Nach Tod des Al‑Kaida-Anführers

Terrorismusexperte Peter Neumann: „Al‑Kaida steht jetzt vor einem Problem“

Auf dem vom arabischen Nachrichtensender Al‑Jazeera am 30.1.2006 ausgestrahlten Fernsehbild gestikuliert Aiman al‑Sawahiri, damaliger stellvertretender Führer der Terrororganisation Al‑Kaida, während er sich an die Zuschauer wendet. Der Anführer des Terrornetzwerks Al‑Kaida, Aiman al‑Sawahiri, ist bei einem Anti-Terror-Einsatz der USA in Afghanistan getötet worden. Al‑Sawahiri sei am Wochenende bei einem gezielten Drohnenangriff in einem Unterschlupf in der afghanischen Hauptstadt Kabul ums Leben gekommen, sagte eine ranghohe Vertreterin der US‑Regierung.

Auf dem vom arabischen Nachrichtensender Al‑Jazeera am 30.1.2006 ausgestrahlten Fernsehbild gestikuliert Aiman al‑Sawahiri, damaliger stellvertretender Führer der Terrororganisation Al‑Kaida, während er sich an die Zuschauer wendet. Der Anführer des Terrornetzwerks Al‑Kaida, Aiman al‑Sawahiri, ist bei einem Anti-Terror-Einsatz der USA in Afghanistan getötet worden. Al‑Sawahiri sei am Wochenende bei einem gezielten Drohnenangriff in einem Unterschlupf in der afghanischen Hauptstadt Kabul ums Leben gekommen, sagte eine ranghohe Vertreterin der US‑Regierung.

Die USA haben nach eigenen Angaben den Anführer des Terrornetzwerks Al‑Kaida, Aiman al‑Sawahiri, bei einem Drohnenangriff getötet. Hat das vor allem eine symbolische Bedeutung oder ist das ein schwerer Schlag für Al‑Kaida?

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Al‑Kaida hat sich in den letzten 20 Jahren sehr verändert und die Spitze von Al‑Kaida hat keinen so großen operationellen Einfluss mehr, wie noch vor 20 Jahren. Deswegen gehe ich nicht davon aus, dass der Tod von Al-Sawahiri einen großen Unterschied macht. Es ist ein Sieg für die USA, die erneut gezeigt haben: Wer Amerika angreift, der wird verfolgt und zur Strecke gebracht – auch 20 Jahre später noch. Jetzt stellt sich die Frage, wer Nachfolger wird, und das dürfte die Führung von Al‑Kaida einige Zeit beschäftigen.

Gibt es einen klaren Favoriten?

Eigentlich wäre Saif al‑Adel an der Reihe, er ist schon seit Jahr­zehnten bei Al‑Kaida. Allerdings sitzt er im Iran und steht unter Beobachtung der Geheim­dienste. Es ist unvorstellbar, dass Saif al‑Adel aus dem Iran heraus die Führung übernimmt. Al‑Kaida steht jetzt vor einem Problem, denn es gibt gar nicht mehr viele, die aus dieser alten Generation wie bin Laden und al‑Sawahiri stammen und die natürliche Autorität für die Führung von Al‑Kaida hätten. Das ist aber nötig, denn der neue Anführer muss jemand sein, der von den regionalen Al‑Kaida-Gruppen an verschiedenen Orten der Welt akzeptiert wird, damit es nicht zu einem Auseinander­brechen des Terror­netz­werkes kommt. Einen 25‑Jährigen, der noch nichts geleistet hat und den keiner kennt, kann man nicht an die Spitze der Organisation stellen.

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Was hatte al‑Sawahiri für eine Autorität und was zeichnete ihn aus?

Er hatte den Spitznamen „Terror-Doktor“, da er studierter Mediziner war, aber davon darf man sich nicht ablenken lassen. Er war einer, der sein ganzes Leben lang mit dem sogenannten Dschihad zugebracht hat. Erstmals auffällig wurde er in Ägypten im Alter von 15 Jahren, als er an verschiedenen terroristischen Operationen beteiligt war, unter anderem an der Ermordung des ägyptischen Präsidenten. 1980 ist er zum ersten Mal nach Afghanistan gegangen, wo er bin Laden kennen­gelernt hat. Die beiden haben sich zusammen­getan und das war aus ihrer Sicht eine sehr effektive Partnerschaft. Denn bin Laden hatte die Verbindungen nach Saudi Arabien, war sehr charismatisch, hat Geld beschafft und al‑Sawahiri war der Taktiker und Organisator – sozusagen das Gehirn. Er galt als nicht sehr charismatisch, eher wie ein Oberlehrertyp, und soll keine besonders einfache und angenehme Figur gewesen sein. Weil er aber schon sein ganzes Leben dem Dschihad gewidmet hatte, eilte ihm ein fast schon großväterlicher Ruf voraus.

