Stiko-Chef Mertens räumt Versäumnisse bei Impfempfehlungen ein
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/2M4KIXFKAZBGZFYXQVGGE3DOFM.jpg)
Der Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens.
© Quelle: picture alliance/dpa
Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, hat erstmals Versäumnisse bezüglich der Empfehlungen von Impfungen eingeräumt. Bestimmte Entscheidungen der Kommission seien aus „heutiger Perspektive“ zu spät erfolgt, sagte Mertens gegenüber dem ARD-Politikmagazin „Panorama“. Demnach wäre es nach Ansicht des Ulmer Virologen „wahrscheinlich günstiger gewesen, mit dem Boostern früher anzufangen“.
Mertens erklärte den langen Entscheidungsprozess mit der langwierigen Verarbeitung von Daten. Zuerst müsste definiert werden, welche Daten gebraucht werden. Danach müssten diese Daten, erhoben, erarbeitet und schließlich diskutiert werden.
Kritik von israelischem Kollegen
Der ehemalige Leiter des Impfprogramms in Israel, Ronnie Gamzu, übte ebenfalls Kritik an den deutschen Kolleginnen und Kollegen. Es habe keine wissenschaftliche Basis dafür gegeben, zu sagen, die Auffrischungsimpfung bringe nur den über 65- oder über 70-Jährigen etwas. Man habe schon früh die entsprechenden Daten gehabt.
Mertens verteidigte, man habe die „israelischen Daten und die Evidenz erst aufarbeiten“ müssen. Der Vergleich mit Israel sei an vielen Punkten nicht möglich. Für den Israeli Gamzu hat Deutschland jedoch die Chance verpasst, Schlüsse aus der Lage in Israel zu ziehen. Die Daten hätten erkennen lassen, was in Deutschland drei Monate später tatsächlich auch passierte.
Äußere Faktoren beeinflussen Stiko-Entscheidungen
Mertens betonte gegenüber Panorama, es sei nicht Aufgabe der Stiko, die „Umsetzung der Impfung“ zu organisieren oder darüber zu befinden, „wie die Impfstoffe beschafft werden, wie die Impfstoffe verteilt werden“.
Dennoch räumte Mertens in dem Interview auch den Einfluss äußerer Faktoren auf die Entscheidungen der Kommission ein. Das sehe man an der Empfehlung der über 70-Jährigen. „Da nicht absehbar war, dass wir in unserer Bevölkerung so schnell wie in Israel eine Durchimpfung vornehmen können, musste man auf jeden Fall zunächst die Menschen schützen, die auch ein hohes Risiko für schwere Erkrankungen haben. Und das war der Hauptgrund für diese Empfehlung“, sagte Mertens.
Doch die Stiko hat wohl nicht nur aufgrund der reinen Datenlage zugunsten der über 70-Jährigen entschieden. Ein weiterer Grund ist demnach die schlechte deutsche Impfinfrastruktur, die durch die Schließung der Impfzentren sogar noch weiter abgebaut wurde.
RND/ar