SPD-Erfolg: Und plötzlich sind alle Hanseaten
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SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken: “Ein wirklich toller Tag.”
© Quelle: Wolfgang Kumm/dpa
Berlin. Sie müssen sich erst wieder daran gewöhnen. Wahlsonntage, an denen es für die SPD etwas zu feiern gibt, sind selten geworden. So selten, dass die früher mal obligatorischen Wahlpartys in der Berliner Parteizentrale seit der Bayernwahl 2018 nicht mehr stattfinden.
Aber offenbar hat sich das noch nicht überall herumgesprochen, denn am Sonntagabend um kurz vor 18 Uhr tauchen einige feierlustige Sozialdemokraten am Eingang des Willy-Brandt-Hauses auf – und müssen unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen. Ins Foyer der Parteizentrale darf an diesem Abend nur die Presse. Getränkeauswahl: Wasser mit und ohne.
Jubel gibt es keinen, als der rote Balken um 18 Uhr weit über die 30-Prozent-Marke hinausschießt. Einfach weil keiner da ist, der Jubeln könnte. Dafür gibt es an diesem Abend viele, die glauben zu wissen, was die Gründe für den SPD-Sieg bei der Bürgerschaftswahl in der Freien und Hansestadt Hamburg (hier geht es zum Liveblog) gewesen sind.
Kommentar zur Bürgerschaftswahl in Hamburg
Der stellvertretende Chefredakteur des RND spricht über die Ergebnisse der Bürgerschaftswahl in Hamburg.
Das Erbe des Finanzministers?
Der erste flimmert schon um drei Minuten nach sechs über die Bildschirme. Es ist der frühere Hamburger Bürgermeister und heutige Vizekanzler Olaf Scholz, der das G20-Finanzministertreffen in Saudi-Arabien früher verlassen hat, eigens um diesen Wahlabend in Hamburg mitzuerleben. Eine “vernünftige, pragmatische und geerdete Wirtschaftspolitik” habe da gewonnen, sagt Scholz. “Es ist gut regiert worden.”
Er spricht es nicht aus, aber es ist auch so jedem klar, dass Scholz damit zu einem guten Teil sich selbst meint. Es sind sein Kurs, sein Stil, sein Erbe, die nun zum Erfolg geführt haben – so sieht er es zumindest.
SPD gewinnt Hamburg-Wahl – klare Mehrheit für Rot-Grün
In Hamburg hat die SPD die Bürgerschaftswahl klar gewonnen, weswegen die Rot-Grüne Regierung unter Peter Tschentscher bequem weiter regieren kann.
© Quelle: AFP
Dass Scholz bei seinem Wechsel nach Berlin im Frühjahr 2018 alles andere als geordnete Verhältnisse hinterlassen hatte, dass die Hamburger Stadtgesellschaft nach den Chaostagen des G20-Gipfels massiv verunsichert war und die Hamburg-SPD in Umfragen bei für ihre Verhältnisse mickrigen 28 Prozent herumdümpelte – Schwamm drüber.
Der Beitrag der Parteichefs
Um halb sieben treten zwei weitere Wahlsieger vor die Kameras: die neuen SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Freude und Erleichterung sind den beiden anzusehen, das Schicksal ihrer Vorgänger Andrea Nahles und Martin Schulz, gleich in den ersten Monaten der Amtszeit Wahlniederlagen schönreden zu müssen, bleibt ihnen erspart.
“Es ist ein wunderschöner Tag für Hamburg und ein wunderschöner Tag für die SPD”, sagt Walter-Borjans in seinem kurzen Statement. Ein “großer Erfolg” sei das, “ein wirklich toller Tag.”
Kurz vor dem Auftritt haben Walter-Borjans und Esken mit dem Hamburger Wahlsieger Peter Tschentscher telefoniert, nun übermitteln sie ihre Glückwünsche auch öffentlich. Eine “grundsolide sozialdemokratische Regierungspolitik” hätten die Hamburgerinnen und Hamburger honoriert, sagt der Walter-Borjans.
“Sie haben aber auch erfahren, was es heißt, wenn die Bundespartei einen klaren Kompass hat. Ich glaube, dass dieses Zusammenspiel, jeder an seinem Platz, einen guten Beitrag zu diesem Ergebnis geleistet hat.” Für den Fall, dass jemand die Botschaft noch nicht verstanden haben sollte, weist Walter-Borjans noch einmal darauf hin, dass die Hamburger SPD noch im November deutlich schlechter dagestanden habe. Subtext: Kurz vor seiner Wahl an die Parteispitze.
Auch die Co-Vorsitzende Saskia Esken reklamiert einen Teil des Erfolges für sich. Zwar sagt sie brav in Richtung der Hamburger Genossen, “das ist euer Erfolg”, sie sagt aber auch: “Wir freuen uns, dass damit die klare Haltung der SPD hier in Berlin honoriert wurde.” Und weiter: “Ich bin der festen Überzeugung, dass das beitragen konnte zum Wahlerfolg.”
Der Erfolg hat viele Väter
Die Statements von Walter-Borjans und Esken sind Ausdruck einer fast schon paradoxen Situation. Einerseits stabilisieren die Wahlerfolge die holprig gestarteten Vorsitzenden, andererseits hält kein Landesverband größere Distanz zur Bundesspitze als die Hamburg-SPD. Im parteiinternen Wahlkampf gab es eine klare Empfehlung der Hanseaten für Scholz und dessen Tandempartnerin Klara Geywitz. Im Bürgerschaftswahlkampf betonte Bürgermeister Tschentscher regelmäßig, dass ihm vieles im Bund gerade nicht gefalle. Die gemeinsamen Wahlkampfauftritte mit den Bundesvorsitzenden sparte er sich komplett.
Für Esken und Walter-Borjans war das ein Affront, zumal Vertreter der Regierungs-SPD wie Arbeitsminister Hubertus Heil und Familienministerin Franziska Giffey wie selbstverständlich im Hamburger Wahlkampf vorbeischauten.
Würden die neuen SPD-Chefs sich ehrlich machen, müssten sie wohl zugeben, dass die Hamburg-Wahl nicht wegen, sondern trotz ihnen zum zum SPD-Erfolg wurde. Und auch Scholz müsste wohl einräumen, dass sein Anteil am Sieg eher gering ist.
Doch so viel Ehrlichkeit ist in der Politik selten. Es ist wie so oft: Der Erfolg hat viele Väter und Mütter – nur der Misserfolg bleibt ein Waisenkind.