die Teile des Geschehens zeigen und seit Montag in den sozialen Medien kursieren, bieten jedoch genauere Einblicke in das Geschehen. In einem der Videos ist zu sehen, wie der 47-Jährige auf dem Boden vor einem Lokal am Mannheimer Marktplatz liegt. Die beiden Polizisten knien über dem Mann und versuchen, ihn zu fixieren. Als er sich – auf dem Bauch liegend - offenbar dagegen zu wehren versucht, schlägt ihm einer der Beamten mehrfach mit der Faust gegen den Kopf, drückt den Kopf anschließend auf den Boden. Eine Augenzeugin sagte der Lokalzeitung „Mannheimer Morgen“ später, die Polizisten hätten noch auf den Mann eingeschlagen, als dieser bereits in Handschellen gewesen sei.
In einer zweiten Videosequenz ist der Mann auf dem Rücken liegend zu sehen – bereits bewusstlos und mit einer stark blutenden Nase. Die letzten Sekunden dieses Videoclips zeigen einen Mann – mutmaßlich den Arzt, der die Polizei verständigt hatte – der vor dem 47-Jährigen hockt und versucht, ihn durch eine Herzdruckmassage wiederzubeleben.
Ein drittes Video zeigt zudem einen Ausschnitt des Vorgeschehens: Darin ist zu sehen, wie die beiden Polizisten den 47-Jährigen in einer angrenzenden Straße verfolgen. Einer der Beamten sprüht dem flüchtenden Mann aus näherer Entfernung Pfefferspray ins Gesicht. Auch der mutmaßliche Arzt ist bereits in diesem Video zu erkennen.
Kriminologe hält Schläge für unzulässig
„Bei solchen Videos ist grundsätzlich Vorsicht geboten, weil sie in der Regel nicht die Vorgeschichte des polizeilichen Handelns zeigen“, sagte der Bochumer Kriminologieprofessor Thomas Feltes dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). In den veröffentlichten Videos sehe man jedoch, wie eine Festnahme offensichtlich aus dem Ruder gelaufen sei.
„Die Schläge ins Gesicht werden von der Polizei auch als Blendschläge bezeichnet“, sagte Feltes. Das sind Schläge, die darauf ausgerichtet sind, eine Widerstand leistende Person orientierungslos zu machen, um sie fixieren zu können. „So auf jemanden einzuschlagen, der mit dem Kopf am Boden liegt, ist in meinen Augen unzulässig und auch nicht nötig“, sagte Feltes, der bis 2019 den Lehrstuhl für Kriminologie an der Ruhr-Universität-Bochum innehatte und durch seine Forschung seit Jahrzehnten ein kritischer Begleiter der deutschen Polizei ist.
In einem der verbreiteten Videos sehe man außerdem, dass es sich bei dem Verstorbenen um jemanden handele, „der von der Konstitution her Probleme bekommen dürfte, wenn er in Bauchlage gebracht wird“, sagte Feltes. „Dabei werden das gesamte Nervensystem, der Blutdruck und die Herzfunktion einer extrem hohen Belastung ausgesetzt. Wenn das noch mit einer Panikattacke verbunden ist, führt das oft zum sogenannten lagebedingten Erstickungstod.“ Gerade übergewichtige Personen sollten deshalb möglichst schnell aufgesetzt werden, damit der Druck auf den Oberkörper nicht zu schweren Folgen führe, erklärte der Kriminologe. Was zum Tod des 47-Jährigen in Mannheim geführt hat, war am Dienstag allerdings noch nicht bekannt.
Zudem wisse man, „dass Pfefferspray bei psychisch kranken Personen in Ausnahmesituationen oft nicht so wirkt, wie man das sonst kennt, sondern eher zu einer Verstärkung der Aggression und einem starken Angstgefühl führt.“ Das könne dazu führen, dass eine Person sich noch stärker wehre – also zum Gegenteil dessen, was der Einsatz von Pfefferspray oder Reizgas eigentlich bewirken soll.
Protest gegen Polizeigewalt
Nach dem Bekanntwerden der Videos von dem tödlich verlaufenen Polizeieinsatz werfen zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Medien den Beamten überzogene Gewalt vor. Nahe des Einsatzortes am Mannheimer Marktplatz demonstrierten am Montagabend rund 100 Menschen gegen Polizeigewalt. Auch der Vorwurf rassistischen Handelns wurde in den Raum gestellt. In den Sozialen Medien hatte sich die Information verbreitet, der Verstorbene habe türkische Wurzeln gehabt. Das Landeskriminalamt erklärte dazu lediglich, es handele bei dem Verstorbenen nicht um einen türkischen Staatsbürger. Welche Nationalität der Verstorbene habe, wollte die Behörde nicht mitteilen, das spiele für ihre Ermittlungen keine Rolle.
Diese Ermittlungen sollen nun den Verlauf des Polizeieinsatzes aufklären. Zur Feststellung der Todesursache soll der Leichnam des Mannes zudem am Mittwochvormittag obduziert werden, wie ein Sprecher des LKA dem RND mitteilte. Die beiden am Einsatz beteiligten Polizisten seien bislang nicht vom Dienst suspendiert worden. Sie werden derzeit jedoch als Beschuldigte in einem Strafverfahren geführt. Das sei jedoch ein standardmäßiger Vorgang und sage nichts über eine mögliche Schuld aus, erklärte der LKA-Sprecher.
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Schwieriger Umgang der Polizei mit psychisch kranken Personen
Der Einsatz in Mannheim wirft auch die Frage auf, wie gut deutsche Polizistinnen und Polizisten für den Umgang mit psychisch kranken Personen in Ausnahmezuständen geschult sind. „Es gab in den vergangenen Jahren einen Anstieg von Fällen, in denen sich Polizeibeamte im Umgang mit psychisch kranken Personen nicht anders zu helfen wussten, als diese Personen entweder schwer zu verletzen, oder gar zu töten“, sagte Kriminologe Thomas Feltes. „Etwa drei Viertel aller von der Polizei in Deutschland im Einsatz getöteten Personen waren entweder psychisch gestört, oder standen unter Drogeneinfluss“, erklärte er. Das zeige, dass es einen Nachholbedarf in der Aus- und Fortbildung bei der Polizei gebe. „Man weiß bei der Polizei zu wenig über die Reaktionsweisen psychisch kranker Menschen unter Druck“, so Feltes.