Berliner Silvesterkrawalle: Ist es rassistisch, die Nationalität der Täter zu nennen?
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Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk in Berlin.
© Quelle: Julius-Christian Schreiner/TNN/d
Kurz nach den Angriffen in der Silvesternacht auf Polizei und Rettungskräfte in Berlin haben die Behörden Details zur Staatsangehörigkeit der mutmaßlichen Täterinnen und Täter veröffentlicht. 45 von ihnen haben laut Polizei die deutsche Staatsangehörigkeit, 27 die afghanische und 21 die syrische. Insgesamt wurden 18 verschiedene Nationalitäten erfasst. Es sind Informationen, die in der aktuellen Diskussion um die Ursachen der Krawalle Sprengkraft haben.
Denn alleine die Nennung von Merkmalen der Verdächtigen suggeriert einen gewissen Zusammenhang mit der Tat. Ist der fehlende Respekt vor den Einsatzkräften auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen? Sind die Krawalle in der Berliner Silvesternacht das Ergebnis gescheiterter Integration? Dies sind Fragen, die nun diskutiert werden. „Da geht es um ungeregelte Migration, gescheiterte Integration und fehlenden Respekt vor dem Staat statt um Feuerwerk“, sagte etwa Unionspolitiker Jens Spahn dem Portal „T‑Online“.
Auch die Polizeigewerkschaft ruft erwartungsgemäß nach Untersuchungen zur Herkunft der mutmaßlichen Täterinnen und Täter. Bei vielen Einsatzkräften herrsche der Eindruck, dass „Gruppen junger Männer mit Migrationshintergrund bei diesen Ausschreitungen weit überrepräsentiert“ seien. Spahns Parteikollege Stephan de Vrieß geht noch einen Schritt weiter und findet, man müsse mehr über „die Rolle von Personen, Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp“ sprechen, wenn man Übergriffe gegen Einsatzkräfte verhindern wolle. Sawsan Chebli (SPD) kommentiert die Forderung frustriert mit „Mir fehlen die Worte. Echt“ – und kritisiert damit die offen rassistische Haltung von de Vrieß.
Die Kölner Silvesternacht und ihre Folgen
Es ist eine Debatte, die an die der Kölner Silvesternacht von 2015/2016 anknüpft. Die zentralen Fragen sind: Spielt der ethnische Hintergrund der Verdächtigen bei der Suche nach Ursachen eine Rolle? Wann ist es nötig, die Staatsangehörigkeit zu nennen – und wann befeuert sie lediglich rassistische Narrative? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander und werden hitzig diskutiert.
So sehr, dass der Deutsche Presserat 2017 den Pressekodex hinsichtlich der Berichterstattung über Straftäter modifizierte. Dort heißt es nun, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie sollte in der Regel nicht erwähnt werden. Es sei denn, es besteht ein „begründetes öffentliches Interesse“. Besonders sei zu beachten, dass „die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt“.
Angriffe auf Sicherheitskräfte: Berliner Polizei zieht Bilanz nach Silvesternacht
Die Angriffe auf Polizei, Feuerwehr und Verkehrsteilnehmende hatten eine Intensität, die man aus den Vorjahren so noch nicht gekannt habe.
© Quelle: Reuters
Anlass war die Debatte um die Kölner Silvesternacht. Der Pressekodex ist eine Sammlung journalistisch-ethischer Grundregeln für die Berichterstattung. Er ist nicht zwangsläufig bindend, sondern hat den Charakter einer freiwilligen Selbstverpflichtung, der sich aber viele Medienhäuser und ‑schaffende zugehörig fühlen.
Verzerrte Realität durch Nennungen
Informationen zur Nationalität können auch zur politischen Waffe werden: Von rechtspopulistischen Kräften wie der AfD wurde in Pressemitteilungen sogar extra häufig auf Tatverdächtige mit Migrationshintergrund hingewiesen, um systematisch Furcht vor Zuwanderern zu schüren. Das ist das Ergebnis einer Studie.
Der Polizei hingegen wurde nach den sexuellen Übergriffen in Köln vorgeworfen, die Nationalitäten der Verdächtigen angesichts der damaligen Diskussion über Flüchtlinge in Deutschland absichtlich verschwiegen zu haben. In der Folge wies die Polizei dann überdurchschnittlich häufig in ihren Pressemitteilungen darauf hin, wenn Tatverdächtige aus Fluchtländern kamen. So oft, dass die Kriminalität von Menschen aus Fluchtländern deutlich höher erschien, als sie tatsächlich war. Zu diesem Ergebnis kamen das NDR und der BR.
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Die Krawalle müssen für die Gesellschaft ein Weckruf sein
Nach dieser Silvesternacht mit schweren Ausschreitungen wird mal wieder um den heißen Brei herumgeredet. Die Forderung nach einem Böllerverbot ist eine argumentative Nebelkerze. Vielmehr müssen die Ursachen von Gewalt und Verachtung des Staats analysiert und bekämpft werden, kommentiert Eva Quadbeck.
Die Rundfunkanstalten werteten 700.000 Polizeimeldungen aus den Jahren 2014 bis 2020 aus. Das Ergebnis: Menschen aus Fluchtländern wie Syrien, Algerien und Afghanistan werden im Schnitt doppelt so häufig genannt wie Deutsche. Grund: das öffentliche Interesse. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) dagegen werden Deutsche fünfmal öfter als Tatverdächtige ausgewiesen als Menschen, die aus Fluchtländern kommen.
Auch Medien nennen inzwischen deutlich häufiger die Nationalität von Verdächtigen, wenn diese Ausländer sind. Redaktionen wollen so Spekulationen vorbeugen. Zu diesem Ergebnis kommt Journalismusprofessor Thomas Hestermann (Hochschule Macromedia, Hamburg) 2019 in einer Studie. Die gefühlte Realität ist demnach oft eine völlig andere als die tatsächliche Realität.
Markus Söder: „Politik steht nicht hinter der Polizei“
Nach den Silvesterkrawallen in Berlin wirft der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) der rot-grün-roten Hauptstadt-Regierung eine Mitschuld vor.
© Quelle: Reuters
Debatte über Abgehängte statt über Integration?
Nordrhein-Westfalen verpflichtete als erstes und bislang einziges Bundesland ihre Polizei dazu einfach alle Nationalitäten (sofern bekannt) zu nennen – und entledigte sich damit weiterer Interpretationsspielräume.
In der aktuellen Debatte um die Tatverdächtigen der Silvesternacht in Berlin, rät zumindest die Integrationsbeauftrage in Neukölln, Güner Balci, dazu, sich trotz Nennung nicht nur auf den Migrationshintergrund zu versteifen. Im Interview mit dem Magazin „Der Spiegel“ sagte sie, bei den Tatverdächtigen aus Neukölln handele es sich um „hoffnungslos Abgehängte, platt gesagt: absolute Loser“.
Die Angriffe auf Sicherheitskräfte seien jedoch keine Frage ihres kulturellen Hintergrunds. Denn die Tendenz zur Respektlosigkeit gebe es in allen Großstädten, und zwar „stets in abgehängten Milieus“. Das seien „Subkulturen der Gescheiterten, die sich als Gegner des Staates sehen.“ Und sie fordert: „Wir müssen jetzt keine Integrationsdebatte führen, sondern eine Debatte über die Abgehängten.“