Vereitelte Terrorpläne

„Wir sind da sehr, sehr abhängig“: Warum ist Deutschland auf US-Geheimdienste angewiesen?

Festnahme eines der Verdächtigen in Castrop-Rauxel

Festnahme eines der Verdächtigen in Castrop-Rauxel

Der Tipp kam wieder einmal aus den USA, und er war brisant: Nach den Hinweisen vom Samstag auf mögliche Terrorplanungen von zwei iranischen Brüdern in Nordrhein-Westfalen griff die Polizei nach Angaben der Landesregierung noch in der Nacht zu. Bereits in der Vergangenheit sollen es immer wieder Tipps der US-Sicherheitsbehörden gewesen sein, die dazu führten, dass islamistische Anschläge in Deutschland vereitelt werden können: Etwa 2018 im Fall eines Tunesiers, der in Köln an einer Bombe mit dem biologischen Giftstoff Rizin gearbeitet hat. Oder im Fall eines syrischen Islamisten, der 2016 in Chemnitz an einem Sprengsatz bastelte.

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„Alle größeren Anschlagspläne der letzten 20 Jahre wurden nach ersten Hinweisen der USA vereitelt“, sagte der Terrorismusexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bereits im September 2021 dem Berliner „Tagesspiegel“. „In der Nachrichtengewinnung sind die deutschen Sicherheitsbehörden fast zu 100 Prozent von den US-Nachrichtendiensten NSA und CIA abhängig.“ Anlass für das Interview damals: Die Behörden hatten gerade islamistische Anschlagspläne auf eine Synagoge im nordrhein-westfälischen Hagen durchkreuzt – nach dem Hinweis eines ausländischen Nachrichtendienstes.

Entscheidende Hinweise von den Amerikanern

Die Festnahme der beiden iranischen Brüder in NRW zeigt jetzt, dass die Terrorgefahr in Deutschland weiterhin akut ist. „Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass in Deutschland mehr größere Anschläge passiert wären, wenn wir nicht die Informationen von den Amerikanern bekommen hätten“, sagt der deutsche Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King‘s College dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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“Es gab ja immer wieder Versuche in Deutschland, Anschläge durchzuführen – in Düsseldorf, in Schleswig-Holstein, in Berlin“, sagt Neumann. „Da wäre viel mehr passiert in Deutschland als dieser eine Anschlag von Anis Amri 2016. Und deswegen sage ich, dass wir trotz dieses schrecklichen Anschlags am Breitscheidplatz verglichen mit anderen Ländern eigentlich ziemlich gut weggekommen sind.“ Dass Terrorangriffe vereitelt werden konnten, liege auch an der guten Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden. „Aber wenn die nicht die entscheidenden Hinweise bekommen hätten, dann wären die praktisch im Dunkeln getappt.“

Der Terrorismusexperte Peter Neumann.

Der Terrorismusexperte Peter Neumann.

„Eine sehr deutsche Debatte“

Der Terrorismusexperte sagt: „Wir sind da sehr, sehr abhängig.“ Das liege zum einen an den überlegenen Fähigkeiten der Amerikaner zur Überwachung. Sie hätten mehr Personal, um beispielsweise einschlägige Chatgruppen zu beobachten, und sie verfügten über ihr globales Satellitennetzwerk. „Zum anderen liegt es daran, dass wir viel mehr Skrupel haben, was Abhören angeht. Das ist eine sehr deutsche Debatte. Wir hören oftmals nicht ab und sind deswegen angewiesen auf Informationen von Leuten, die es tun.“

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Deutsche Sicherheitsbehörden sind häufig strengeren gesetzlichen Auflagen unterworfen als ihre amerikanischen Pendants. Im Mai 2020 ordnete das Bundesverfassungsgericht an, dass sich der Bundesnachrichtendienst auch im Ausland an die Grundrechte halten muss – und dass sich damit Menschen weltweit etwa auf das deutsche Fernmeldegeheimnis berufen können. Solche Restriktionen gelten für amerikanische Dienste im Ausland nicht.

„Ausspähen unter Freunden“

Wie weit US-Geheimdienste gehen, zeigte sich 2013, als bekannt wurde, dass die National Security Agency (NSA) jahrelang das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgespäht hatte. Unvergessen ist bis heute Merkels verärgerte Reaktion: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Neumann meint dazu: „Natürlich sollten die Amerikaner nicht Frau Merkel abhören. Aber das, was die Amerikaner da an Leistung und an Fähigkeiten erbringen, ist etwas, wovon wir abhängig sind und was wir dringend benötigen. Und da sollte man sich auch als Politiker trauen, das öffentlich auszusprechen, selbst wenn es unpopulär ist.“

Nach Biowaffenanschlag: weitere Durchsuchungen in Castrop-Rauxel
09.01.2023, Nordrhein-Westfalen, Castrop-Rauxel: Ein ferngesteuertes Roboterfahrzeug ist im Einsatz. Ein Iraner soll einen Giftanschlag geplant haben. Der 32-jährige und sein Bruder waren in der Nacht zum Sonntag bei einem Großeinsatz der Polizei festgenommen worden. Foto: Bernd Thissen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Oberstaatsanwalt bestätigt, dass bei der Durchsuchung von zwei Garagen keine beweisrelevanten Gegenstände gefunden werden konnten.

Sportdress statt Bleiweste?

In der Politik haben die mutmaßlichen Terrorplanungen in NRW die Debatte um die Abhängigkeit von ausländischen Nachrichtendiensten neu entfacht – ebenso wie die Diskussion um die Restriktionen, denen deutsche Sicherheitsbehörden unterliegen. „Im parlamentarischen Raum wird intensiv darüber nachgedacht, was verändert werden muss“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, der im Parlamentarischen Kontrollgremium zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes sitzt, dem RND. „Die Debatte ist noch in den Anfängen, aber sie wird in diesem Jahr kommen.“

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Die Dienste müssten sich weiterentwickeln, um mit dem Gegner mitzuhalten, betont Stegner. „Sie sollen ja nicht mit Bleiweste laufen, während der Gegner im Sportdress unterwegs ist. Wir müssen den Diensten mehr Möglichkeiten geben – aber nur, wenn die strikte parlamentarische Kontrolle mithält.“

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