SPD sucht Spitzenkandidaten: Nahles allein in Europa

SPD-Chefin Andrea Nahles: Ab in die Büsche.

SPD-Chefin Andrea Nahles: Ab in die Büsche.

Berlin. Über einen Mangel an Baustellen kann sich Andrea Nahles im Moment nicht beklagen. Angefangen bei der dauerkriselnden Koalition, über die Umfragewerte der SPD bis zum schwindenden Rückhalt in den eigenen Reihen: Wohin die SPD-Chefin dieser Tage auch blickt, sieht sie Probleme.

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Eines, über das im Moment öffentlich wenig und intern viel gesprochen wird, ist die Frage, wer die SPD als Spitzenkandidat in die Europawahl führen soll. Es ist Nahles’ wichtigste Personalentscheidung seit der Regierungsbildung im Frühjahr. Bestenfalls geht von der Nominierung ein Aufbruchsignal für den wichtigen Urnengang im Mai 2019 aus. Schlechtestenfalls wird die Spitzenkandidatur zum Sinnbild des Niedergangs der SPD. Derzeit deutet vieles darauf hin, dass eher der zweite Fall eintreten wird. Anders als in früheren Jahren stehen die Bewerber keineswegs Schlange. Im Gegenteil: Bei allen, die Nahles sich ausguckt, scheint vor allem eine Devise zu gelten: ab in die Büsche.

Juso-Chef Kühnert lehnte dankend ab

Die Misere begann mit der Absage von Juso-Chef Kevin Kühnert. Den Chef des SPD-Nachwuchses als Aushängeschild für die Europa-Kampagne zu gewinnen, wäre aus Nahles’ Sicht in mehrfacher Hinsicht charmant gewesen: Kühnert steht wie kein anderer für den Wunsch nach etwas Neuem. Er hätte weit über die klassische SPD-Klientel hinaus wirken, junge, europaaffine Wählergruppen mobilisieren können. Und – als positiver Nebeneffekt – wäre Kühnert für die Zeit der Wahlkampfes auch noch als Kritiker der Parteiführung ausgefallen. Im Willy-Brandt-Haus träumten die Strategen bereits von einer Doppelspitze nach dem Vorbild des grünen Spitzenduos Robert Habeck und Annalena Baerbock.

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Kühnert und eine Frau von draußen, vielleicht aus dem Kreis der Bewegung „Pulse of Europe“, das wäre doch ein zugkräftiges Duo. Doch alle Planspiele wurden nichts. Denn als der Europa-Beauftragte des SPD-Parteivorstandes, Udo Bullmann, Kühnert im Sommer nach dessen Bereitschaft fragte, war die Antwort freundlich aber bestimmt: Nein Danke, kein Interesse. Auch Generalsekretär Lars Klingbeil soll es danach auf Umwegen noch einmal bei Kühnert versucht haben, doch der 29-Jährige blieb bei seiner Haltung.

Kühnert glaubt, dass er jegliche Glaubwürdigkeit verspielen würden, wenn er auf das erstbeste Angebot der Partespitze einginge. Außerdem weiß der Juso-Chef um die Gefahr, in dem Wahlkampf verheizt zu werden. Und er sieht seine politische Zukunft nicht in Brüssel, sondern in Berlin.

Manch einer ist wütend auf Katarina Barley

Nach der Absage Kühnerts versuchten es die Parteigranden bei einer Frau. Wäre Katarina Barley für Europa nicht die geradezu natürliche Kandidatin? Immerhin hat die Justizministerin neben einem deutschen auch den britischen Pass, ihre beiden Kinder haben Großeltern mit vier verschiedenen Nationalitäten, und von Barleys Trierer Wahlkreis aus kann man an einem Tag mit dem Fahrrad durch vier europäische Länder fahren. Mehr Europa geht doch gar nicht.

Das Dumme ist nur, dass auch Barley nicht wollte. Mehrfach hat Nahles es bei ihr versucht, doch es gab immer nur Körbe. Am Anfang hat Barley höflich gezögert, am Ende wurde sie deutlich. „Ich sehe meinen Platz in Berlin, Andrea“.

In der SPD sorgt die ablehnende Haltung Barleys bei manch einem für Zorn, schließlich habe die Partei ihr viel ermöglicht. Andere können ihre Haltung nachvollziehen. Es ist nicht besonders reizvoll, einen Ministerposten in Berlin aufzugeben, um danach als einfacher Abgeordneter im Brüsseler Parlament zu sitzen. Hinzu kommt, dass es bei der Europawahl im kommenden Jahr für die SPD wenig zu gewinnen gibt. Martin Schulz hatte die SPD 2013 als europäischer Spitzenkandidat auf 27 Prozent gehievt, ein aus heutiger Sicht geradezu utopisches Ergebnis. Jeder potenzielle Nachfolger steht vor dem Problem, dass es eigentlich nur schlechter werden kann.

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Die Angst vor Sigmar Gabriel ist immer noch da

So einige in der SPD kamen deshalb auf die kühne Idee, dass Schulz es noch mal selbst versuchen müsse. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat das sogar öffentlich gefordert, dem Vernehmen nach aber ohne sich vorher mit Schulz abzustimmen. Der gescheiterte Kanzlerkandidat nahm das Interesse wohlwollend zur Kenntnis. Noch eine Höllentour wollte Schulz sich und seiner Partei dann aber doch nicht antun. Zudem merkte er, dass Parteichefin Nahles kein echtes Interesse an einem Comeback des ehemaligen Parteichefs hatte.

Apropos Comeback: Ein anderer würde womöglich wollen und sogar können, aber auch den will in Nahles’ Führungsetage niemand mehr: Ex-Außenminister Sigmar Gabriel. Mit Mühe hatte Nahles Gabriel nach der Regierungsbildung aus dem Außenministerium gedrängt. Die beiden verbindet tiefe beidseitige Abneigung, seit sie vier Jahre lang gemeinsam das Willy-Brandt-Haus geleitet hatten. Nahles’ Angst vor einer Rückkehr des Goslarers ist so groß, dass sie Gabriel hinter allem vermutet – selbst hinter der zeitweise geführten Debatte um einem mögliche Urwahl, um die Spitzenkandidatur zu klären.

Dass es die nicht geben wird, ist inzwischen sicher, obwohl viele Genossen der Idee nicht abgeneigt sind. Allerdings wird jede Debatte vermieden, da man Angriffe auf die suchende Parteichefin vermeiden möchte. Nun steht Nahles allein da. Ohne Erzfeinde, ohne Wunschkandidaten.

Jung, weiblich, mit Migrationshintergrund gesucht

In ihrer wachsenden Verzweiflung such die Parteichefin nun außerhalb der SPD. Ihr bevorzugtes Suchschema ist: weiblich, jung, Migrationshintergrund. Zwischenstand bisher: Die Suche läuft.

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Die andauernde Erfolglosigkeit bei der Kandidatenkür lässt nun wieder einen Kandidaten zum Favoriten aufsteigen, den die Parteispitze eigentlich schon mehrfach für ungeeignet befunden hat: Udo Bullmann. Der 62-Jährige aus Gießen ist ein erfahrener Europapolitiker, seit diesem Jahr sogar Chef der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament – allerdings ohne besonderes Charisma. Einzig der hessische Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel gilt als enger Unterstützer Bullmanns, der auch sein Trauzeuge war.

Bullmann hat einen Vorteil: Er stünde bereit. Das ist zurzeit fast schon ein Alleinstellungsmerkmal in der SPD.

Von Andreas Niesmann/RND

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