So reagiert die Presse auf die Ehe für alle
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Dieses australisch-thailändische Pärchen hat 2016 auf der Insel Waiheke vor Auckland (Neuseeland) geheiratet. Neuseeland hat 2013 die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert und ist seitdem ein Magnet für Ausländer, die heiraten wollen.
© Quelle: dpa
Hannover. Die Ehe für alle ist nicht nur in der Politik ein höchst brisantes Thema – auch in der Presse wird das Thema kontrovers diskutiert. Ein Überblick:
Rheinische Post: "Machtpolitisch ist Merkels Kursschwenk in der Frage der "Ehe für alle" clever. Die Union sitzt bei diesem Thema in der Falle: Ohne sich zu bewegen hätte sie im Herbst keinen Koalitionspartner mehr. Merkel blieb also nicht anderes übrig, als sich zu bewegen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Selbstverständlich könnte sich der Gesetzgeber dazu entschließen, die Ehe von Mann und Frau nicht mehr zu privilegieren. Bezeichnend ist aber, dass längst nicht mehr von Lebenspartnerschaft oder "Homo-Ehe" die Rede ist. Das Ziel lautet: Ehe für alle. Da kann man diese Institution freilich gleich ganz abschaffen. Wenn entscheidend ist, dass zwei Menschen auf Dauer füreinander einstehen, warum sollen dann nicht zwei zusammenlebende Geschwister eine Ehe eingehen können? Und warum nur zwei? Millionen Menschen leben mit mehreren Partnern zusammen, was auch von Weltreligionen erlaubt wird. Zur Begründung der Zweierbeziehung wird dann auf die Kultur verwiesen. Ganz richtig. Und wer stand am Anfang? Mann und Frau.
Süddeutsche Zeitung: Ein Teil der Unionsabgeordneten wird zustimmen, ein nicht unerheblicher Teil wird ablehnen. Letzteres wird den konservativen Teil der Wähler befriedigen, zumal dann, wenn konservative Abgeordnete nach der Abstimmung das Bundesverfassungsgericht anrufen mit dem Antrag, die Ehe als exklusive Verbindung von Mann und Frau zu erhalten. "Und nun prüft Karlsruhe": Das ist ein Satz, der in Deutschland einen guten Ruf hat und mit dem sich ein Wahlkampf gut überbrücken lässt. Überdies ist eine solche Klage für die Konservativen nicht ganz aussichtslos, weil das Gericht bei aller Liberalität seiner Ehe- und Familienrechtsprechung bis heute daran festgehalten hat, dass zu den "wesentlichen Strukturprinzipien der Ehe" die Vereinigung von Mann und Frau gehört. Den Bruch mit dieser überkommenen Rechtsprechung muss und wird Karlsruhe schaffen. Die Ehe exklusiv nur als Ehe von Mann und Frau? Das ist nicht göttlich, das ist nicht menschlich; das ist falsch.
Berliner Morgenpost: "Oft nervt der Wahlkampf mit seinen Märchenstunden über Steuern, Bildung, Chancen. In den Koalitionsverhandlungen werden die Versprechen ohnehin zerraspelt. Umso bemerkenswerter, wie der jahrelange Zank um die "Ehe für alle" plötzlich zu konkreter Politik wird; Ausgang ungewiss, Sieger und Verlierer längst nicht klar. Gewinnt die Kanzlerin mit ihrer Vorliebe für überraschende U-Turns? Oder hat die SPD gemeinsam mit der Opposition eine politische Sprengfalle aufgebaut, die eine notdürftig geeinte Union schlagartig wieder auseinandertreibt? Endlich erlebt das großkoalitionär erlahmte Berlin, das die "Ehe für alle" 30 Mal auf die Tagesordnung hob, um nichts zu entscheiden, wieder ein Lehrstück in Dynamik, Brisanz und Tücke, in Angriff und Konter. Gut so."
