Studie: Jeder vierte Deutsche hat antisemitische Gedanken
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Ein Mann mit Kippa steht vor der Neuen Synagoge vor einer Menschenkette. Das Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin hatte zu der Aktion unter dem Motto «Wir stehen an Eurer Seite!» aufgerufen, um ein Zeichen gegen Antisemitismus und Hass zu setzen.
© Quelle: Paul Zinken/dpa
Berlin. Jeder vierte Deutsche hegt laut einer neuen Studie antisemitische Gedanken. Und 41 Prozent sind gar der Meinung, Juden redeten zu viel über den Massenmord des Nazi-Regimes an den europäischen Juden, wie eine repräsentative Umfrage des Jüdischen Weltkongresses zeigt, über die die "Süddeutsche Zeitung" berichtete. Die Befragung mit 1300 Teilnehmern fand vor zweieinhalb Monaten statt, also vor dem Anschlag auf die Synagoge in Halle.
Dem Bericht zufolge behaupten 28 Prozent der als Elite bezeichneten Umfrageteilnehmer, Juden hätten zu viel Macht in der Wirtschaft, 26 Prozent attestieren Juden "zu viel Macht in der Weltpolitik". Zur Elite zählen die Studienautoren Hochschulabsolventen mit einem Jahreseinkommen von mindestens 100 000 Euro.
22 Prozent sagen, Juden würden wegen ihres Verhaltens gehasst
Weiter ergab die Befragung laut "SZ", dass fast die Hälfte von ihnen (48 Prozent) behauptet, Juden verhielten sich loyaler zu Israel als zu Deutschland. Zwölf Prozent aller Befragten gaben an, Juden trügen die Verantwortung für die meisten Kriege auf der Welt. 22 Prozent sagen, Juden würden wegen ihres Verhaltens gehasst.
Wachsender Antisemitismus wird der Studie zufolge von einer überwältigenden Mehrheit in der Bevölkerung wahrgenommen und mit dem Erfolg rechtsextremer Parteien in Verbindung gebracht. 65 Prozent der Deutschen und 76 Prozent der sogenannten Elite sehen einen Zusammenhang.
Antisemitismus habe in Deutschland einen Krisenpunkt erreicht
Der Jüdische Weltkongress (WJC) ist eine Vereinigung, die jüdische Gemeinden und Organisationen in 100 Ländern vertritt. Der Präsident Ronald S. Lauder sagte der "SZ" zu der Studie, Antisemitismus habe in Deutschland einen Krisenpunkt erreicht. "Es ist an der Zeit, dass die gesamte deutsche Gesellschaft Position bezieht und Antisemitismus frontal bekämpft."
Bischof Markus Dröge von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz setzt sich ebenfalls für ein stärkeres Engagement gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus ein. Rechte Hetzparolen und Verschwörungstheorien, Menschenverachtung und völkischer Hass dürften nicht verharmlost werden, sagte Dröge in seinem letzten Bischofswort vor der Synode in Berlin. Die Landeskirche stelle sich „klar und entschieden“ gegen jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung, gegen menschenverachtendes Handeln und jegliche Infragestellung demokratischer Grundlagen, betonte der Bischof.
Bildungsarbeit besonders wichtig
Gutgemeinte Worte der Betroffenheit reichten nach dem Anschlag von Halle nicht mehr aus, betonte Dröge. Wer „Nie wieder“ zur Gewalt gegen Juden sage, müsse ebenso deutlich sagen, dass es nie wieder zugelassen werden dürfe, dass der Nährboden für diese Gewalt bereitet wird. Dafür sei Bildungsarbeit besonders wichtig. Bildung sei wesentlich, um Antisemitismus zu überwinden.
In Halle hatte am 9. Oktober hatte ein Deutscher schwer bewaffnet versucht, in eine Synagoge einzudringen. Als sein Plan misslang, erschoss er auf der Straße eine 40 Jahre alte Frau und kurz darauf einen 20-Jährigen in einem Döner-Imbiss. Der 27-Jährige ist in Untersuchungshaft und gibt ein rechtsextremistisches, antisemitisches Motiv zu.
RND/dpa/epd