Die verlogene Debatte ums Bürgergeld
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Eine Eineuromünze.
© Quelle: imago images/MiS
Die Debatte ums Bürgergeld wird leider von allen Seiten reichlich verlogen geführt – parteipolitisch und polemisch. Den Betroffenen hilft das wenig. Im Gegenteil: Dringend notwendige Schritte wie die Erhöhung der Regelsätze drohen verzögert zu werden.
Der Reihe nach: Die Union ist schlecht beraten, die Kritik an den Bürgergeldplänen erst mit dem – nachher zurückgenommenen Begriff – des „Sozialtourismus“ zu eröffnen. Dann über „Pullfaktoren“ zu reden, um schließlich mit zweifelhaften Rechenbeispielen nachweisen zu wollen, dass sich Erwerbsarbeit zum Mindestlohn nicht mehr lohne. Konstruktive Opposition geht echt anders.
Es gibt auch heute schon eine Unwucht im System
Die Sozialdemokraten wiederum sind auch nicht gut beraten, wenn sie das Problem ignorieren, dass es selbstverständlich Unmut bei Geringverdienern gibt. Viele von ihnen wissen trotz aller staatlichen Zusagen für Hilfen gerade nicht, wie sie ihre Gas- und Stromrechnungen zahlen sollen, während Heizkosten für Hartz‑IV-Empfänger vom Staat übernommen werden. Wie soll man ihnen auch erklären, dass sie die Klassenfahrt ihrer Kinder selbst zahlen müssen, während Hartz‑IV-Bezieher die Kosten dafür erstattet bekommen?
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„Offen über Geld zu sprechen ist erleichternd“
Mareice Kaiser ist eine erfolgreiche Autorin und Journalistin. Trotzdem gab es in ihrem Leben eine Zeit, in der sie nicht einmal das Eis für ihre Tochter bezahlen konnte. Im RND-Interview erzählt sie von ihrer Geldbiografie, von Dispo-Ping-Pong und davon, wie viel Geld genug ist.
Nein, man darf diese Gruppen der Geringverdiener und der Hartz‑IV-Bezieher nicht gegeneinander ausspielen. Man darf aber auch nicht einfach ausblenden und totschweigen, dass es auch heute schon Unwucht im System gibt, die sich durch die galoppierende Inflation verstärkt. Und ja: Das Lohnabstandsgebot gilt es einzuhalten, also die Vorgabe, dass wer erwerbstätig ist, mehr Geld zur Verfügung hat als Nichterwerbstätige. Die Debatte, wie das gelingt, muss geführt werden. Zumal die Gruppe der Geringverdiener ebenfalls mehr Hilfe in der aktuellen Lage braucht. Die Ausweitung des Wohngelds und die geplante Reform der Kinderzuschläge sind dafür richtige Ansätze.
Die Schonung des Vermögens ist grundsätzlich sinnvoll
Nun ist die Realität bekanntlich komplizierter, als der eifernde öffentliche parteipolitische Streit es vermuten lässt. Natürlich gibt es Hartz‑IV-Empfänger, die vom Amt gegängelt und mit wenig zielführenden Fortbildungsmaßnahmen belegt werden. Es gibt auch diejenigen, die wegen langer Krankheit durch alle Raster fallen. Und dann finden sich auch diejenigen, die es sich hübsch mit Hartz‑IV plus Schwarzarbeit eingerichtet haben. Dagegen unternimmt der Staat viel zu wenig.
Den Menschen Schonvermögen und ihre Wohnung vorerst zu lassen, dafür spricht viel. Zumal es dem Leistungsprinzip entspricht, wonach es sich auch im Fall von längerer Arbeitslosigkeit gelohnt hat, Vermögen aufzubauen oder ein Häuschen abzubezahlen. Sinnvoll ist die Schonung des Vermögens allerdings nur, wenn der Weg zurück in die Erwerbstätigkeit auch funktioniert. Dieser Punkt ist das große Defizit des bisherigen Hartz‑IV-Systems, das mit dem Bürgergeld leider auch nicht angepackt wird.
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Neues Bürgergeld sollte zwei Jahren nach Einführung überprüft werden
In den vergangenen Jahren gab es genug Jobs und genug finanzielle Mittel für Fördermaßnahmen, um Menschen in Arbeit zu bringen. Dennoch ist es millionenfach nicht gelungen, arbeitsfähige Menschen auch dauerhaft auf neue Stellen zu vermitteln. Warum hat das nicht funktioniert und wie müssen sich Jobcenter neu organisieren, damit das künftig besser gelingt? Darauf gibt das geplante neue Bürgergeld leider keine Antwort.
Unabhängig davon, worauf sich Union und Ampelparteien am Ende werden einigen können, muss das neue Bürgergeld spätestens nach zwei Jahren unbedingt auf seine Wirkung überprüft werden. Die Regierung sollte dann Bilanz ziehen, ob die neuen Freiräume für Bürgergeldbezieher auch dazu genutzt werden, sich tatsächlich weiterzuqualifizieren und den Weg (zurück) ins Arbeitsleben zu gehen.