Geht das schneller, Deutschland? So können wir die Klimaziele erreichen
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Der Kampf gegen den Klimawandel muss auf vielen Feldern geführt werden.
© Quelle: RND-Montage: Behrens und Gümther, Quelle: Imago/Panthermedia/labitase/Ikon Images
Berlin. Ein gutes Jahr lang hatte die Corona-Pandemie der Klimakrise die Aufmerksamkeit entzogen, nun kommt das Thema mit Wucht zurück: In den USA will sich der neue Präsident Joe Biden als Klimaschutzvorreiter profilieren.
Die Europäische Union hat gerade ihr Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, konkretisiert und will nun schon ab 2030 weniger als die Hälfte der Treibhausgase von 1990 ausstoßen.
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Und in Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht die Politik gerade verpflichtet, schon bis Ende 2022 die bisher vagen Ziele zur CO₂-Reduzierung der Treibhausgase in diesem Jahrzehnt genauer festzulegen.
Paradigmenwechsel beim Klimaschutz
So soll sich sich Deutschland schneller auf die erforderliche Klimaneutralität vorbereiten, die das Klimaschutzgesetz seit 2019 für das Jahr 2050 vorschreibt. Das Urteil ist ein Paradigmenwechsel, weil es unverhältnismäßige Eingriffe in die Freiheit künftiger Generationen vermeiden will und die Verantwortung dafür der Politik von heute gibt.
Die Bundespolitik hat das, scheint es, wörtlich genommen: Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz kündigten schon für diese Woche einen Entwurf für ein schärferes Klimaschutzgesetz an – das noch vor der Bundestagswahl verabschiedet werden soll; das aber zugleich, so Schulze, realistische Vorgaben für den nächsten Bundestag und die nächste Bundesregierung festschreiben soll.
Das höchste deutsche Gericht hatte „Planungssicherheit“ gefordert. Schulze verwies nun genüsslich darauf, dass CDU und CSU das Klimaschutzgesetz seinerzeit als „Planwirtschaft“ abgelehnt und verwässert hatten.
Der neue CDU-Chef zeigt sich nun einsichtig: Auch Armin Laschet kündigte an, die Reform des Klimaschutzgesetzes samt gesetzlicher Zwischenziele für 2035 und 2040 werde noch vor Ende der Legislatur kommen.
Über das bisherige Bremsen des Noch-Koalitionspartners ärgerte sich Olaf Scholz am Dienstag auch hinter verschlossenen Türen in der SPD-Fraktionssitzung im Bundestag: „Das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt, man kann nicht weitermachen mit dicken, fetten Lügen“, sagte er laut Teilnehmern.
Klimaschutzurteil: Bundesverfassungsgericht verdonnert Bund zu Nachbesserungen
Die Politik muss beim Klimaschutz nachbessern, um die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen, urteilte das Bundesverfassungsgericht.
© Quelle: dpa
„Seit Monaten versuchen wir die Union dazu zu bringen, sich ehrlich zu machen und deutlich zu machen, wie groß unser Strombedarf im Jahr 2030 sein wird.“ Der Stromverbrauch werde stark ansteigen, auch durch mehr Elektroversorgung, wodurch viel mehr Ökostromquellen ausgebaut werden müssten, als die Union bisher wolle. „Das ist in den vergangenen Jahren von Altmaier komplett verschlafen worden!“, so Scholz.
Politische Prominenz beim Petersberger Klimadialog
Umweltministerin Schulze hat in dieser Woche jedenfalls die perfekte Bühne, um Druck zu machen: In dieser Woche ist sie Gastgeberin des 12. Petersberger Klimadialogs, bei dem Klimaschutzminister aus aller Welt über die konkrete Umsetzung und die Finanzierung des bahnbrechenden Pariser Abkommens von 2015 beraten. Am Donnerstag werden auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, der britische Premier Boris Johnson und UN-Generalsekretär António Guterres dabei sein.