WAZ: "Ausgerechnet das in weiten Teilen erzkatholische Irland hat es uns 2015 vorgemacht. In einem Volksentscheid stimmten die Iren dafür, homosexuellen Partnern das volle Eherecht zu ermöglichen. Und in Deutschland? Ist es jetzt wohl der machtpolitischen Vorzeige-Taktiererin Merkel zu verdanken, dass dieser gesellschaftlich lange überfällige finale Schritt zur rechtlichen Gleichstellung homosexueller Partner endlich auch hier gemacht wird."
Weser-Kurier: "Die Kanzlerin, so heißt es, denkt Politik vom Ende her. Sollte sie das auch bei ihrer Kehrtwende in Sachen Ehe für alle getan haben, dann musste Angela Merkel klar sein, wie folgenreich ihr scheinbar en passant gemachtes Zugeständnis beim "Brigitte"-Talk tatsächlich sein würde. Plötzlich sind nämlich alle Dämme gebrochen, die so mühsam gehütete Koalitionsdisziplin zwischen Union und SPD ist dahin. 30 Mal wurde eine Abstimmung des Parlaments über die gesetzliche Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnerschaften mit der Ehe von Schwarz-Rot im Rechtsausschuss des Bundestages ausgebremst. Nun soll plötzlich schon am heutigen Mittwoch dort der Weg frei gemacht werden: Die SPD will mit Grünen und Linken für die nötige Mehrheit sorgen."
Südwest-Presse: Der von Angela Merkel überraschend in Aussicht gestellte Beitritt der Bundesrepublik zum Geltungsbereich der Ehe für alle bringt die schwarz-rote Koalition am Ende doch noch in Turbulenzen. (...)Dass die SPD diese nonchalante Geste der CDU-Chefin als pure Provokation verstehen musste, ist nachzuvollziehen. Merkel hatte die Vorstöße der SPD für die Homo-Ehe in den vergangenen Jahren mehrfach abgewiesen. Ihre aktuelle Kehrtwende ging daher über eine Grenze hinaus, die für den Partner noch erträglich war. Nicht nur Genossen stellen sich ja die Frage, worauf bei der Kanzlerin eigentlich noch Verlass ist - außer auf ihr Machtkalkül.
Corriere della Sera (Italien): "Es wird nicht leicht sein, einen gemeinsamen Gesetzestext zu finden, auch weil es in Merkels Partei nicht an Kritikern der gleichgeschlechtlichen Ehe mangelt. Fakt ist: Die Kanzlerin hat alle überrascht. Sie ist der Meinung, dass die Zeit reif ist. Im Land und im Parlament gibt es eine Mehrheit, die für ein Gesetz dieser Art ist. Am 24. September sind Wahlen und Merkels Herausforderer von der SPD, Martin Schulz, hat die gleichgeschlechtliche Ehe in sein Wahlkampfprogramm genommen. Darüber hinaus sind beide möglichen Koalitionspartner Merkels, die FDP und die Grünen, für ein solches Gesetz. Mit ihrer Kehrtwende nimmt sie ihnen allen ein Argument im Wahlkampf."
De Telegraaf (Niederlande): "Angela Merkel überrascht erneut Freund und Feind, indem sie die Tür für die Homoehe öffnet. Durch die Entbindung ihrer christlichen und konservativen Fraktion vom Zwang, die Ehe von homosexuellen und lesbischen Paaren abzuweisen, landet die Kanzlerin drei Monate vor der Bundestagswahl einen Coup. Bereits vor Tagen hatte ihr wichtigster Herausforderer, Martin Schulz von der linken SPD, eine Lanze für die Ehe für alle gebrochen. Er machte es, ähnlich wie andere linke Parteien, sogar zur Schlüsselfrage. Indem sie nun mit einer moderneren gesellschaftlichen Sichtweise auftritt, nimmt Merkel ihrem Gegenspieler den Wind aus den Segeln."
Von RND/dpa