Social Media am Abgrund, Trump wird angeklagt
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Die einstige bunte Social-Welt hat sich stark verändert.
© Quelle: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/Illustration
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
wenn die SPD-Politikerin Sawsan Chebli (44) zu Fuß durch ihre Heimatstadt Berlin läuft, trägt sie selten beide Kopfhörer in den Ohren. Sie wolle mitbekommen, sagt sie im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND, +), wenn sich ihr jemand nähere. Ist sie abends unterwegs, schickt sie ihrer Familie per Smartphone permanent live ihren Standort. Die ehemalige Staatssekretärin, geboren 1978 in West-Berlin als zwölftes von 13 Kindern einer geflüchteten palästinensischen Familie, ist ein gebranntes Kind: Mitten am Tag schubste sie einst ein fremder Mann, sagte, sie solle sich „verpissen“ aus Deutschland. Seither ist Cheblis Sicherheitsgefühl erschüttert. In den sozialen Medien gehört Chebli zu den meistangegriffenen, aber auch streitbarsten Protagonistinnen.
Ist es nicht traurig, dass Anfeindungen, Rassismus, Beschimpfungen, Sexismus und Bedrohungen für eine Frau wie Sawsan Chebli und für sehr viele andere Menschen zum ganz normalen Alltag als öffentliche Person in Deutschland gehören? Dass eine Frau, die sie gar nicht kannte, ihr einfach so vom Fahrrad aus zuruft „Hören Sie auf! Hauen Sie ab, Frau Chebli!“? Dass sie im Interview mit dem RND aus Sicherheitsgründen lieber nicht mitteilt, ob und auf welche Weise sie aktuell unter Personenschutz steht? Und das alles nur, weil sie in einem freien Land ihre freie Meinung sagt?
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Sawsan Chebli (SPD) steht in einem Garten. Die Berliner SPD-Politikerin Chebli wünscht sich mehr Zivilcourage im Kampf gegen Hasskommentare im Netz.
© Quelle: Christophe Gateau/dpa
Ihre Familie wünsche sich, verrät Chebli, „dass ich meinen Twitter-Account stilllege und mich nicht mehr so sehr in gesellschaftspolitische Themen einmische“. Aber sie könne nicht anders. Denn: „In Momenten der Schwäche, der Angst und der Zweifel regt sich das kleine Mädchen in mir, das es trotz schwieriger Verhältnisse geschafft hat.“ Und mehr noch: Man dürfe Demokratiefeindinnen und ‑feinden nicht das Netz überlassen. „Ich habe irgendwann aufgehört, die Shitstorms zu zählen. Aber es waren viele.“ Facebook hat sie vor einigen Jahren sogar ganz verlassen. „Facebook wurde für mich immer gefährlicher. Bei den meisten Posts gab es strafrechtlich relevante Hasskommentare.“
Wie sieht die Zukunft der sozialen Medien aus?
Chebli ist nicht die Einzige, deren Verhältnis zu sozialen Medien sich massiv eingetrübt hat. Das Web 2.0 steckt in einer tiefen Identitätskrise. Die Begeisterung über das Machbare ist längst verflogen. Werbeumsätze sinken, der Börsenwert bricht ein. Die großen Techkonzerne haben Zehntausende Arbeitsplätze gestrichen. Social Media stirbt. Nicht sofort. Nicht morgen oder übermorgen. Aber der Niedergang der klassischen Social-Media-Plattformen in ihrer jetzigen Form scheint unausweichlich. „Die Ära der sozialen Medien endet“, schreibt das US-Magazin „The Atlantic“. „Und sie hätte niemals beginnen dürfen.“
Gut 20 Jahre nach der ersten Begeisterung über die fröhliche globale Vernetzung sind die Plattformen zu reinen One-Way-Kanälen für eine grelle 24/7-Show von Milliarden Protagonistinnen und Protagonisten geworden. Die dunkle Seite des Menschseins übernahm, es blüht die Lust am Abgründigen, Gefakten und Garstigen. Die Hoffnung war: Hier entstehen wahre demokratische Strukturen. Die Wahrheit ist: Hier entstand eine giftige Kloake. Der Ton ist rau, die Lunten sind kurz, die Skandale zahlreich. Bei Twitter herrscht Chaos, bei Facebook Ratlosigkeit. Die Frage ist: Was kommt danach? (+)
Es gibt Indizien dafür, dass die Zukunft im sozialen Internet einer verschüttet geglaubten Tugend gehören könnte, nach der sich immer mehr Menschen sehnen: Freundlichkeit. Hoffen wir das Beste. Damit nicht nur Sawsan Chebli digitale Debatten in absehbarer Zeit ohne seelische oder körperliche Blessuren übersteht.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in diesen Tag,
Ihr Imre Grimm
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Der Tag
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Zitat des Tages
Das ist politische Verfolgung und Wahlbeeinflussung auf dem höchsten Niveau der Geschichte.