Am Dienstag stellte Schulze mit dem Klimaforscher Niklas Höhne die neuesten Prognosen des Analyseprojekts Climate Action Tracker vor, der alle bislang getroffenen weltweiten Klimaschutzmaßnahmen und -versprechen in konkrete Zahlen zum Klimawandel umrechnet: Handelt jeder Staat so, wie er jeweils zugesagt hat, steigt die durchschnittliche Temperatur weltweit bis Ende des Jahrhunderts um 2,4 Grad.
Das wäre deutlich über dem gewünschten 1,5-Grad-Ziel, das als Kipppunkt fürs Weltklima gilt. Zugleich war man vor zehn Jahren und vor dem Pariser Abkommen noch von einem Anstieg um 3,5 Grad ausgegangen.
„In fünf Jahren wird sich die Weltgemeinschaft NOCH mehr zutrauen“, sagte Schulze deshalb. Die Zahlen zeigten sowohl „Fortschritte als auch großen Handlungsbedarf“. Klimaforscher Höhne betonte, technisch und physikalisch sei die Menschheit noch immer in der Lage, den Anstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Es komme allein auf die politische Machbarkeit an.
Schneller aus der Kohle
Dieses Jahr wird kein gutes Jahr für den Klimaschutz. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 2020 steigen. Seinerzeit drückte der erste Corona-Lockdown die Werte. Noch wichtiger war, dass in den ersten drei Monaten der Wind heftig blies, wodurch viel Ökostrom geerntet werden konnte.
2021 herrschte Flaute. So kam der nur zögerliche Ausbau bei den Windmühlen umso deutlicher zum Tragen. Und umso größer müssen deshalb die Anstrengungen ausfallen, um die Ziele des EU-Klimagesetzes und die Forderungen aus dem Karlsruher Urteil für 2030 noch zu erreichen.
Die Experten sind sich einig, dass in knapp neun Jahren der CO₂-Ausstoß um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden muss. Für Umweltverbände und Denkfabriken wie Agora Energiewende oder Stiftung Klimaneutralität ist klar, dass dies nur mit zwei Vorhaben zu schaffen ist: Mit einem Ausbau bei Sonnen- und Windstrom in einem bislang ungekannten Ausmaß – und einem schnelleren Kohleausstieg: Schon 2030 müsste das Verfeuern des fossilen Brennstoffs zur Stromerzeugung enden.
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Deutschland braucht viel mehr Ökostrom
Kompliziert wird auch der Ausbau der Erneuerbaren: Mindestens sieben von zehn erzeugten Kilowattstunden müssen 2030 aus Ökoquellen kommen. Allerdings wird der Stromverbrauch selbst dann höher liegen, weil vor allem Autos und Heizungen elektrifiziert werden. Dafür müsse die Bundesregierung ihre Ausbauziele für moderne Windmühlen an Land und auf See deutlich nach oben korrigieren: Agora und die Stiftung Klimaneutralität haben eine Gesamtkapazität von 105.000 Megawatt hochgerechnet.
Kann das gelingen? Bereits die jetzigen, viel zu niedrigen Regierungsziele werden nicht erfüllt. Bei der gerade abgeschlossenen Ausschreibung für Windkraft an Land konnten nur Zuschläge mit einer Gesamtleistung von rund 690 Megawatt vergeben werden, geplant waren 1500 Megawatt.
Woran es hapert, ist bekannt: aufwendige Genehmigungsverfahren, erfolgreiche Klagen gegen Ausbauprojekte, Flächenmangel. „Zur Lösung dieser Probleme liegen konkrete Vorschläge auf dem Tisch“, sagt Hermann Albers, Präsident des Branchenverbandes BWE: Die Koalition könne das noch in dieser Legislaturperiode umsetzen.
Viermal mehr Solarstrom nötig
Noch schwieriger ist es beim Sonnenstrom: Wissenschaftler und Ökostromverbände haben hochgerechnet, dass die Kapazitäten bis 2030 mindestens verdreifacht, eher vervierfacht werden müssen, um höhere Klimaziele zu erreichen. Das würde mehr als 200.000 Megawatt entsprechen.