Ein Foto der Zeitung „Ausaf“ vom 8.11.2001 zeigt Osama bin Laden (links) zusammen mit seinem Stellvertreter Aiman al‑Sawahiri in einem Versteck an einem ungenannten Ort in Afghanistan.

Ein Foto der Zeitung „Ausaf“ vom 8.11.2001 zeigt Osama bin Laden (links) zusammen mit seinem Stellvertreter Aiman al‑Sawahiri in einem Versteck an einem ungenannten Ort in Afghanistan.

Zuletzt wurde es aber sehr ruhig um Al‑Kaida. Wie gefährlich ist die Terror­organisation heute?

Al‑Kaida ist heute vor allem ein Dach, unter dem sich verschiedene regionale Terror­gruppen organisieren. Es gibt noch eine Handvoll Gruppen in der Welt, etwa in Afrika, im Jemen, in Südasien und in Syrien, die mit Al‑Kaida verbunden sind. Aber diese Gruppen operieren weitgehend autonom. Die konzentrieren sich auf Kämpfe vor Ort. Deshalb stellt Al‑Kaida heute auch keine so große Bedrohung mehr für Europa und für Amerika dar wie früher. Ihre Ideologie hat sich aber nicht verändert und in einigen Jahren könnten sie wieder eine ernsthafte Gefahr für Europa und die USA sein.

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Laut den USA soll die Taliban-Führung gewusst haben, dass sich der Al‑Kaida-Chef in der afghanischen Hauptstadt Kabul aufhielt. Warum wurde das geduldet?

Das ist wirklich die interessante Frage. Denn die Taliban haben in der Vereinbarung von Doha unterschrieben, dass sie internationalen Terroristen keinen Unterschlupf in Afghanistan gewähren. Diese Vereinbarung wurde durch die Tatsache, dass al‑Sawahiri im Zentrum von Kabul gewohnt hat, ganz eklatant gebrochen. Der Al‑Kaida-Chef hat mit seiner Familie im Zentrum von Kabul gewohnt, in einem sicheren Haus, das von einem der Assistenten des Innenministers unterhalten wurde. Direkter und offensichtlicher geht es nicht. Das zeigt, dass sich die Taliban für diese Vereinbarung nicht besonders interessieren oder zumindest bereit sind, sie zu brechen. Das ist ein schlechtes Zeichen.

Warum?

Weil bisher die Hoffnung bestand, dass die Taliban erkannt hätten, dass die Verbindung zum internationalen Terrorismus ihnen nicht hilft, sondern dazu führt, dass man ihnen misstraut. Diese Hoffnung wurde jetzt enttäuscht. Offensichtlich bestehen die Beziehungen der Taliban zu Al‑Kaida nach wie vor und sind sehr eng. So eng, dass man offensichtlich bereit ist, alles aufs Spiel zu setzen.

Wie sehr kann man den Abmachungen mit den Taliban vertrauen?

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Diese Abmachungen sind nicht viel wert, wie wir jetzt wissen. Was für die Taliban aber wohl viel wichtiger als eine solche Vereinbarung ist, das ist das im Westen eingefrorene Geld. Nach wie vor ist Geld der ehemaligen afghanischen Regierung eingefroren und die Taliban wollen das gerne zurückhaben. Dieses Geld ist die wichtigste und die letzte Stellschraube für den Westen. Gemeinsame Interessen gibt es ohnehin nur für die Bekämpfung des sogenannten „Islamischen Staats“, der feindlich gegen die Taliban und den Westen eingestellt ist.

Peter R. Neumann, Terrorismusexperte und Professor am King’s College London.

Peter R. Neumann, Terrorismusexperte und Professor am King’s College London.

In den USA brüstet sich Präsident Biden mit dem Schlag gegen Al‑Kaida. Wie sehr nützt ihm diese Erfolgsmeldung?

Das ist nur kurz hilfreich für ihn, denn dieser Schlag gegen Al‑Kaida ist keine so große Nummer wie vor elf Jahren die Tötung von Osama bin Laden. Der zeitliche Abstand zum 11. September 2001 war viel geringer und Bin Laden war eine medial viel präsentere Person. In den USA kennt jeder den Namen Osama bin Laden, aber nur wenige wissen, wer Aiman al‑Sawahiri war. Hinzu kommt, dass seit 2001 immer wieder Terroristen zur Strecke gebracht wurden. Und mit jedem Terroristen, der getötet wurde, ist auch der Mehrwert für die Reputation der Präsidenten geringer geworden. Islamistischer Terrorismus ist nicht mehr die Bedrohung, die er vor zehn Jahren noch war und al‑Sawahiri ist nicht der Anführer, der bin Laden einst war.

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