Donald Trump,
ehemaliger US-Präsident
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Donald Trump, der erste US-Präsident der Geschichte, der sich einer Anklage stellen muss.
© Quelle: Sue Ogrocki/AP/dpa
Wochenlang hat die Welt auf diese Nachricht gewartet, am späten Donnerstagabend deutscher Zeit war es dann klar: Eine Grand Jury hat sich für die strafrechtliche Anklage des Ex-US-Präsidenten Donald Trump entschieden. Das ist eine Zäsur. Noch nie zuvor in der US-Geschichte wurde eine ehemaliger oder aktueller US-Präsident angeklagt.
Die genauen Vorwürfe waren zunächst unklar, der zuständige New Yorker Bezirksanwalt Alvin Bragg wirft dem Republikaner die Zahlung von Schweigegeld an den Pornostar Stormy Daniels und das Model Karen McDougal vor. Bei den Ermittlungen geht es um die Frage, ob Trump durch die Zahlung womöglich gegen Gesetze zur Wahlkampffinanzierung verstoßen hat.
US-Korrespondent Karl Doemens bezeichnet das als einen „überfälligen Schritt“. Angesichts seiner zahlreichen Verstöße gegen das Gesetz müsste Trump eigentlich längst hinter Gittern sitzen, schreibt er in seinem Kommentar.
Wer heute wichtig wird
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will sich bei den Wahlen am 14. Mai zum dritten Mal zum Präsidenten wählen lassen – die Opposition hält eine Kandidatur für eine dritte Amtszeit für verfassungswidrig. Heute gibt die türkische Wahlbehörde die offizielle Kandidatenliste bekannt. Wer darauf steht, ist zugelassen. Erdogan steht vor seiner schwierigsten Wahl nach 20 Jahren an der Macht als Ministerpräsident und dann als Präsident. In einigen Umfragen liegt sein Konkurrent von der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, vorn.
© Quelle: IMAGO/Depo Photos
Termine des Tages
9.30 Uhr: Der Bundesrat befasst sich heute unter anderem mit dem Finanzierungsgesetz des 49-Euro-Tickets.
Ganztägig: König Charles III. und Queen Consort Camilla reisen am dritten Tag ihres Deutschland-Besuchs weiter nach Hamburg. Dort werden sie auch eine Bootsfahrt machen. Den Besuch können Sie heute in unserem Liveblog verfolgen.
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Über Nacht reisen: Von Berlin über Nacht nach Stockholm oder von Stuttgart nach Kroatien – die Nachtzugverbindungen nehmen immer mehr zu. Doch lässt sich wirklich schon von einem Boom sprechen? Das Interesse ist da, doch es fehlt immer noch an sinnvollen Angeboten, sagt ein Verkehrsexperte.
Alte weiße Männer kapern Insta: Thomas Gottschalk ist jetzt bei Instagram. Total real. Megafresh. Doch gibt es noch viele andere von seiner Sorte auf der Plattform. Fünf Erkenntnisse über alte weiße Männer bei Instagram.
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