Die Bundesregierung plant bislang mit halb so viel. Mindestens 15.000 Megawatt müssen laut Branchenverband BSW Solar in den 2020er-Jahren dazukommen – jährlich.
Auch der PV-Thinktank, ein Zusammenschluss von Fotovoltaik-Experten, fordert in seinen Handlungsempfehlungen, die dem RND vorliegen: „Es gilt, den PV-Zubau gezielt zu entfesseln und unmittelbar nach der Bundestagswahl konkret zu werden.“
In den gut vier Jahren bis zum Ende der nächsten Legislatur sollen schon einmal 50.000 Megawatt hinzukommen. Dazu müssten die Behörden und Ministerien einiges neu justieren, so das Papier: Die Kommunen müssten verbindlich an den Erträgen beteiligt werden, die durch Solarparks entstehen. Das soll die Akzeptanz erhöhen.
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Die Genehmigung neuer Anlagen auf Dächern müsse entbürokratisiert werden, für neue Gebäude brauche es eine Solarpflicht – besonders bei großen Hallen der Logistiker. Auch Schallschutzwände sollten systematisch für Sonnenstromerzeugung aktiviert werden. Geworben wird zudem für Vor-Ort-Versorgung: Wie in der Schweiz könnten sich Erzeugergemeinschaften in Wohn- und Gewerbevierteln den auf Dächern, Freiflächen und an Fassaden erzeugten Strom aufteilen.
Verkehr: Viel mehr Elektromotoren
Der Verkehr ist der zweitwichtigste Sektor beim Klimaschutz: Die Treibhausgasemissionen müssen dort bis 2030 um rund 40 Prozent gesenkt werden. Das ist nur mit mehr Rad- und Fußverkehr in den Städten möglich, was einen grundlegenden Umbau urbaner Räume nötig macht. Der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und der Schieneninfrastruktur müssen hinzukommen.
Autogipfel löst Kontroverse aus – Verkehrswende oder Förderung von Verbrennungsmotoren?
Umweltverbände fordern eine Verkehrswende, Bundesverkehrsminister Scheuer befürwortet die Förderung von Verbrennungsmotoren.
© Quelle: Reuters
Auch die Belastungen durch den Luftverkehr müssen reduziert werden. „Die Lufthansa muss mehr Klimaschutz endlich ernsthaft angehen“, forderte etwa die Geschäftsführerin der Umweltorganisation BUND, Antje von Broock, anlässlich der Hauptversammlung von Deutschlands größter Airline an diesem Dienstag. Nötig sei eine Verlagerung aller Kurzstreckenflüge auf die Schiene bis 2030 sowie die verstärkte Zusammenarbeit mit der Bahn.
Die größte Wirkung für den Klimaschutz hat aber die Elektrifizierung des Individualverkehrs: So geht aus einer Studie von Agora Energiewende und der Stiftung Klimaschutz hervor, dass die Klimaziele für 2030 erreicht werden können, wenn bis dahin rund 14 Millionen elektrifizierte Pkw auf den Straßen unterwegs sind. Von 2032 an dürften keine neuen Personenwagen mehr mit Verbrennungsmotor zugelassen werden.
Ferner müssten in knapp neun Jahren 30 Prozent der Lkw mit E-Antrieb ausgestattet sein, die möglichst mit grünem Strom aus Batterien oder Oberleitungen oder mittels Brennstoffzellen angetrieben werden. Immerhin: Die EU arbeitet bereits an Plänen, den radikalen Wandel bei den Straßenfahrzeugen vor allem durch erheblich strengere Abgasregeln zu schaffen.
Gebäude und Industrie: Wärmepumpen und Wasserstoff
Wie werden wir künftig Wohnungen und Büros klimaneutral heizen? Mit Wärmepumpen. Wenn in Ein- und Zweifamilienhäusern in naher Zukunft jährlich knapp 200.000 dieser Aggregate installiert werden, kann verschiedenen Studien zufolge auf den Pfad zum Erreichen der Klimaziele eingebogen werden.
