So gefährlich denken die Gründer von Widerstand 2020
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Drei Köpfe der Corona-Proteste: Michael Ballweg (links), Gründer der Initiative Querdenken 711, zusammen mit Bodo Schiffmann (Mitte) und Ralf Ludwig, beide Gründer der Partei Widerstand 2020.
© Quelle: imago images/Arnulf Hettrich
Stuttgart/Leipzig. Zehntausende Menschen demonstrierten am Wochenende in Dutzenden deutscher Städte gegen die Corona-Beschränkungen. Zwei Parteien wollen von diesem wachsenden Unmut profitieren. Die eine, Widerstand 2020, ist ganz neu, die andere, die AfD, will sich aus der tiefsten Krise ihrer siebenjährigen Geschichte herausarbeiten.
Widerstand 2020 ist erst seit einer Woche öffentlich präsent und schon zerstritten. Die einzige Frau im Gründertrio, Victoria Hamm aus Lehrte bei Hannover, stieg am vergangenen Freitag aus. Die verbliebenen Gründer, der Leipziger Jurist Ralf Ludwig und der Sinsheimer Mediziner Bodo Schiffmann, deuteten in einer Videobotschaft auf ihrem Facebook-Kanal interne Meinungsverschiedenheiten als Grund an.
Eine Partei ist die neue Bewegung inzwischen: Der Bundeswahlleiter teilte dem RND mit, dass am vergangenen Montag Anmeldeunterlagen eingegangen seien. Diese würden nun geprüft.
Gegen die Parlamente und die “Systemparteien”, für den “Volkskörper”
Ludwig und Hamm kritisieren die “Systemparteien”, halten “die Konstrukte von Elitenherrschaft und partizipativer Demokratie für Auslaufmodelle” und plädieren für eine “Auflösung von bestehenden Machtstrukturen”.
Protest gegen Anti-Corona-Strategie
Tausende Menschen demonstrierten am Samstag auf dem Stuttgarter Wasen gegen die Pandemiebekämpfung der Regierung.
© Quelle: Reuters
Die “Leipziger Volkszeitung” fragte Ludwig, was er tun wolle, damit in der Partei nicht bald jene das Ruder übernehmen, die schon in den Widerstandsgruppen auf Facebook häufig den Ton angeben – Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme? “Wenn bei uns sogenannte Impfgegner oder Verschwörungstheoretiker mitmachen, dann ist das ja nicht per se schlecht”, antwortet Ludwig. “Es geht doch erst mal darum, miteinander zu reden.”
Die Menschen sollen “eine Einheit werden”
Am Samstag standen Ludwig und Schiffmann am Rande der Großdemonstration in Stuttgart. Beide sind durch Videos bekannt geworden, in denen sie die Pandemie relativieren. Ludwig hat für den Stuttgarter Organisator Michael Ballweg beim Bundesverfassungsgericht durchgesetzt, dass in Baden-Württemberg wieder demonstriert werden darf; sie sind eng miteinander vernetzt. Schiffmann will “mehr Basisdemokratie” in Deutschland.
ARD-Kamerateam bei Demo angegriffen
Am Mittwochabend löste die Polizei eine Corona-Demo vor dem Reichstag auf. Dabei ist es erneut zu einem Angriff auf ein Kamerateam gekommen.
© Quelle: RND/Felix Huesmann
Der Chef einer Schwindelambulanz redet über den Staat als Organismus: “Ein gesunder Organismus würde Viren und Bakterien selbst eliminieren, und das wollen wir mit dieser Partei erschaffen. Wir wollen eine Einheit werden.” Hinter seiner sanften süddeutschen Sprachmelodie steckt knallharte Ablehnung der pluralistischen Gesellschaft. Die Metapher vom “Volkskörper”, an die sich Schiffmann anlehnt, war ein zentraler Begriff der nationalsozialistischen Rassentheorie.
Das Virus als “Weg in den Überwachungsstaat”
Stargast in Stuttgart war der frühere Radiomoderator Ken Jebsen. Mehr als drei Millionen Mal wurde sein Youtube-Video geklickt, in dem er die gängigen Verschwörungen über das Coronavirus zusammenrührt. Die durch das Virus ausgelöste Krankheit nennt er nicht Covid-19, sondern “Covid-1984”, in Anlehnung an George Orwells fiktiven Überwachungsstaat.
AfD steckt in der Zwickmühle
Die AfD steckt im Umgang mit der Corona-Pandemie in einer Zwickmühle. Im Bundestag versucht sie, eher rationale Oppositionsarbeit zu betreiben. Sie fordert die Wiedereröffnung aller Geschäfte unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln und eine Senkung des Umsatzsteuersatzes auf 15 beziehungsweise 5 Prozent als Wirtschaftshilfe, und sie lehnt eine Impfpflicht ab.
Doch die Partei dringt damit, wie jede Opposition, zurzeit kaum noch durch – und drängt daher auf die Straße. Dort werden die schrillen Töne lauter. Hans-Thomas Tillschneider, prominentes Mitglied des aufgelösten “Flügels”, holte sich auf der ersten von der AfD veranstalteten Anti-Corona-Kundgebung in Magdeburg Applaus für Sätze gegen Impfpflicht und für Bargeldverkehr ab. Dann drehte er auf: “Der Mundschutz ist ein Maulkorb. Wir lassen uns keinen Maulkorb verpassen.” Und: “Wir müssen Öffnungsdiskussionsorgien feiern, dass die Fetzen fliegen.”
Anderen in der Partei fliegen die Fetzen zu schnell. Man müsse noch vorsichtig sein mit Demos unter AfD-Flagge, sagt ein einflussreicher ostdeutscher Vertreter. “Die Zeiten kommen aber näher, der Frust bei den normalen Bürgern steigt.” Und der bayerische Bundestagsabgeordnete Petr Bystron plädiert dafür, bei den Demonstrationen auf jeden Fall mitzulaufen: “Wenn wir nicht mehr auf die Straße gehen, um den Unmut über die Herrschenden zum Ausdruck zu bringen, verlieren wir unsere Daseinsberechtigung als Opposition. Dann wären wir Teil des Systems, dann wären wir genauso wie die Altparteien”, sagt er dem RND.
Unter dem Eindruck der Stuttgarter Massen hat selbst der wenig straßenkämpferisch eingestellte baden-württembergische Landesverband eine Demo für den 23. Mai beschlossen. Landesvize Markus Frohnmaier will bereits am kommenden Samstag in Sindelfingen unter AfD-Flagge auf die Straße gehen. Michael Ballweg in Stuttgart will für denselben Tag eine Kundgebung für 500.000 anmelden – der Überbietungswettbewerb ist in vollem Gange. Die Widerstand-2020-Gründer werden höchstwahrscheinlich auch da sein.
RND