Der Vorteil der Wärmepumpen: Sie arbeiten mit erneuerbarem Strom und sind inzwischen höchst effizient. Allerdings kostet solch eine Heizung derzeit noch erheblich mehr als eine vergleichbare Gasheizung. An relativ großzügigen staatlichen Förderprogrammen dürfte deshalb künftig kein Weg vorbeiführen.
Fridays for Future in mehreren Städten auf der Straße
Die Klimastreikbewegung Fridays for Future hat zu einem globalen Klimastreik aufgerufen. Über 250 Ortsgruppen haben an Aktionen teilgenommen.
© Quelle: Reuters
Als weiterer Baustein muss Experten zufolge in urbanen Räumen Fernwärme hinzukommen, die wiederum mit einer effizienten Stromerzeugung gekoppelt wird. Vieles spricht dafür, dass dabei schon in einigen Jahren grüner Wasserstoff (mit Ökostrom erzeugt) als Brennstoff eingesetzt wird.
Das soll dazu dienen, fossiles Erdgas zu ersetzen – was auch für zahlreiche industrielle Anwendungen vor allem in der Chemiebranche von Relevanz sein wird.
Vorreiter aber wird die Stahlindustrie sein: Der aktuell noch extrem teure grüne Wasserstoff ist für den Einsatz in Hochöfen die einzige klimaneutrale Alternative zur Kohle. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat am Montagabend angekündigt, für den Umbau der Stahlbranche von 2022 bis 2024 zusätzlich mindestens 5 Milliarden Euro zu mobilisieren.
Die nötigen Gesamtinvestitionen für die Umstellung auf CO₂-freie Stahlproduktion hierzulande beziffert er auf 35 Milliarden Euro. Davon könnten in den kommenden 30 Jahren etwa 10 bis 12 Milliarden Euro aus öffentlichen Hilfen kommen.
Landwirtschaft: Weniger Dünger, kleinere Ställe
Bei Konzepten zum Klimaschutz wird die Landwirtschaft oft vergessen. Sie ist aber für fast 15 Prozent der Emissionen verantwortlich – deutlich mehr als die Luftfahrt. So entsteht in den Mägen von Rindern Methan, das um ein Vielfaches gefährlicher fürs Klima ist als CO₂.
Wie geht es mit der Landwirtschaft weiter?
Umweltschützer fordern eine Neuausrichtung hin zu mehr Klima- und Artenschutz, während viele Bauern sich zu Unrecht an den Pranger gestellt fühlen.
© Quelle: Reuters
Zudem entstehen durch Überdüngung und Gülle schädliche Stickstoffverbindungen, die Böden versauern lassen und so das Wachstum von Bäumen hemmen. Zugleich verschwinden durch die Intensivierung der Agrarproduktion immer mehr Moore und Feuchtgebiete, die Kohlenstoff in großen Mengen dauerhaft speichern könnten.
Klimaschützer rügen die riesigen Mastbetriebe vor allem in NRW und Niedersachsen, wegen weit überhöhter Nitratbelastungen des Trinkwassers. Stattdessen müsse auf Ökolandbau mit kleineren Tierbeständen und geringerem Düngereinsatz gesetzt werden. Entscheidend wird in den nächsten Jahren sein, ob Verbraucher verstärkt auf tierische Nahrungsmittel verzichten.
„Technikschub“: 816 Millionen für klimafreundlichere Landwirtschaft
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner stellt das Ziel des Investitionsprogramms zum Klimaschutz in der Landwirtschaft in Berlin vor.
© Quelle: Reuters
Allerdings begünstigt die EU-Subventionspolitik nach wie vor große Betriebe: Viele Experten fordern eine Umleitung des Geldes, das eher der Renaturierung von Grün- und Ackerland zu Mooren dienen solle – in einer Größenordnung von mehreren Tausend Hektar pro Jahr.